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„Eine sehr professionelle Vollliteratin“

Die österreichische Schriftstellerin Gertrud Fussenegger ist am Donnerstag (19.3.2009) im Alter von 96 Jahren gestorben. Das Lebenswerk der in Pilsen geborenen Autorin umfasst mehr als 60 Bücher, darunter Romane wie „Das Haus der dunklen Krüge“ von 1951, den man auch eine Art böhmische Variante der „Buddenbrooks“ genannt hat. Umstritten ist bis heute ihre Haltung zum Nationalsozialismus: Sie war NSDAP-Mitglied, begrüßte den sogenannten Anschluss Österreichs und hat sich nie eindeutig davon distanziert.

Alfred Pittertschatscher im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Die vielfach ausgezeichnete Literatin war Lyrikerin, Sachbuchautorin, Feuilletonistin und hat mit 90 „Das Haus der dunklen Krüge“ noch einmal fortgesetzt. Und ich habe Alfred Pittertschatscher, Leiter der Kulturredaktion beim ORF in Oberösterreich, gefragt: Was zeichnet ihr umfangreiches literarisches Werk aus? Kann man das überhaupt auf einen Nenner bringen?

    Alfred Pittertschatscher: Das kann man auf einen Nenner bringen. Gertrud Fussenegger war in Österreich eine singuläre Erscheinung, sowohl jetzt, was den Zeitraum ihres Schaffens betrifft als auch ihr Verhältnis zur Gegenwartsliteratur. Sie wurde anerkannt und nicht anerkannt. Anerkannt von vielen, vielen Lesern, nicht anerkannt von der Literaturszene im Allgemeinen. Ihre Werke sind lesbar, teilweise sehr in einem Stil, den man mag oder nicht mag. Faktum ist, sie ist eine sehr professionelle Vollliteratin gewesen, die wirklich das Geschäft von A bis Z gemacht hat.

    Köhler: Herr Pittertschatscher, was ist das für ein prosaisch-literarisches Werk? Es ist ja sicherlich kein experimentelles, sondern eins des klassischen Romans, der Prosa, die eher am 19. Jahrhundert orientiert ist? Wie würden Sie sagen?

    Pittertschatscher: Ich würde schon sagen, es geht eindeutig auf das 19. Jahrhundert zurück, auf frühe Phasen der Literatur. Sie hat auch sehr starke Vormünder-Verniedlichungen, es gibt Phasen, wo sie von „Kindlein“ und von „Liedlein“ spricht, immer in der Verkleinerungsform. Und das sind so Formen, die sie einfach in ihrer Literatur hat, die sehr stark eine Leserschaft auch anspricht, aber nicht unbedingt das Modernistische ist. Andererseits hat sie sich in Themen bis zuletzt auseinandergesetzt mit Zeitfragen. Ich habe bis heute noch nicht bekommen einen von ihr in Aussicht gestellten Beitrag über das Rauchen und das Rauchverbot. Den werde ich auch jetzt nicht mehr bekommen, aber sie hat mir vor etlichen Wochen noch gesagt, dass sie mir das schicken wird.

    Köhler: Das heißt, sie war auch als Feuilletonistin tätig. Lassen wir auf die umstrittene zeitgeschichtliche Person, die Schriftstellerin Fussenegger zu sprechen kommen. Man kann ja die Melancholie des Untergangs der österreichisch-ungarischen Monarchie literarisch würdigen, das prima finden, aber in der Realgeschichte war doch ihr pronazistisches Verhalten auffällig. Sie hat im „Völkischen Beobachter“ Gedichte abgedruckt, sie war NSDAP-Mitglied, sie war antimodern, pronazistisch, radikalkatholisch. Sie hat den sogenannten Anschluss begrüßt und hat sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs nie als reuevoll gezeigt oder ausdrücklich das bereut, wie es ja auch andere Denker nicht taten.

    Pittertschatscher: Ich würde den Begriff „Reue“ nicht richtig finden. Sie ist in einem Widerspruch gewesen. Sie hat aus ihrer Zeit aus der Monarchie das Große einfach vor sich gehabt und hat einen Irrtum begangen. Sie hat es nicht wie andere gemacht, dass sie sich klar dazu bekannt hat. Und es wird Aufgabe der Historiker sein, sehr viel aufzuarbeiten, was leider nicht ausreichend genug aufgearbeitet wurde. Ich finde, Fussenegger ist ein gutes Beispiel, wo man auch lernen kann, wenn ein Mensch Fehler macht, historischerweise, dass man daraus lernt. Und da hat die Literaturgeschichte und auch die Geschichte und die historische Aufarbeitung schon einiges noch zu tun.

    Köhler: Sie ist hochdekoriert mit zahlreichen Preisen, Auszeichnungen des Landes Österreich, mit Staatsorden, auch mit vatikanischen Ehren. Es hat Anfang der 90er noch mal um sie einen Streit gegeben, wie literarisch hoch sie jetzt einzuschätzen ist oder nicht. Aber in jüngster Zeit ist das abgeebbt.

    Pittertschatscher: Ich nehme an, dass mit dem Tod das wieder aufflammen wird. Es ist einfach eine Zeit, die aufzuarbeiten ist. Ich würde meinen, man soll nichts verschweigen, und die Sprache, in der sie sich von dieser Zeit distanziert hat, war vielleicht ein wenig zu diffus in manchem. Faktum ist, sie hat sich sehr wohl geäußert, aber eben vielleicht zu wenig ausdrücklich. Das wird vielleicht auch damit zu tun haben, dass sie natürlich aus einer historischen Situation kommt, Monarchie, da fällt ihr einiges schwer. Aber sie hat sich schon bemüht, hier eine Arbeit zu leisten. Sie ist leider nicht ganz vollendet worden.

    Köhler: Wie ist sie Ihnen begegnet? Streng, hartherzig, erzkatholisch oder genau das Gegenteil?

    Pittertschatscher: Wie sie 70 war, war sie strenger. Und sie hat eine Haltung mit 96 gehabt, also wenn ich das mit 80 ungefähr hinkriege, dann würde ich meinen, bin ich glücklich.

    Köhler: Alfred Pittertschatscher zum Tod der Schriftstellerin Gertrud Fussenegger, die im Alter von 96 Jahren in Linz gestorben ist.