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Eine "Quotenmigrantin" macht Karriere

Durch Olaf Scholz kam sie zur Politik. Ihre türkischen Wurzeln hätten dabei sicherlich eine Rolle gespielt, sagt die SPD-Politikerin Aydan Özoguz. Ihre Partei setzt nun auf die Kombination Migrantin und Frau: Die Hamburgerin soll stellvertretende Bundesvorsitzende werden - und Stimmen bringen.

Von Verena Herb |
    Die Zeit von ist knapp. Deshalb trifft man sich für das Interview an einem strategisch günstigen Ort: Hamburg-Hauptbahnhof. Die 44-jährige Bundestagsabgeordnete zieht ihren Arbeitskoffer hinter sich her. Darauf steht eine große rote Plastiktüte, aus dem Weihnachtsgeschenkpapier herausblitzt.

    Die Politikerin hat die Zugfahrt zwischen Berlin und Hamburg genutzt, um für den Adventskalender ihrer achtjährigen Tochter Hanna die Geschenke einzupacken. Im Bahnhofs-Coffeeshop bestellt sie einen Caffé Latte, zieht sich den Mantel aus, lehnt sich zurück. Man spricht über ihre politische Laufbahn in der SPD: Durch Olaf Scholz sei sie vor elf Jahren zur Politik gekommen. Er, damals Innensenator in der Hansestadt und Landesvorsitzender der Sozialdemokraten, habe sie gefragt, ob sie für die Bürgerschaft kandidieren wolle:

    "Das war damals ein ganz neuer Schritt für mich. Ich war Angestellte in der Körber-Stiftung, Projektleiterin für deutsch-türkische Projekte. Und das war plötzlich so ein neuer Weg, eine neue Richtung. Und da habe ich eine Weile überlegt, und mich dann dafür entschieden."

    Aydan Özoguz schafft als Parteilose 2001 den Sprung in die Bürgerschaft, ist für zwei Legislaturperioden Abgeordnete im Hamburger Parlament. Wird, was Migranten oft in Parteien sind: Fachsprecherin für Integration und Zuwanderung. Erst 2004 tritt sie in die Sozialdemokratische Partei ein. Roland Heintze, heute stellvertretender Fraktionschef der Hamburger CDU erinnert sich:

    "Das war immer eine sehr sachliche, sympathische Frau. Mit der man auch über inhaltlich strittige Themen immer noch ruhig reden konnte."

    2009 gelingt ihr der Sprung in den Bundestag - die Genossen an der Elbe hatten sie für den sicheren Listenplatz 2 nominiert.
    In Berlin ist Aydan Özoguz Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Mitglied der Enquetekommission "Internet und Digitale Gesellschaft" und – wie sollte es anders sein - Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion. Auf ihre türkische Herkunft angesprochen, streicht sie ihre langen mittelbraunen Haare über die Schultern, rückt ihre randlose Brille zurecht und erklärt:

    "Meine Herkunft war in jedem Fall ein Grund dafür, dass mich Olaf Scholz damals gefragt hat. Er war – immerhin ist das ja schon elf Jahre her – auf die Idee gekommen, dass es da einen Mangel in der Politik gibt. An jungen Leuten, mit eben ganz fremden Namen."

    Und diesen Mangel gibt es auch heute noch. Integrationspolitisch ist die SPD in den letzten Monaten allein durch Thilo Sarrazin aufgefallen – während die Christdemokraten in Niedersachsen seit vergangenem Jahr die erste muslimische Ministerin Deutschlands stellen: Aygül Özkan – übrigens ebenfalls aus Hamburg. Jetzt bemüht sich Parteichef Sigmar Gabriel also darum, die Meinungsführerschaft in der Integrationspolitik für die SPD zurückzugewinnen und schlägt Aydan Özoguz als eine seiner Stellvertreterinnen vor.

    "Ich glaube schon, dass die SPD und gerade hier auch Sigmar Gabriel sieht, dass wir da auf keinen Fall – sozusagen – ein Thema verpassen dürfen. Und dass wir dort eben auch Zeichen setzen müssen, dass es mitunter auch mal ein Symbol sein muss, was man setzt. Und da denke ich, hat Sigmar Gabriel durchaus auch den Wunsch, auch ein Symbol zu setzen und auch ein Zeichen zu setzen."

    Dass sie als Quotenmigrantin zu diesem Amt kommt – ärgert sie nicht. Nicht wirklich.

    "Das ist irgendwie okay. Das begleitet mich eigentlich schon ein Leben lang. Am Anfang stimmte es ja auch. Und auch jetzt ist ein bisschen was Wahres dran."

    Die 44-Jährige lächelt viel, wenn sie spricht. Immer antwortet sie freundlich, sympathisch und offen. Auch, wenn es um ihre Ehe mit Hamburgs Innensenator Michael Neumann geht. Er sagt zur Kandidatur seiner Ehefrau nicht ohne Stolz –
    "Ich bewundere ihren Mut und hoffe, dass sie mit der Erfahrung, die sie in Hamburg gemacht hat und mit den speziellen Erfahrungen natürlich, die sie als Kind türkischer Eltern hat, die mit einbringen kann… ich glaube, das tut der SPD und auch unserem ganzen Land gut."

    Michael Neumann fiel in Hamburg einst auf mit der Aussage "Multikulti ist gescheitert" – und lebt mit seiner Frau genau das: eine multikulturelle Ehe, in der die achtjährige Tochter einen deutschen und einen türkischen Namen trägt, in der Weihnachten und Ramadan gefeiert wird. Sie muslimische Anglistin und er katholischer Reserveoffizier ist. Und genau so vielfältig seien auch ihre politischen Ansichten als Ehepaar. Michael Neumann:

    "Meine Frau und ich bilden das gesamte Spektrum der deutschen Sozialdemokratie ab. Aber das schadet ja nicht."

    Und seine Frau ergänzt:

    "Wenn wir beide uns zusammensetzen und etwas durchdiskutieren, brauchen wir uns keine Sorgen machen, dass wir irgendeine Meinung außen vor gelassen hätten."

    Es ist kein Geheimnis, dass ihr Mann eher dem konservativeren Lager der SPD angehört. Aydan Özoguz kennt die Frage, schon bevor sie gestellt ist: Nein, ihre Kandidatur auf Vorschlag des Parteivorsitzenden lasse nicht darauf schließen, dass sie dem linken Flügel um Sigmar Gabriel und Andrea Nahles angehöre.

    "Das wird bei mir schon sehr schwierig, mich einem klaren Flügel zuzuordnen."

    Vielfalt ist Teil auch ihrer Familiengeschichte: Geboren und aufgewachsen in der Hansestadt, fühlt Aydan Özoguz sich als Hamburgerin. Ihr Vater lebt zwischenzeitlich in Istanbul. Immer wieder wird sie auf ihre beiden älteren Brüder angesprochen, die vor einigen Jahren in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und von Hamburg erwähnt wurden. Als Betreiber eines Internetportals, das – Zitat - "antizionistische und antiisraelische Propaganda verbreitet". Aydan Özoguz geht damit offensiv um.

    "Meine Brüder haben ganz andere Ansätze als ich. Auch ganz andere politische Vorstellungen. Jeder geht da seinen Weg. Ich glaube auch nicht, dass die nachvollziehen können, warum ich so für die Sozialdemokratie kämpfe."

    Wirklich kämpfen muss sie um den Stellvertreterposten im Bundesvorstand wohl eher nicht. Viele Genossen gehen davon aus, dass Aydan Özoguz auf dem Bundesparteitag in Berlin mit großer Mehrheit gewählt wird.