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"Eine Persönlichkeit im Dienste einer Sache"

Der "Zeit"-Redakteur und Papst-Biograf Jan Ross führt die große Anteilname am Tod des Papstes in erster Linie auf die Persönlichkeit von Johannes Paul II zurück. Auch wenn die Menschen mit seinen Entscheidungen nicht immer einverstanden gewesen sind, so hätten sie doch seine Konsequenz geschätzt und die Tatsache, dass kein Konformist und kein Anpasser war.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Am Telefon begrüße ich nun Jan Ross, er ist "Zeit"-Redakteur und Papst-Biograf. Herr Ross, haben Sie persönlich mit einer derartigen Anteilnahme für diesen Papst gerechnet?

    Jan Ross: Nein, lassen Sie mich mit einem Paradox formulieren: Ich habe nicht damit gerechnet, aber ich bin nicht überrascht bei diesem Papst, dass das eintritt, womit ich nicht gerechnet habe - denn er hat uns immer wieder überrascht.

    Breker: Wie erklären Sie sich das?

    Ross: Es gibt natürlich sehr verschiedene Faktoren. Man darf das reine Spektakelelement auch nicht ganz vergessen. Trotzdem ist es schon so, mir kommt es so vor wie das Abtragen einer Dankesschuld - das hat man ja auch gemerkt an diesem immer wieder aufbrandenden Beifall. Es ist einfach so, als ob nicht nur die Kirche, nicht nur die Katholiken, sondern die ganze Welt diesem Mann, der einen ganz wesentlichen Beitrag zu den guten Seiten des 20. Jahrhunderts geleistet hat, danken sollte.

    Breker: Fasziniert hier die Persönlichkeit des Papstes oder ist es auch die Lehre, die fasziniert?

    Ross: Ich glaube, es ist in erster Linie die Persönlichkeit. Man darf allerdings nicht vergessen, dass es eine Persönlichkeit im Dienste einer Sache ist, dass es eben nicht irgendein Star ist, das ist auch nicht so eine letztlich leere Projektionsfigur wie Lady Di, sondern er hat eben für etwas gestanden. Und wenn auch die Leute das, wofür er gestanden hat, nicht immer gemocht haben, so haben sie natürlich die Konsequenz und die Tatsache, dass dieses eben kein Wendehals und kein Konformist und kein Anpasser war, die haben sie gemocht.

    Breker: Liegt darin auch so etwas wie die Faszination von einfachen Lösungen in einer immer komplexer, immer komplizierter werdenden Welt?

    Ross: Nein, das glaube ich nicht, denn die Lösungen, die der Papst vorgeschlagen hat, waren ja durch die Bank unbequem. Es war immer das, was man eigentlich nicht gerne gehört hat. Und sich dafür zu begeistern, das verrät glaube ich nicht die Einfachheit des Fundamentalismus - er ist auch kein Fundamentalist gewesen. Man darf nicht vergessen, dass er mehr als die meisten europäischen oder amerikanischen Politiker einfach für die Verbreitung der politischen Freiheit eingetreten ist. Das tut niemand, der einfach Kontrolle über alles behalten will. Er war innerkirchlich konservativ, sehr konservativ teilweise, aber das wiederum war nun nicht populär. Nein, in diesem Sinne kann ich das nicht erkennen.

    Breker: War seine Rolle in der Politik, in der Weltpolitik, in der Machtpolitik auch zwischen Ost und West bedeutsamer eigentlich als das, was sein Amt eigentlich ausmacht, nämlich die katholische Lehre?

    Ross: Also ihn, das würde ich sagen, hat die Politik letztlich nicht so sehr interessiert. Er war natürlich stolz darauf, dass er ein bisschen was beitragen konnte zu dieser Vorgeschichte von 1989. In seiner persönlichen Rangordnung, in dem, was ihm entscheidend gewesen ist, war das nicht das Ausschlag gebende. Er ist ein Mann des Gebets gewesen, der Kontemplation, kein Politiker, eben der Nachfolger Petrus', kein Nachfolger der Cäsaren, wenn Sie so wollen. Von außen sieht es sich anders an, da steht natürlich die weltpolitische Rolle im Vordergrund, und es ist gewiss so gewesen, dass er in seinem Wirken nach außen eine glücklichere Hand gehabt hat als in seinem Wirken nach innen. Der nächste Papst, der wird sich wahrscheinlich in erster Linie um die Kirche selbst kümmern müssen.

    Breker: Dieser Papst war populär und Sie sagen es, der nächste Papst wird sich um die Kirche kümmern müssen, denn die Kirchen sind sonntags immer noch leer, daran hat sich nichts geändert.

    Ross: Daran hat sich nichts geändert. Man wird sehen, was eigentlich von Johannes Paul und seinem Pontifikat bleibt. Wie weit er vielleicht auch den Blick auf das Innere der Kirche versperrt hat, wie man jetzt vielleicht auch erst sehen wird, was da los ist. Das wird sich in der nächsten Zeit zeigen. Ich glaube allerdings auch, dass die Kraft dieses Pontifikats sich erst im Nachhinein so richtig zeigen wird. Also sowohl seine Schwächen - eine gewisse Fixierung auf den Starpapst, eine Personalisierung, manchmal geradezu so eine Art geistlicher Führerkult - als auch seine Stärke, die doch in diesem beachtlichen Nonkonformismus und in der Fähigkeit bestand, der Kirche Ecken und Kanten zu geben.

    Breker: Wir erleben das ja jetzt bei diesen Beisetzungsfeierlichkeiten, die Menschen strömen millionenfach nach Rom, um dabei zu sein. Ist das auch ein Element, was sich die Kirche, was sich der Glaube zunutze machen kann, nämlich Ereignisse zu liefern, Events abzugeben, wo man unbedingt dabei sein möchte?

    Ross: Na, das hat Johannes Paul, denke ich, bis an die Grenze dessen getan, was man tun kann. Eine Steigerung des "Eventpapsttums" über das Maß hinaus, was Woytila praktiziert hat, glaube ich, wäre dem Nachfolger nicht zu empfehlen. Das hängt auch einfach damit zusammen, dass man ihn da schwer übertreffen kann. Natürlich auch, weil die historische Situation, in der er agierte, diese ganze Zeit vor 1989 und danach und so weiter, das hat ja der Nachfolger nicht - man könnte sagen: zum Glück nicht. Ich glaube, auf diesem Weg wird es nicht weiter steigerbar sein. Die Kirche muss auch aufpassen, dass sie keine Kino- und Spektakelkirche wird. Nein, jetzt kommt es darauf an, so etwas wie eine Nachhaltigkeit zu schaffen und aus dem, was an Ideen, auch an Schwung, aber eben natürlich auch an Provokation mit diesem Pontifikat verbunden gewesen ist, etwas Dauerhaftes zu machen. Das ist nicht so einfach.

    Breker: Ein Nachfolger, wer immer es sein mag, wird es in jedem Fall schwer haben, verstehe ich Sie da richtig?

    Ross: Ja, die Schuhe sind natürlich sehr groß, in die man da hineinschlüpfen muss. Es wird gar nicht anders gehen, als dass der Nachfolger versucht, es anders zu machen. Ich denke, dass auch die Kardinäle von vornherein bereits eine Figur suchen werden, jetzt vielleicht vor Augen haben, wenn sie selber darüber nachdenken und sprechen, bei der diese Gefahr, dass man das in erster Linie als eine Konkurrenzveranstaltung zum Vorgänger sieht, nicht besteht.