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Eine unnachgiebig pazifistische Haltung

Freya von Moltke und ihr Mann Helmuth James bildeten den Kern des "Kreisauer Kreises", einer Widerstandsgruppe gegen das Naziregime. Helmuth James von Moltke wurde verhaftet - und hingerichtet. Jetzt sind der Briefwechsel zwischen den Eheleuten und eine Biografie über Freya von Moltke erschienen.

Von Tom Goeller |
    Gestern auf den Tag genau vor 66 Jahren, am 23. Januar 1945, wurde Helmuth James Graf von Moltke im Alter von 37 Jahren in Berlin-Plötzensee von den Nazis hingerichtet. Das Urteil lautete auf "Hochverrat". Im Verlauf des Prozesses jedoch musste er erkennen: Der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, ging gegen ihn "als gegen den Christen schlechthin" vor, wie Moltke an seinen Freund, den Jesuiten-Pater Alfred Delp schrieb. Diese tief-religiöse, bibeltreue und unnachgiebig pazifistische Haltung tritt in nahezu jedem der Briefe der beiden Eheleute zutage, die sie während der Haft von Helmuth James im Gefängnis Berlin-Tegel zwischen dem 28. September 1944 und dem 23. Januar 1945 austauschten. Der Sohn Helmuth Caspar erklärt diese Haltung:

    "Ich würde sagen, dass man bedenken muss, dass meine beiden Eltern in die Kriegsjahre mit nur einer relativ losen Bindung an die Kirche hineingegangen sind. Und für mich ist diese Korrespondenz und überhaupt das Leben meiner Eltern ein Zeichen dafür, dass wir das Christentum und ein gestandenes ethisches Gerüst besonders in sehr schweren Zeiten benötigen. Meine Mutter hat das mal so ausgedrückt: 'In solchen Zeiten genügen einfach liberale Ideen nicht mehr.' Und da ist dann das Christentum vonnöten oder auch eine andere Religion, an die der Mensch sich halten kann."
    Es war der Gefängnispfarrer Harald Poelchau, der unter Einsatz seines Lebens nahezu täglich die privaten Briefe an den Wärtern vorbeischmuggelte und auf diese Weise dazu beitrug, dass nun auf beinahe 600 Druckseiten diese einmalige Korrespondenz 66 Jahre später von Deutschen gelesen werden kann, die all dies nur aus Geschichtsbüchern kennen. Dass diese tief bewegenden Briefe erst jetzt veröffentlicht werden, entspricht dem Wunsch ihrer Verfasser, sagt deren Schwiegertochter Ulrike von Moltke:

    "Sie sahen diese Briefe als ihren privaten Schatz an. Freya tat das ihr ganzes Leben lang. Da war nichts Indiskretes darin. Aber es war ihr so nahe und ich habe das manchmal gesehen wie einen geheimen Garten, in dem sie ging und die Pflanzen pflegte und woraus sie sich nährte und wo sie niemanden haben wollte, der die Pflänzchen breittreten würde. So hat sie sie während ihres Lebens verwahrt und dazu gesagt: 'Nach meinem Tod könnt ihr damit machen, was ihr wollt.'"

    Frauke Geyken eröffnet in ihrer Biografie über Freya von Moltke noch eine andere Perspektive. Sie berichtet, dass Freya sowie eine weitere Witwe eines Widerständlers, Clarita von Trott, den Historikern misstrauten, denn sie würden das "Nicht-Faktische" weder verstehen noch erkennen. Sohn Helmuth Caspar:

    "Als nach dem Kriege die ersten Informationen über den 20. Juli und die anderen Gruppen des deutschen Widerstandes an die Öffentlichkeit kamen, waren die Historiker eher nicht interessiert und fanden es wenig als Leistung. Und meine Mutter war der Meinung, dass sie diese emotionalen Briefe, die wir jetzt veröffentlichen, einer anderen Deutung unterworfen werden sollten."
    Einer Deutung nämlich, die diese Briefe als eine Art universelle Widerstandsliteratur interpretiert, als Dokument des Widerstands schlechthin, egal, zu welcher Zeit und an welchem Ort er ausgeübt wird:

    "Sie sind ein Zeugnis des Widerstandes generell, nicht nur des deutschen Widerstandes. Wir haben gerade in der letzten Zeit gesehen, dass in China ein Oppositioneller eingesperrt worden ist und den Friedensnobelpreis bekommen hat. Diese Tatsache, dass Unrechtsregime immer wieder ihre Opponenten einsperren und töten, ist ein wiederkehrendes Thema der Weltgeschichte. Und das ist, was in dieser Phase der Korrespondenz meiner Eltern vorliegt."
    Aus den letzten Briefen von Helmuth James erfährt man, dass er sich von einem gewissen Zeitpunkt an als Sämann verstand, wie er es ausdrückte, als einer, der die Saat für eine neue Zeit ausbrachte. Der 73-jährige Helmuth Caspar Graf von Moltke, der heute in New Hampshire in den USA lebt, ist überzeugt:

    "Die deutsche Demokratie ist heute eine pluralistische, offene Demokratie, an der sich alle Menschen aktiv beteiligen. Und das ist genau das, was mein Vater und seine Freunde erzielen wollten. Also: Ich glaube, in vieler Hinsicht ist die Saat sehr wohl aufgegangen."
    Diesen Erfolg konnte Freya von Moltke bis zum Januar 2010 miterleben. Sie starb mit 98 Jahren in den USA, wohin sie 1960 einer zweiten Liebe folgte, dem einstigen Lehrer ihres Mannes, dem Kulturphilosophen Eugen Rosenstock. Dank der Historikerin Frauke Geyken erfährt man nun endlich in dieser ersten Biografie über Freya von Moltke viele Hintergründe zu den Motivationen und Handlungen jener tapferen Frau, die lange Zeit im Schatten ihres Mannes und seiner Weggefährten stand. Auch schildert die Biografie die zahlreichen politischen Aktivitäten Freyas in den USA, die bislang hierzulande kaum oder gar nicht bekannt waren. Eine treffende Beschreibung, meint Ulrike von Moltke:

    "Was mich ganz besonders freut an dieser Biografie ist, dass eigentlich jetzt, wo sie zusammen mit den Abschiedsbriefen herauskommt und die Aufmerksamkeit so auf Freyas Zeit während des Widerstandes gerichtet ist, hier nun Freyas Leben in Amerika ins Licht rückt. Und Frau Geyken beginnt das sehr schön mit dem ersten Satz im Vorwort, wo sie sagt: 'Mit 49 Jahren packte sie ihre Koffer und zog zu dem von ihr geliebten Philosophen nach Vermont in die USA, wo sie dann weitere 49 Jahre lebte.' Das hat sie sehr schön und einfühlsam behandelt."
    Beide Bücher, die "Abschiedsbriefe" und die Biografie, sollten gemeinsam gelesen werden. Hier geht es nicht nur um den Aspekt des Widerstandes gegen Hitler. Wir erhalten darüber hinaus Einblicke in die großartige Liebe zweier Menschen, die von einer nihilistischen Gesellschaft herausgefordert wird, und parallel dazu neue Erkenntnisse über eine großartige Frau. Hier werden Gefühle angesprochen und die Identifikation mit den Protagonisten herausgefordert. In mehrfacher Hinsicht eignen sich beide Bücher für alle Altersschichten, für alle Kultur- und Religionszugehörigkeiten. Insofern spricht noch einmal der originale Geist des "Kreisauer Kreises" mit aller Kraft zu uns!

    Tom Goeller über Helmut James und Freya von Moltke: "Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel". September 1944-Januar 1945, 608 Seiten kosten 29 Euro95, ISBN: 978-3-406-61375-3. Und: Frauke Geyken: "Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben 1911-2010", die 287 Seiten kosten 19 Euro 95, ISBN: 978-3-406-61383-8. Beide Bücher sind bei C.H. Beck erschienen. Die zweite Biografie über Freya von Moltke wird Anfang Februar in den Buchläden eintreffen. Sylke Tempel hat sie geschrieben. "Ein Leben. Ein Jahrhundert" lautet der Untertitel, sie erscheint bei Rowohlt Berlin. 224 Seiten gibt's dann ebenfalls für 19 Euro 95.