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"Eine Transaktionssteuer kann nicht die Märkte regulieren"

Die geplante EU-weite Finanztransaktionssteuer würde zu einer Abwanderung von Handelsgesellschaften nach Großbritannien führen, das keine solche Steuer erheben will, meint der Finanzpolitiker Volker Wissing (FDP). Er schlägt stattdessen eine Börsenumsatzsteuer nach britischem Modell vor. Diese könne die Märkte nicht regulieren - aber transparenter gestalten.

Das Gespräch führte Christiane Kaess | 13.03.2012
    Christiane Kaess: Am Telefon ist der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Volker Wissing. Guten Morgen!

    Volker Wissing: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Kaess: Herr Wissing, die EU-Kommission rechnet damit, die Finanztransaktionssteuer könnte etwa 57 Milliarden Euro im Jahr in die Kassen spülen. Klingt das nicht attraktiv?

    Wissing: Das klingt für die Bürger als Drohung, denn wenn man diese Summe zugrunde legt, dann hat man damit auch zum Ausdruck gebracht, dass man das Geld von den Bürgerinnen und Bürgern haben will, denn diese Summe entspricht dem gesamten Gewinn der europäischen Banken nach Steuern. Den werden sie sicherlich nicht an die Finanzminister abführen können. Also bleibt nach dem EU-Vorschlag, nach dem Kommissionsvorschlag: Es geht um die Taschen der Bürgerinnen und Bürger.

    Kaess: Aber Herr Wissing, es geht um 0,1 Prozent und 0,01 Prozent bei Derivaten. Da können Sie doch nicht von großen Summen sprechen für den Einzelnen.

    Wissing: Oh doch! Die Union Investmentgesellschaft hat berechnet, dass ein Riester-Sparer, der monatlich 100 Euro einbezahlt über einen Zeitraum von 40 Jahren, insgesamt 14.000 Euro nach dem Kommissionsmodell an Finanztransaktionssteuer bezahlen müsste, und zwar nicht nach einem Steuerbescheid, sondern einfach in Form einer niedrigeren Rente. Das ist eine Mogelpackung für die Bürger.

    Kaess: Nun geht es ja Finanzminister Schäuble darum, eine gerechte Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Finanzkrise sicherzustellen und gleichzeitig die europäischen Finanzmärkte besser zu regulieren. Liegt Herr Schäuble denn da völlig falsch?

    Wissing: Ich weiß nicht, was die Riester-Rentnerinnen und –Rentner mit der Finanzkrise zu tun haben.

    Kaess: Aber es geht ja nicht nur um die!

    Wissing: Aber ganz gehörig, denn der überwiegende Teil der Summe muss doch von Bürgerinnen und Bürgern bezahlt werden nach dem Modell. Im Übrigen muss man doch einmal die Frage beantworten, wie kann eigentlich eine solche Steuer, die angeblich nicht zu Verlagerungen führt, gleichzeitig die Finanzmärkte regulieren? Entweder die Steuer wirkt kaum ein auf die Finanzmarktakteure, sodass sie keine Verlagerungsabsichten haben, oder sie wirkt sehr stark ein, auch regulierend ein, und warum sollte denn dann eine Handelsgesellschaft weiterhin in Deutschland handeln, wenn sie das Ganze steuerfrei in Großbritannien tun kann.

    Kaess: Aber dafür gibt es ja das sogenannte Ansässigkeitsprinzip.

    Wissing: Das hilft überhaupt nichts für die Gesellschaften, die nicht in Deutschland ihren Sitz haben. Auch das ist ein Trick. Schauen Sie, in Deutschland handeln ja nicht nur Gesellschaften, die in Deutschland ihren Sitz haben, sondern viele, die hier handeln, sind ausländische Gesellschaften und die würden selbstverständlich am nächsten Tag ihre Geschäfte zu 100 Prozent nach Großbritannien verlagern. Warum sollte denn eine Fondsgesellschaft in Deutschland noch ein einziges Geschäft tätigen, wenn sie das Ganze steuerfrei tun kann und damit wettbewerbsfähiger am Markt ist.

    Kaess: Sie bleiben also skeptisch. Aber es gibt auch in Ihrer Partei Bewegung. Ihr Fraktionsvorsitzender Rainer Brüderle und Volker Kauder von der Unionsfraktion haben sich für eine erweiterte Börsenumsatzsteuer ausgesprochen, die es in Großbritannien als Stempelsteuer gibt, und diese soll um die Derivate erweitert werden. Ist das kein sinnvoller Vorschlag?

    Wissing: Doch! Das ist aber ein anderer Vorschlag. Herr Schäuble schlägt eine Finanztransaktionssteuer vor, die EU-Kommission auch. Rainer Brüderle schlägt eine Börsenumsatzsteuer vor, das ist etwas anderes.

    Kaess: Was ist der Unterschied?

    Wissing: Na ja, die Börsenumsatzsteuer nach dem britischen Modell kann man so ausgestalten, dass sie nur den nationalen Platz betrifft und nicht zu Verlagerungen führt. Bei der Finanztransaktionssteuer geht das nicht. Und die Möglichkeit, eine Börsenumsatzsteuer einzuführen, haben wir immer bejaht, deswegen der FDP-Vorschlag geht dahin, ausgehend vom britischen Stamp-duty-Modell, eine europäische Finanzmarktsteuer einzuführen. Das ist aber keine Finanztransaktionssteuer.

    Kaess: Und diese würde ausreichen, die Finanzmärkte zu stabilisieren?

    Wissing: Nein, die Finanzmärkte werden dadurch nicht stabilisiert. Das ist auch eine Geschichte, die man den Menschen versucht einzureden. Eine Transaktionssteuer kann nicht die Märkte regulieren. Was eine Umsatzsteuer kann, ist, sie kann dazu führen, dass der bisher graue Kapitalmarkt, über den man wenig weiß, transparenter wird, beispielsweise der Derivatehandel. Das ist ein Beitrag zu mehr Transparenz, das hilft sicherlich auch der Aufsicht, deswegen sagt die FDP ja, wir müssen europaweit vorgehen, wir wollen nicht Europa spalten und wir sollten aufhören mit einer Finanztransaktionssteuer, sondern wir sollten eine britische Börsenumsatzsteuer für ganz Europa in Erwägung ziehen.

    Kaess: Herr Wissing, es bleibt trotzdem das Problem, dass auch dieser Kompromissvorschlag der SPD nicht genügt, und die haben Sie nötig für die Zustimmung zum Fiskalpakt.

    Wissing: Die SPD versucht hier, parteipolitisch sich ins Spiel zu bringen. Der Fiskalpakt enthält ja nur Gutes, es gibt ja keinen Grund für die SPD, den Fiskalpakt abzulehnen, also kann sie auch nicht Bedingungen damit verbinden. Es geht ja hier nicht um ein kleinkariertes Spielchen, sondern es geht um zentrale Weichenstellungen für Europa. Und im Übrigen: Die Sozialdemokraten haben den Maastricht-Pakt aufgeweicht. Wenn sie jetzt auch noch gegen den Fiskalpakt stimmen würden, würden sie sich ja endgültig als Euro-Destabilisierungspartei outen. Ich glaube nicht, dass der SPD das gut täte.

    Kaess: Aber dennoch ist die FDP im Zugzwang, denn die Opposition will dem Fiskalpakt nur zustimmen mit einer Finanztransaktionssteuer. Will die FDP den Fiskalpakt gefährden?

    Wissing: Nein! Es gibt auch für die FDP keinen Grund, hier Geschäfte zu machen. Der Fiskalpakt ist gut, er ist richtig, es gibt keinen Grund, ihn abzulehnen. Und schauen Sie: Wir sind bereit, europaweit eine Börsenumsatzsteuer einzuführen, und diejenigen, die sagen, ...

    Kaess: ... , was aber eventuell nicht klappen wird?

    Wissing: Warum denn nicht? Wir wissen doch genau, dass Großbritannien eine solche Steuer schon hat, sodass der Widerstand der Briten gegen eine solche Steuer gar nicht bestehen kann, und ich bin nicht ...

    Kaess: Aber nicht die erweiterte Stempelsteuer, wo die Derivate auch noch einbezogen werden.

    Wissing: Bei der Börsenumsatzsteuer hat man den Vorteil, dass man die Verlagerungstendenzen besser vermeiden kann als bei der Finanztransaktionssteuer, und es geht ja nicht darum, den nationalen Finanzmarktplatz zu schwächen. Im Übrigen muss man doch mal SPD und Grüne fragen, warum sie seit Jahrzehnten die Finanztransaktionssteuer fordern, sie aber nie eingeführt haben, als sie selbst in der Regierungsverantwortung waren. Hier werden die Bürgerinnen und Bürger gezielt hinter die Fichte geführt, hier wird ein Popanz aufgeführt. Diese Finanztransaktionssteuer nur in einigen Ländern einzuführen, kann nicht funktionieren. Deswegen gibt es auch von keinem Befürworter einen einzigen brauchbaren Vorschlag, wie das gehen soll. Und ich finde, diejenigen, die das immer wieder fordern, sollten jetzt endlich auch mal liefern, oder schweigen, oder sich einem gangbaren Weg, beispielsweise dem der FDP anschließen.

    Kaess: Herr Wissing, warum propagiert denn Finanzminister Schäuble offenbar ohne Rücksicht auf die FDP als Koalitionspartner seine Vorstellung von der Finanztransaktionssteuer? Gibt es da Absprachen, oder meinen Sie, Herr Schäuble setzt darauf, die FDP wird schon einknicken?

    Wissing: Nein. Herr Schäuble ist der Meinung, man kann die Finanztransaktionssteuer auf EU17-Ebene einführen. Er hat auch selbst ...

    Kaess: Notfalls auch mit weniger Staaten!

    Wissing: Ja, und er hat auch dazu selbst noch keinen Vorschlag gemacht. Der französische Präsident sieht das im übrigen anders. Der französische Präsident spricht von einer Börsenumsatzsteuer, genauso wie die FDP sie vorschlägt. Das wird in der Öffentlichkeit nur immer bewusst verwechselt. Es wird immer so getan, als würde Herr Sarkozy eine Finanztransaktionssteuer fordern; das ist mitnichten der Fall! Herr Sarkozy möchte eine Börsenumsatzsteuer, genauso wie die FDP, und hier wird versucht, durch ständigen Missbrauch dieser Begriffe und ständige Verwechslung den Eindruck zu erwecken, als plane man in Frankreich isoliert für die französische Republik eine Finanztransaktionssteuer. Das ist geradezu hanebüchen! Der französische Präsident denkt über eine Börsenumsatzsteuer nach, dagegen ist nichts einzuwenden, die FDP macht den gleichen Vorschlag, so was europaweit zu machen ist gut vertretbar, aber eine Finanztransaktionssteuer in wenigen Ländern, dazu gibt es keinen vernünftigen Vorschlag, auch nicht von Herrn Schäuble. Und deswegen: er ist jetzt im Zugzwang, diejenigen, die diese Steuer isoliert in manchen Ländern wollen, sind im Zugzwang, niemand hindert diejenigen, einen Vorschlag zu unterbreiten, wir werden den dann auch sachlich prüfen. Aber was wir nicht machen werden: wir werden nicht den Bürgerinnen und Bürgern massiv in die Tasche greifen und wir werden auch nicht den deutschen Finanzplatz zu Gunsten von London schwächen. Es ist nicht unsere Aufgabe, Wirtschaftsförderung für Großbritannien zu betreiben.

    Kaess: Aber bleiben wir noch mal bei der deutschen Diskussion. Wie schlimm ist es denn für die FDP, dass sich der Koalitionspartner bei so entscheidenden Fragen wie das Ringen um den europäischen Fiskalpakt in Union mit der Opposition sieht?

    Wissing: Wir sehen das ganz gelassen. Der Fiskalpakt ist gut, es gibt keinen Grund, ihn abzulehnen. Und was Herrn Schäuble angeht und seine Forderung nach einer Finanzmarktbesteuerung – wir haben sehr gute Gespräche, wir führen die sehr sachlich. Ich schätze Herrn Schäuble, ich habe auch mit ihm oft darüber gesprochen, er kennt auch meine Position und wir haben auch zu ihm gesagt, verhandeln sie auf europäischer Ebene. Er sagt ja selbst, sein Ziel ist, das europaweit auf den Weg zu bringen. Im übrigen würde er sich ja in Widerspruch zu sich selbst setzen. Sonst sagt er ja auch, Europa muss zusammenhalten, und deswegen macht es doch keinen Sinn, Europa mit einer solchen Steuer zu spalten. Wir wollen nicht ein geteiltes Europa mit einer starken finanzwirtschaftlichen und einer schwachen finanzwirtschaftlichen Zone. Am Ende wäre Deutschland dann auch noch in der schwachen Zone. Das passt doch überhaupt nicht zu der sonstigen Europapolitik unseres Landes. Ich finde, die FDP hat die Argumente der Vernunft, wir wollen hier wenn, dann nur eine Steuer, die unserem Land nicht schadet, und nicht populistischen Forderungen hinterherspringen, nur weil sie eben mal gerade gut ankommen. Am Ende darf das Land nicht geschwächt werden, das ist das Ziel.

    Kaess: Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Volker Wissing, war das. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wissing.

    Wissing: Ich danke Ihnen!

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