Archiv


Eine Tropenkrankheit und viele offene Fragen

Medizin. - Hohes Fieber, geschwollene Gelenke und außergewöhnlich starke Gliederschmerzen, sind die Symptome der tropischen Viruskrankheit Chikungunya. Seit knapp einem Jahr grassiert sie auf der Insel Réunion. Es gibt bisher weder ein Medikament noch einen Impfstoff gegen Chikungunya. Eine Pariser Jugendherberge hat Anfang der Woche junge Menschen von dieser Insel abgewiesen - aus Angst, sie könnten die Krankheit einschleppen. Diese Reaktion ist übertrieben, denn Grund zur Panik gibt es sicherlich nicht. Das Virus wird ausschließlich von bestimmten Mücken übertragen, und die müssen sich selbst erst bei einem Kranken anstecken. Dennoch wäre Chikungunya nicht das erste Virus, das es von den Tropen nach Europa geschafft hat.

Von Joachim Budde |
    Chikungunya hat die Experten überrascht. Jeder fünfte Bewohner der Insel Réunion vor der Ostküste Afrikas ist am Chikungunya-Fieber erkrankt - ein bisher unbekanntes Ausmaß. Dort haben Wissenschaftler erstmals beobachtet, dass die Krankheit tödlich verlaufen kann. Außerdem haben sie bisher unbekannte Symptome entdeckt, sagt Forschungsdirektor Vincent Lotteau. Der Immunologe arbeitet am INSERM, dem staatlichen französischen Zentrum zur Erforschung von Krankheiten. Lotteau gehört zu der Gruppe Wissenschaftler, die die französischen Regierung jetzt auf das Virus angesetzt hat:

    " Das größte Problem ist, dass dieses Virus - wie das Grippe-Virus - Menschen besonders bedroht, die bereits durch andere Krankheiten geschwächt sind. Bei Grippe liegt diese erhöhte Todesrate bei einem Prozent, bei Chikungunya lag sie 2005 bei schätzungsweise zehn Prozent. Das ist enorm."

    Seit dem vergangenen Frühjahr wird das Virus mehr oder weniger direkt für 93 Todesfälle verantwortlich gemacht. Vor allem für alte Menschen und Säuglinge kann es lebensbedrohlich sein. Diese Beobachtungen sind neu, dabei ist die Existenz des Virus seit 1952 bekannt. Dennoch bezweifelt Vincent Lotteau, dass das Virus aggressiver geworden ist. Die Epidemie habe vielmehr gezeigt: Die Forschung steht bei Chikungunya noch ganz am Anfang.

    " Wir haben Chikungunya bisher für eine Krankheit gehalten, die nicht tödlich verläuft. Sie ist immer in Ländern aufgetreten, in denen die Sterblichkeit ohnehin hoch ist. Es ist traurig, das zu sagen, aber wenn in Afrika ein Säugling stirbt, ist das nicht außergewöhnlich."

    Auch was den Überträger der Krankheit betrifft, sind noch viele Fragen offen. Bisher war lediglich bekannt, dass die Gelbfiebermücke das Virus verbreitet. Doch auf Réunion weist alles darauf hin, dass ihre Verwandte, die Tiger-Mücke, für die Chikungunya-Epidemie verantwortlich ist, sagt Michael Faulde, vom Sanitätsdienst der Bundeswehr.

    " Alle epidemiologischen Hinweise sind gegeben, aber der eigentliche Beweis steht noch aus."

    Faulde ist Experte für Krankheiten, die wie Chikungunya von Insekten oder anderem Ungeziefer übertragen werden. Die Tiger-Mücke ist stechfreudig und fühlt sich in der Gesellschaft des Menschen ausgesprochen wohl.

    Zum Brüten reichen ihr kleinste Wassermengen, wie sie in Getränkedosen oder alten Autoreifen nach einem Regenschauer stehen bleiben.

    Die ursprünglich in den Tropen beheimatete Mücke ist längst nach Europa eingewandert und hat sich dabei an Kälte angepasst. Inzwischen ist sie in der Schweiz, Frankreich, Belgien und den Niederlanden nachgewiesen. In Deutschland ist sie aber noch nicht gesehen worden.

    Auch das Virus ist mit einzelnen Touristen, die sich in Reunion angesteckt haben, nach Europa gekommen. Ehe Tiger-Mücken in Europa das Virus übertragen könnten, müssten sie sich bei solchen Menschen anstecken. Die Wahrscheinlichkeit dafür halten Experten für sehr gering.

    Dennoch: In den warmen Gegenden Südfrankreichs treten immer wieder Fälle tropischer Krankheiten auf. So ist in der Camargue das Westnilfieber vorgekommen - auch diese Krankheit wird von Insekten übertragen, die in Europa eigentlich nicht heimisch sind.

    " Ich persönlich gehe davon aus, dass ein reales Risiko da ist, dass das Chikungunya-Virus zumindest mal in den Mittelmeer-Anrainerstaaten durch die dort bereits vorhandene Tigermücke auf den Menschen übertragen werden kann - zumindest während der Sommermonate, und es besteht zusätzlich noch ein Risiko, dass sich das Chikungunya-Virus langfristig als ständiger Zyklus in Europa halten kann. "

    Nach Michael Fauldes Ansicht gibt es deshalb dringenden Forschungsbedarf: Erstens muss geklärt werden, ob die Tigermücke auf Réunion wirklich das Chikungunya-Virus
    überträgt.

    " Zweitens, inwieweit die kälteresistente Variante der Tigermücke, die in Europa vorkommt potentieller Überträger des Chikungunya-Virus ist und drittens, ob unter den Temperaturgegebenheiten wie sie in Europa herrschen das Virus auch nach Europa eingeschleppt werden könnte und sich dort auch hält."

    Denn darüber sollte man Bescheid wissen, bevor Chikungunya für neue Überraschungen sorgt.