Die Nationalhymne im Parlament, Jubel auf den Straßen des Landes - nach der sanften Revolution an der Wahlurne beginnt für die Türkei ein neues Zeitalter. Nur die Militärs mögen nicht mitfeiern, und das aus gutem Grund: Gleich als erstes Projekt will die neue Regierung einen Abschnitt der türkischen Geschichte abschließen, den das Militär 1980 mit einer Erklärung von Generalstabschef Kenan Evren einläutete:
"Werte Mitbürger! Um das Wohlergehen des türkischen Volkes und die Einheit des Vaterlandes zu sichern und den Prinzipien von Atatürk wieder Geltung zu verschaffen, haben die Streitkräfte die Führung des Landes übernommen."
Zwei Jahre lang behielten die türkischen Militärs nach dem Putsch von 1980 die Regierungsgewalt in ihren Händen, doch die faktische Kontrolle über das Land haben sie bis heute nicht vollständig an die Zivilisten zurückgegeben. Noch immer gilt in der Türkei das Grundgesetz der Militärs - die Verfassung von 1982, die dem Land von den Putschisten diktiert wurde. Menschenrechtler wie die Anwältin Eren Keskin sehen die geltende Verfassung als eine der größten Hürden auf dem Weg zur echten Demokratie:
"Die türkische Republik hat es bisher nicht geschafft, ein ziviles Land zu werden. Bis heute werden wir nach der Putsch-Verfassung regiert, die uns der Staatsstreich von 1980 beschert hat. Bis heute können wir deshalb die Putsch-Generäle nicht vor Gericht stellen, bis heute hat sich die Gesellschaft nicht entmilitarisieren und demokratisieren können."
Das soll sich jetzt ändern. Nichts geringeres als eine Verfassungsreform hat sich die neugewählte AKP-Regierung als erstes Projekt vorgenommen, mehr noch: ein komplettes neues Grundgesetz, das die Putschverfassung ersetzen soll. Eine Arbeitsgruppe der AKP feilt bereits an der sogenannten "zivilen Verfassung". Die AKP will damit die Kontrolle der Zivilisten über die Militärs stärken, die Richter und Staatsanwälte von der Kontrolle durch die Regierung befreien und das Hochschulwesen von der staatlichen Bebvormundung befreien. Vor allem aber sollen die Grundrechte gestärkt werden, sagt der AKP-Vizechef Mir Mehmet Denge Firat:
"Es wird eine moderne Verfassung sein, eine freiheitlichere Verfassung als die von 1982, eine Verfassung, die die individuellen Rechte und Freiheiten schützt und deren Beschneidungsmöglichkeiten aufs äußerste Ausnahmen beschränkt. "
Der AKP-Abgeordnete Zafer Üskül, ein Professor für Verfassungsrecht von der renommierten Bosporus-Universität, fordert noch mehr:
"Es sollte eine ideologiefreie Verfassung werden, eine Verfassung ohne Ismen: Sozialismus, Kemalismus, Kommunismus, Liberalismus - das sind alles Ideologien für politische Parteien, denen die Wähler ihre Stimmen geben können. Die Verfassung sollte aber auf keine dieser Ideologien festgelegt sein."
Schließlich brauche die Türkei auf ihrem Weg nach Europa eine europäische Verfassung, argumentiert Üskül - und darin sei für Ideologien wie den Kemalismus kein Platz mehr. Immerhin schreibt der Kemalismus zum Beispiel die Kontrolle des Islam durch den säkularen Staat vor - ein Prinzip, das mit europäischen Vorstellungen von der Trennung von Staat und Religion unvereinbar ist. Die staatliche Einheit ist dem Kemalismus eine so heilige Kuh, dass schon Forderungen nach der Bildung von Bundesstaaten - etwa im kurdischen Südosten - als Hochverrat gelten. Alleine der Vorschlag einer ideologiefreien Verfassung treibt die Kemalisten auf die Barrikaden - nicht nur die Militärs selbst, sondern auch die ihr nahe stehende Oppositionspartei CHP und deren Vizechef Mustafa Özyürek:
"Das geht ja gut los mit der Verfassungsreform, wenn das eine ideologiefreie Verfassung werden soll, wenn die AKP den Kemalismus aus der Verfassung entfernen will. Eine Verfassungsreform, die mit solchen Worten beginnt, wird zu schweren Problemen führen und meiner Ansicht nach niemals in Kraft treten können."
Verhindern kann die CHP die Verfassungsreform allerdings nicht. Die Regierung will die neue Verfassung im kommenden Jahr per Volksabstimmung verabschieden lassen. Nicht alle Erwartungen in das neue Grundgesetz werden sich dabei erfüllen lassen. Ein Gerücht musste AKP-Vizechef Firat jedenfalls schon dementieren:
"Es wird in der Verfassung keinen Artikel geben, der besagt, dass die Universitäten für Frauen im Kopftuch geöffnet werden. Es gibt auf der ganzen Welt keine Verfassung, in der steht, dass die Röcke so oder so lange sein müssen oder dass Kopftücher getragen oder nicht getragen werden dürfen - das wird es auch bei uns nicht geben."
"Werte Mitbürger! Um das Wohlergehen des türkischen Volkes und die Einheit des Vaterlandes zu sichern und den Prinzipien von Atatürk wieder Geltung zu verschaffen, haben die Streitkräfte die Führung des Landes übernommen."
Zwei Jahre lang behielten die türkischen Militärs nach dem Putsch von 1980 die Regierungsgewalt in ihren Händen, doch die faktische Kontrolle über das Land haben sie bis heute nicht vollständig an die Zivilisten zurückgegeben. Noch immer gilt in der Türkei das Grundgesetz der Militärs - die Verfassung von 1982, die dem Land von den Putschisten diktiert wurde. Menschenrechtler wie die Anwältin Eren Keskin sehen die geltende Verfassung als eine der größten Hürden auf dem Weg zur echten Demokratie:
"Die türkische Republik hat es bisher nicht geschafft, ein ziviles Land zu werden. Bis heute werden wir nach der Putsch-Verfassung regiert, die uns der Staatsstreich von 1980 beschert hat. Bis heute können wir deshalb die Putsch-Generäle nicht vor Gericht stellen, bis heute hat sich die Gesellschaft nicht entmilitarisieren und demokratisieren können."
Das soll sich jetzt ändern. Nichts geringeres als eine Verfassungsreform hat sich die neugewählte AKP-Regierung als erstes Projekt vorgenommen, mehr noch: ein komplettes neues Grundgesetz, das die Putschverfassung ersetzen soll. Eine Arbeitsgruppe der AKP feilt bereits an der sogenannten "zivilen Verfassung". Die AKP will damit die Kontrolle der Zivilisten über die Militärs stärken, die Richter und Staatsanwälte von der Kontrolle durch die Regierung befreien und das Hochschulwesen von der staatlichen Bebvormundung befreien. Vor allem aber sollen die Grundrechte gestärkt werden, sagt der AKP-Vizechef Mir Mehmet Denge Firat:
"Es wird eine moderne Verfassung sein, eine freiheitlichere Verfassung als die von 1982, eine Verfassung, die die individuellen Rechte und Freiheiten schützt und deren Beschneidungsmöglichkeiten aufs äußerste Ausnahmen beschränkt. "
Der AKP-Abgeordnete Zafer Üskül, ein Professor für Verfassungsrecht von der renommierten Bosporus-Universität, fordert noch mehr:
"Es sollte eine ideologiefreie Verfassung werden, eine Verfassung ohne Ismen: Sozialismus, Kemalismus, Kommunismus, Liberalismus - das sind alles Ideologien für politische Parteien, denen die Wähler ihre Stimmen geben können. Die Verfassung sollte aber auf keine dieser Ideologien festgelegt sein."
Schließlich brauche die Türkei auf ihrem Weg nach Europa eine europäische Verfassung, argumentiert Üskül - und darin sei für Ideologien wie den Kemalismus kein Platz mehr. Immerhin schreibt der Kemalismus zum Beispiel die Kontrolle des Islam durch den säkularen Staat vor - ein Prinzip, das mit europäischen Vorstellungen von der Trennung von Staat und Religion unvereinbar ist. Die staatliche Einheit ist dem Kemalismus eine so heilige Kuh, dass schon Forderungen nach der Bildung von Bundesstaaten - etwa im kurdischen Südosten - als Hochverrat gelten. Alleine der Vorschlag einer ideologiefreien Verfassung treibt die Kemalisten auf die Barrikaden - nicht nur die Militärs selbst, sondern auch die ihr nahe stehende Oppositionspartei CHP und deren Vizechef Mustafa Özyürek:
"Das geht ja gut los mit der Verfassungsreform, wenn das eine ideologiefreie Verfassung werden soll, wenn die AKP den Kemalismus aus der Verfassung entfernen will. Eine Verfassungsreform, die mit solchen Worten beginnt, wird zu schweren Problemen führen und meiner Ansicht nach niemals in Kraft treten können."
Verhindern kann die CHP die Verfassungsreform allerdings nicht. Die Regierung will die neue Verfassung im kommenden Jahr per Volksabstimmung verabschieden lassen. Nicht alle Erwartungen in das neue Grundgesetz werden sich dabei erfüllen lassen. Ein Gerücht musste AKP-Vizechef Firat jedenfalls schon dementieren:
"Es wird in der Verfassung keinen Artikel geben, der besagt, dass die Universitäten für Frauen im Kopftuch geöffnet werden. Es gibt auf der ganzen Welt keine Verfassung, in der steht, dass die Röcke so oder so lange sein müssen oder dass Kopftücher getragen oder nicht getragen werden dürfen - das wird es auch bei uns nicht geben."