In Deutschland wird die gesellschaftliche Rolle von Mitbürgern, die ihre Wurzeln in anderen Ländern haben, sehr widersprüchlich bewertet, lautete eine zentrale Botschaft der Tagung.
"Auf der einen Seite Zuspruch zu Integration als Chance, auf der anderen Seite Deutschland im europäischen Vergleich an der Spitze, was muslimfeindliche Einstellungen angeht. Neben Polen, Ungarn und Italien. 46 Prozent der Deutschen geben an, es gibt zu viele Muslime in Deutschland bei einer Realzahl von fünf Prozent der Bevölkerung."
Der Durchschnitt der rund 8.000 Menschen, die Naika Foroutan befragt hat, glaubt dagegen, dass 20 Prozent Muslime hierzulande leben. Integration: ja, Vielfalt: ja – aber bitte ohne Muslime, sei eine weitverbreitete Einstellung, erzählt die Sozialwissenschaftlerin von der Berliner Humboldt-Universität.
Im Mittelpunkt ihrer Forschungen steht die öffentliche Wahrnehmung von Migranten, Migrantinnen und deren Nachkommen. Dass sich zum Beispiel türkischstämmige Menschen zunehmend im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt integrieren, belegt Foroutan mit Zahlen: Fünf Prozent der ersten türkischen Zuwanderer brachten höhere Bildungsabschlüsse wie Abitur oder Fachabitur mit. Mittlerweile weist ein Viertel der Menschen mit türkischem Hintergrund einen solchen Abschluss auf – auch wenn das noch deutlich weniger sei als bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund.
Die öffentliche Wahrnehmung zeige sich dagegen übersensibel in puncto kulturelle Integration. Kopftuch tragende Frauen etwa würden mit Überfremdung und mit: "Das werden immer mehr" assoziiert. Allerdings:
"Während in der ersten Generation noch 25,2 Prozent der Frauen angaben, immer ein Kopftuch zu tragen, sind es in der zweiten ca. 18 Prozent. Auch das spiegelt nicht die Wahrnehmung dessen wieder, was wir in der Gesellschaft im Rahmen dieses Diskurses immer wieder hören. Genauso wenig wie die Daten zum Schwimmunterricht (…) die belegen, 95 Prozent, also die überragende Mehrheit, nimmt am Schwimmunterricht teil."
Die Abschlusskonferenz der von der VW-Stiftung finanzierten Forschungsprojekte beleuchtete eine Vielzahl von Themen rund um Migration und Integration. Letztere, darin waren sich die Experten einig, darf nicht allein bedeuten, sich an die deutsche Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Beispiel Sprache:
"In Deutschland liegt der Fokus der Öffentlichkeit jedoch nach wie vor auf den Deutschkenntnissen der Kinder. Wenn man aber nachguckt, was wirklich bedroht ist, das sind (...) weniger die Deutschkenntnisse der Kinder, sondern das sind vor allen Dingen die Minoritätensprachen. (…)
Es ist selten, dass jemand wirklich dritte Generation ist und dann auch noch die Sprache der Eltern hinreichend kann. Oft können die Kinder das noch passiv, aber sie können es nicht mehr aktiv sprechen. Also das ist etwas, was wirklich unterschätzt wird, wie wenig das vorhanden ist."
Birgit Leyendecker hat die Bedeutung der sprachlichen Entwicklung im Kindergartenalter untersucht. Kinder, die bilingual aufwachsen, können mit den Eltern einen vertrauten Umgang pflegen – sei es über Kinderlieder im Kleinkindalter, sei es das strittige abendliche Nachhause-Kommen im Jugendalter. Zugleich können sie sich mit der außerfamiliären Umwelt verständigen. Diese Kinder zeigten weniger depressive Anzeichen und waren selbstbewusster als jene, denen die gemeinsame Sprache mit den Eltern fehlte, berichtete die Entwicklungspsychologin von der Ruhr-Uni Bochum.
Paradoxerweise gilt das Aufwachsen mit Deutsch und Französisch als positiv. Dagegen löst eher Unbehagen aus, wenn die Kinder Deutsch und Türkisch lernen. Auch werde nur wenig registriert, dass 70 Prozent von rund drei Millionen türkischstämmigen Bürgern gut bis sehr gut Deutsch sprechen. In die öffentliche Kritik gerät jene Million Menschen, die sich nur schwer verständigen kann und überwiegend der ersten Generation angehört.
Die Integration der zweiten Generation, der im Einwanderungsland Geborenen, hat Jens Schneider in acht europäischen Ländern verglichen. Es handelt sich um knapp 10.000 befragte 18- bis 35-Jährige, von denen ein oder beide Elternteile in der Türkei, Marokko oder im ehemaligen Jugoslawien geboren wurden. Der Migrationsforscher und Ethnologe stellt fest, wie sehr der gesellschaftliche Kontext das Leben Eingewanderter und ihrer Familien prägt:
"Ein Einfluss des elterlichen Bildungshintergrunds auf den späteren Schulerfolg, der nirgendwo so stark durchschlägt wie in Deutschland. (…) Und wir haben das interessante schwedische Beispiel: Da spielt der elterliche Bildungshintergrund überhaupt keine Rolle, weder in die eine noch in die andere Richtung."
Zentral sei neben fördernden Eltern und Lehrern das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Je mehr gemeinsame Jahre, desto größer ist erstens die Wahrscheinlichkeit, auf die Universität zu kommen: In Deutschland gelingt dies nur drei Prozent der zweiten Generation, in Frankreich immerhin 40 Prozent. Und desto größer ist zweitens die Wahrscheinlichkeit, später eine gut qualifizierte Arbeit zu bekommen:
"Da haben wir in Paris, Amsterdam über 20 Prozent und in Berlin sind es nur 8 Prozent. Noch mal die Übersetzung: Die versuchte Verwertung eines Bildungsabschlusses auf dem Arbeitsmarkt, das funktioniert eben, wenn man keinen guten Bildungsabschluss hat, dann kann man auch auf dem Arbeitsmarkt nur mit sehr sehr großen Schwierigkeiten und über sehr lange Zeit in die wirklich gut qualifizierten Jobs kommen."
Her muss nun eine Art postmigrantischer Ansatz. In einem Land, in dem bereits mehrere Generationen von Einwanderern leben, sei das Moment der Migration abgeschlossen – und das Ankommen habe längst begonnen. Jens Schneider über die besondere Rolle der zweiten Generation:
"Die Kernbotschaft ist, wir haben Einwanderung noch nicht verstanden. Die zweite Generation muss einfach als eine hier zugehörige einheimische Bevölkerungsgruppe betrachtet und dann in vielen Aspekten einfach von der Elterngeneration getrennt werden. Es macht einen Riesenunterschied, ob wir über Migranten reden oder ob wir über hier geborene, aufgewachsene Kinder von Migranten sprechen, also was die Identität, das Zugehörigkeitsgefühl betriff usw. Wenn wir sie nicht ständig ausgrenzen würden oder wenn sie nicht ständig von uns zu hören kriegen würden, dass sie nicht dazugehören, dann hätten wir eigentlich kein Integrationsproblem."
"Auf der einen Seite Zuspruch zu Integration als Chance, auf der anderen Seite Deutschland im europäischen Vergleich an der Spitze, was muslimfeindliche Einstellungen angeht. Neben Polen, Ungarn und Italien. 46 Prozent der Deutschen geben an, es gibt zu viele Muslime in Deutschland bei einer Realzahl von fünf Prozent der Bevölkerung."
Der Durchschnitt der rund 8.000 Menschen, die Naika Foroutan befragt hat, glaubt dagegen, dass 20 Prozent Muslime hierzulande leben. Integration: ja, Vielfalt: ja – aber bitte ohne Muslime, sei eine weitverbreitete Einstellung, erzählt die Sozialwissenschaftlerin von der Berliner Humboldt-Universität.
Im Mittelpunkt ihrer Forschungen steht die öffentliche Wahrnehmung von Migranten, Migrantinnen und deren Nachkommen. Dass sich zum Beispiel türkischstämmige Menschen zunehmend im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt integrieren, belegt Foroutan mit Zahlen: Fünf Prozent der ersten türkischen Zuwanderer brachten höhere Bildungsabschlüsse wie Abitur oder Fachabitur mit. Mittlerweile weist ein Viertel der Menschen mit türkischem Hintergrund einen solchen Abschluss auf – auch wenn das noch deutlich weniger sei als bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund.
Die öffentliche Wahrnehmung zeige sich dagegen übersensibel in puncto kulturelle Integration. Kopftuch tragende Frauen etwa würden mit Überfremdung und mit: "Das werden immer mehr" assoziiert. Allerdings:
"Während in der ersten Generation noch 25,2 Prozent der Frauen angaben, immer ein Kopftuch zu tragen, sind es in der zweiten ca. 18 Prozent. Auch das spiegelt nicht die Wahrnehmung dessen wieder, was wir in der Gesellschaft im Rahmen dieses Diskurses immer wieder hören. Genauso wenig wie die Daten zum Schwimmunterricht (…) die belegen, 95 Prozent, also die überragende Mehrheit, nimmt am Schwimmunterricht teil."
Die Abschlusskonferenz der von der VW-Stiftung finanzierten Forschungsprojekte beleuchtete eine Vielzahl von Themen rund um Migration und Integration. Letztere, darin waren sich die Experten einig, darf nicht allein bedeuten, sich an die deutsche Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Beispiel Sprache:
"In Deutschland liegt der Fokus der Öffentlichkeit jedoch nach wie vor auf den Deutschkenntnissen der Kinder. Wenn man aber nachguckt, was wirklich bedroht ist, das sind (...) weniger die Deutschkenntnisse der Kinder, sondern das sind vor allen Dingen die Minoritätensprachen. (…)
Es ist selten, dass jemand wirklich dritte Generation ist und dann auch noch die Sprache der Eltern hinreichend kann. Oft können die Kinder das noch passiv, aber sie können es nicht mehr aktiv sprechen. Also das ist etwas, was wirklich unterschätzt wird, wie wenig das vorhanden ist."
Birgit Leyendecker hat die Bedeutung der sprachlichen Entwicklung im Kindergartenalter untersucht. Kinder, die bilingual aufwachsen, können mit den Eltern einen vertrauten Umgang pflegen – sei es über Kinderlieder im Kleinkindalter, sei es das strittige abendliche Nachhause-Kommen im Jugendalter. Zugleich können sie sich mit der außerfamiliären Umwelt verständigen. Diese Kinder zeigten weniger depressive Anzeichen und waren selbstbewusster als jene, denen die gemeinsame Sprache mit den Eltern fehlte, berichtete die Entwicklungspsychologin von der Ruhr-Uni Bochum.
Paradoxerweise gilt das Aufwachsen mit Deutsch und Französisch als positiv. Dagegen löst eher Unbehagen aus, wenn die Kinder Deutsch und Türkisch lernen. Auch werde nur wenig registriert, dass 70 Prozent von rund drei Millionen türkischstämmigen Bürgern gut bis sehr gut Deutsch sprechen. In die öffentliche Kritik gerät jene Million Menschen, die sich nur schwer verständigen kann und überwiegend der ersten Generation angehört.
Die Integration der zweiten Generation, der im Einwanderungsland Geborenen, hat Jens Schneider in acht europäischen Ländern verglichen. Es handelt sich um knapp 10.000 befragte 18- bis 35-Jährige, von denen ein oder beide Elternteile in der Türkei, Marokko oder im ehemaligen Jugoslawien geboren wurden. Der Migrationsforscher und Ethnologe stellt fest, wie sehr der gesellschaftliche Kontext das Leben Eingewanderter und ihrer Familien prägt:
"Ein Einfluss des elterlichen Bildungshintergrunds auf den späteren Schulerfolg, der nirgendwo so stark durchschlägt wie in Deutschland. (…) Und wir haben das interessante schwedische Beispiel: Da spielt der elterliche Bildungshintergrund überhaupt keine Rolle, weder in die eine noch in die andere Richtung."
Zentral sei neben fördernden Eltern und Lehrern das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Je mehr gemeinsame Jahre, desto größer ist erstens die Wahrscheinlichkeit, auf die Universität zu kommen: In Deutschland gelingt dies nur drei Prozent der zweiten Generation, in Frankreich immerhin 40 Prozent. Und desto größer ist zweitens die Wahrscheinlichkeit, später eine gut qualifizierte Arbeit zu bekommen:
"Da haben wir in Paris, Amsterdam über 20 Prozent und in Berlin sind es nur 8 Prozent. Noch mal die Übersetzung: Die versuchte Verwertung eines Bildungsabschlusses auf dem Arbeitsmarkt, das funktioniert eben, wenn man keinen guten Bildungsabschluss hat, dann kann man auch auf dem Arbeitsmarkt nur mit sehr sehr großen Schwierigkeiten und über sehr lange Zeit in die wirklich gut qualifizierten Jobs kommen."
Her muss nun eine Art postmigrantischer Ansatz. In einem Land, in dem bereits mehrere Generationen von Einwanderern leben, sei das Moment der Migration abgeschlossen – und das Ankommen habe längst begonnen. Jens Schneider über die besondere Rolle der zweiten Generation:
"Die Kernbotschaft ist, wir haben Einwanderung noch nicht verstanden. Die zweite Generation muss einfach als eine hier zugehörige einheimische Bevölkerungsgruppe betrachtet und dann in vielen Aspekten einfach von der Elterngeneration getrennt werden. Es macht einen Riesenunterschied, ob wir über Migranten reden oder ob wir über hier geborene, aufgewachsene Kinder von Migranten sprechen, also was die Identität, das Zugehörigkeitsgefühl betriff usw. Wenn wir sie nicht ständig ausgrenzen würden oder wenn sie nicht ständig von uns zu hören kriegen würden, dass sie nicht dazugehören, dann hätten wir eigentlich kein Integrationsproblem."