An einer Straßenecke in Berlin Kreuzberg. Eine Gruppe von 50 jungen Leuten hat sich versammelt, einige haben Kopfhörer auf, andere halten sie in der Hand. Die Stimmung ist etwas aufgekratzt, denn keiner weiß genau, was als Nächstes passiert. Bis Julia sich über die Kopfhörer meldet.
"Du bist gekommen, um mich zu verstehen. Ich bin programmiert, um Dich zu verstehen. Ich heiße Julia. Klingt meine Stimme seltsam? Kein Wunder. Meine Worte sind aus mehr als 2500 Stunden Frauenstimmen gemacht. Ich bin kein Mensch, aber ich werde versuchen, Dein Freund zu sein."
Während draußen der Großstadtverkehr vorbeirauscht, werden die Zuschauer und -hörer von Stefan Kaegis Hörstück "Remote Berlin" geradewegs verschluckt. Computer-Julia fordert die Teilnehmer auf, nur noch auf sie zu hören und in die Wolken zu schauen. Die Gruppe ähnelt plötzlich einer Art Sekte, die sich mitten in der Stadt zu einer Sitzung trifft. Wie ferngesteuert marschieren die selig lächelnden Teilnehmer über eine Wiese, an einem Spielplatz entlang in ein Postamt. Die Kunden sind leicht verunsichert über die geisterhafte Gruppe unter Kopfhörern, aber uns stört das nicht. Wir gehorchen nur noch der Stimme.
"Man ist eben nicht in einem Theater, das Theater breitet sich über die Stadt aus, und somit auch der Zuschauerraum. Der ist nicht dunkel, man lehnt sich nicht zurück, sondern man spielt es so, wie man ein Computerspiel spielt. Man kriegt kleine Aufgaben, man erfüllt die zusammen, man zwinkert sich zu, grenzt sich gegeneinander ab. Man wird nie gezwungen, irgendetwas zu tun, aber trotzdem formiert sich eine Art Schwarm, der sich auflöst, der sich wieder zusammensetzt, der sich erkennt und sich abgrenzt voneinander."
Der Schwarm verlässt das Postamt und formiert sich zur ersten Lektion zum Thema Gruppenbildung, Öffentlichkeit und Politik.
"Und schon seid ihr eine kleine, ungleichmäßige Menge. Ein Potenzial."
Als wir im nächsten U-Bahnhof ankommen, spuckt die Rolltreppe immer neue Schauspieler auf die Bühne, so sieht es jedenfalls Julia. Und wirklich: der nervöse Mann am Geldautomaten, drei humpelnde Jugendliche mit Krücken, der Übergewichtige, der sich von uns beobachtet fühlt, ein Betrunkener, der uns anpöbelt. Hier findet öffentliches Theater statt, man muss nur hinschauen.
Auch in der U-Bahn ist Julia dabei, spielt uns positive Musik ins Ohr und fordert zu gruppenbildenden Maßnahmen auf. Zehn U-Bahn-Passagiere, die sich zeitgleich die Schuhe binden und im gleichen Takt mit dem Kopf nicken? Stefan Kaegis "Remote Berlin" entwickelt das Walkman-Prinzip, bei dem jeder einzelne hinter seiner persönlichen Musikfestung verschwindet, weiter.
"Was hier neu ist, ist, dass man sich das zu fünfzigst teilt. Man teilt ein Geheimnis und ist trotzdem immer konfrontiert mit Leuten – man könnte sie Zuschauer zweiter Stufe nennen –, die da irgendwie rundherum sind, weil sie da gerade einkaufen oder gerade durch diese U-Bahn gehen und sich natürlich wundern: Warum stehen da jetzt 50 und gucken in eine bestimmte Richtung? Warum drehen die sich jetzt gerade um die eigene Achse oder warum binden sich plötzlich mehr als zehn Leute im gleichen U-Bahnhof die Schuhe zu? Und dadurch stellt sich eine Irritation ein, die einem Flashmob nahekommt."
Derweil fordert Julia uns in der U-Bahn auf, den anderen Fahrgästen in die Augen zu schauen. Eine gelebte Lektion über Gesellschaftskonventionen. Ein PC-Spiel in der realen Öffentlichkeit.
"Versuch es. Sie werden Dir immer ausweichen. So ist ihre Software. Nur Kinder werden Dich in ihre Augen schauen lassen. Sie sind noch nicht zu Ende programmiert. Sie haben noch keine Firewall. Achtung, festhalten! An dieser Stelle versucht der Zug Dich umzuwerfen!"
Und weiter geht es, durch eine Kirche, in der Julia ziemlich kaltschnäuzig über Gott nachdenkt und sich plötzlich in Klaus verwandelt. Mit Klaus geht es in einen Laden für Kriegsspiele. Was würden wir in einem Krieg tun?
"Was wäre Deine Rolle? Tunnelkämpfer oder Zwergenkönig?"
Nachdem Klaus uns durch die verschiedenen Levels eines Shoppingcenters gesteuert, durch ein Parkhaus, ein "Museum der Statussymbole" gelotst und zu einem Wettrennen animiert hat, landet die Gruppe schließlich auf einer Dachterrasse, wo sie unter Einsatz von Theaternebel sprichwörtlich verdampft.
"Das war einfach groß, da einfach nur zu stehen und es passiert, was immer
passiert. Es ist immer die Frage, was davon bleibt. Aber in dem Moment war das auf jeden Fall ganz stark, das zu spüren, dass es auch im Alltag darauf ankommt, was für eine Perspektive ich einnehme. Da habe ich ja eigentlich immer die Wahl: Möchte ich stehen bleiben und mir was anschauen oder möchte ich durchrasen?"
"Du bist gekommen, um mich zu verstehen. Ich bin programmiert, um Dich zu verstehen. Ich heiße Julia. Klingt meine Stimme seltsam? Kein Wunder. Meine Worte sind aus mehr als 2500 Stunden Frauenstimmen gemacht. Ich bin kein Mensch, aber ich werde versuchen, Dein Freund zu sein."
Während draußen der Großstadtverkehr vorbeirauscht, werden die Zuschauer und -hörer von Stefan Kaegis Hörstück "Remote Berlin" geradewegs verschluckt. Computer-Julia fordert die Teilnehmer auf, nur noch auf sie zu hören und in die Wolken zu schauen. Die Gruppe ähnelt plötzlich einer Art Sekte, die sich mitten in der Stadt zu einer Sitzung trifft. Wie ferngesteuert marschieren die selig lächelnden Teilnehmer über eine Wiese, an einem Spielplatz entlang in ein Postamt. Die Kunden sind leicht verunsichert über die geisterhafte Gruppe unter Kopfhörern, aber uns stört das nicht. Wir gehorchen nur noch der Stimme.
"Man ist eben nicht in einem Theater, das Theater breitet sich über die Stadt aus, und somit auch der Zuschauerraum. Der ist nicht dunkel, man lehnt sich nicht zurück, sondern man spielt es so, wie man ein Computerspiel spielt. Man kriegt kleine Aufgaben, man erfüllt die zusammen, man zwinkert sich zu, grenzt sich gegeneinander ab. Man wird nie gezwungen, irgendetwas zu tun, aber trotzdem formiert sich eine Art Schwarm, der sich auflöst, der sich wieder zusammensetzt, der sich erkennt und sich abgrenzt voneinander."
Der Schwarm verlässt das Postamt und formiert sich zur ersten Lektion zum Thema Gruppenbildung, Öffentlichkeit und Politik.
"Und schon seid ihr eine kleine, ungleichmäßige Menge. Ein Potenzial."
Als wir im nächsten U-Bahnhof ankommen, spuckt die Rolltreppe immer neue Schauspieler auf die Bühne, so sieht es jedenfalls Julia. Und wirklich: der nervöse Mann am Geldautomaten, drei humpelnde Jugendliche mit Krücken, der Übergewichtige, der sich von uns beobachtet fühlt, ein Betrunkener, der uns anpöbelt. Hier findet öffentliches Theater statt, man muss nur hinschauen.
Auch in der U-Bahn ist Julia dabei, spielt uns positive Musik ins Ohr und fordert zu gruppenbildenden Maßnahmen auf. Zehn U-Bahn-Passagiere, die sich zeitgleich die Schuhe binden und im gleichen Takt mit dem Kopf nicken? Stefan Kaegis "Remote Berlin" entwickelt das Walkman-Prinzip, bei dem jeder einzelne hinter seiner persönlichen Musikfestung verschwindet, weiter.
"Was hier neu ist, ist, dass man sich das zu fünfzigst teilt. Man teilt ein Geheimnis und ist trotzdem immer konfrontiert mit Leuten – man könnte sie Zuschauer zweiter Stufe nennen –, die da irgendwie rundherum sind, weil sie da gerade einkaufen oder gerade durch diese U-Bahn gehen und sich natürlich wundern: Warum stehen da jetzt 50 und gucken in eine bestimmte Richtung? Warum drehen die sich jetzt gerade um die eigene Achse oder warum binden sich plötzlich mehr als zehn Leute im gleichen U-Bahnhof die Schuhe zu? Und dadurch stellt sich eine Irritation ein, die einem Flashmob nahekommt."
Derweil fordert Julia uns in der U-Bahn auf, den anderen Fahrgästen in die Augen zu schauen. Eine gelebte Lektion über Gesellschaftskonventionen. Ein PC-Spiel in der realen Öffentlichkeit.
"Versuch es. Sie werden Dir immer ausweichen. So ist ihre Software. Nur Kinder werden Dich in ihre Augen schauen lassen. Sie sind noch nicht zu Ende programmiert. Sie haben noch keine Firewall. Achtung, festhalten! An dieser Stelle versucht der Zug Dich umzuwerfen!"
Und weiter geht es, durch eine Kirche, in der Julia ziemlich kaltschnäuzig über Gott nachdenkt und sich plötzlich in Klaus verwandelt. Mit Klaus geht es in einen Laden für Kriegsspiele. Was würden wir in einem Krieg tun?
"Was wäre Deine Rolle? Tunnelkämpfer oder Zwergenkönig?"
Nachdem Klaus uns durch die verschiedenen Levels eines Shoppingcenters gesteuert, durch ein Parkhaus, ein "Museum der Statussymbole" gelotst und zu einem Wettrennen animiert hat, landet die Gruppe schließlich auf einer Dachterrasse, wo sie unter Einsatz von Theaternebel sprichwörtlich verdampft.
"Das war einfach groß, da einfach nur zu stehen und es passiert, was immer
passiert. Es ist immer die Frage, was davon bleibt. Aber in dem Moment war das auf jeden Fall ganz stark, das zu spüren, dass es auch im Alltag darauf ankommt, was für eine Perspektive ich einnehme. Da habe ich ja eigentlich immer die Wahl: Möchte ich stehen bleiben und mir was anschauen oder möchte ich durchrasen?"