Guckeisen: Wenn man es gerade mal mit 1997 vergleicht, als eben Busse aus dem ganzen Bundesgebiet nach Bonn aus Protest gefahren sind, was waren damals die Reizthemen, was ist anders zu heute?
Bloch: Na ja, es sind ja eigentlich immer die gleichen Reizthemen, überfüllte Seminare, keine Betreuung, die Studierenden können nicht erkennen, wie das Studium ihnen später für ihren Job helfen soll, und dagegen wird dann protestiert. Aber irgendwann hat man sich genug Luft gemacht, der Unmut ist artikuliert, aber es passiert von Seiten der Politik nichts. Es ist ja 1997 auch so gewesen, dass es circa drei Monate diese Streikwelle gab und überall Sympathie bekundet wurde, aber die Hochschulpolitik hat sich nicht wesentlich verändert. Also es geht darum, für die Studierenden so etwas wie ein kreatives Durchhaltevermögen zu entwickeln.
Guckeisen: Kreativ sind ja die Studentenproteste, wenn man auf die Formen guckt. Gestern haben wir berichtet von der TU in Berlin, da hat man Slumhütten gezimmert als Symbol für die Verarmung der Bildung, und in U-Bahnen werden Lesungen gehalten. In Frankfurt, da war ein Martinsumzug gegen den heiligen Sankt Roland. Aber Sie haben es angesprochen, offenbar erreicht man damit nichts. Liegt es an den Formen oder ist es generell so, dass Politiker auf Proteste von Studierenden ohnehin nicht so viel Augenmerk und Ohren legen?
Bloch: Na ja, es wird halt von Seiten der Politik die bewährte Integrationsstrategie gefahren. Das war zumindest 1997 so, dass Politiker aller Parteien die Studierendenproteste begrüßt haben und sich die Forderungen auch zu Eigen gemacht haben. Wenn es jetzt um Stellenkürzungen geht, wird natürlich immer auf die Haushaltslage verwiesen werden, und es kommt halt darauf an, Forderungen zu stellen, die sich da nicht mehr so leicht einordnen lassen. Also es entspricht sozusagen einer Programmatik auf Studierendenebene, die nicht so ausgeprägt sein sollte. Also es genügt nicht, abstrakte Forderungen zu stellen. Damit werden irgendwann die Studierenden nicht mehr weiter mobilisierbar sein, der Protest wird verebben und es wird sich wieder nichts getan haben. Man könnte zum Beispiel von Seiten der Studierenden Studiengebühren fordern. Also das wäre zum Beispiel eine Sache, die Politiker sicherlich von ein Problem stellen würde.
Guckeisen: Aber das will man ja gerade nicht. Wie macht man das in der Situation?
Bloch: Na ja, es geht erst mal darum, sozusagen an eine wunde Stelle heranzukommen. Studiengebühren sind ja sozusagen nur die Spitze des Eisbergs, an dem sich dann alle reiben können. Also man könnte hier generell eine Qualität von Hochschulpolitik anfordern, die sich gerade nicht nur nach der Haushaltslage orientiert. Also das Reformvokabular ist ja da. Es tut sich viel in Deutschland gerade in der Reformdiskussion, aber in diesen Auseinandersetzungen wird darüber häufig gar nicht geredet.
Guckeisen: Wenn man auf die Diskussionen guckt, die richten sich schon gegen die Politik, also Sparbeschlüsse, Diskussion um Studiengebühren. Kann man sagen, dass der Prozess deswegen auch politisch ist?
Bloch: Er ist sicherlich politisch in dem Sinne, dass es für die Studierenden ein politisches Erlebnis ist, auf jeden Fall. Also vorher nimmt man diese Studienbedingungen weiter hin, und jetzt geht man zumindest auf die Straße und artikuliert diesen Unmut. Ansonsten ist es, wenn man es zum Beispiel mit 1968 vergleicht, nicht so politisiert auf einer gesellschaftstheoretischen Ebene, dass hier bestimmte politische Kernprozesse insgesamt in Frage gestellt werden, aber es ist halt der Versuch, diesen Unmut kreativ zu inszenieren ohne diese politischen Programmatiken, anhand derer man halt immer gleich wieder leicht eingebunden werden könnte.
Guckeisen: Wenn man mal auf die einzelnen Demonstrationen guckt, dann sind die Zahlen durchaus beeindruckend. In Göttingen waren es 8.000. Wenn es heute in Hannover wirklich 20.000 werden sollten, das ist schon sehr beeindruckend. Andrerseits könnte man ja sagen, es gibt in Deutschland 2.000.000 Studierende. Warum erreicht man so wenig?
Bloch: Die erste Frage ist, ob diese 2.000.000 Studierende sich tatsächlich im Hörsaal befinden. Da sind ja sozusagen auch unterschiedliche Zahlen vorhanden. Dann geht es darum, dass es heutzutage meiner Ansicht nach einen vorherrschenden Typus von Studierenden gibt, den man flexible Studierende nennen könnte. Das sind Studierenden, die sich hauptsächlich an außeruniversitären Anforderungen, an Anforderungen des Arbeitsmarktes orientieren. Sie verlagern also per Praktika, Zusatzqualifikationen, Nebenjobs das Zentrum ihrer Aktivitäten in außeruniversitäre Bereiche, und das ist natürlich ganz schwierig, diese Leute dann zu erreichen, für universitäre Belange auf die Straße zu gehen.
Guckeisen: Man kann also sagen, Dinge wie 1968, sie sind vermutlich unwiederbringlich vorbei. So etwas wird kaum mal wiederkommen.
Bloch: Das ist auf jeden Fall nicht die Situation jetzt dafür gerade. 1968 gab es auch makropolitische Ereignisse wie den Vietnam-Krieg, dann die Aufarbeitung der Vergangenheit, diese Themen stehen heute allenfalls im Rahmen der Globalisierung zur Verfügung, aber das ist sicherlich kein Thema, das mobilisieren kann. Das heißt, der Protest ist hauptsächlich nicht an einer inhaltlichen Ideologie oder an einem inhaltlichten Programm orientiert, sondern an der Inszenierung dieses Unmuts, und deshalb auch immer wieder diese kreativen Aktionen, die Sie angesprochen haben, wo halt möglichst symbolisch versucht wird, diesen Unmut zu artikulieren.
Guckeisen: Danke für das Gespräch.