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Eine unterhaltsame Reise ins dunkle Herz Frankreichs

Er gehört zu den großen Realisten der französischen Comics: In "Wieder unterwegs" schickt der Comic-Zeichner Baru seine Protagonisten Edith und André auf Reise durch die französische Provinz. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

Von Christian Gasser |
    Nach 25 Ehejahren packt Edith ihr Bündel und trampt wie damals, in den frühen Siebzigerjahren, durch Frankreich; André schmeißt seinen Job und macht sich auf die Suche nach ihr.

    In kurzen Stories, mal aus Ediths, mal aus Andrés Perspektive, schildert Baru ihre Reisen durch die französische Provinz:

    Prügeleien im Dancing auf dem Land, unliebsame Begegnungen mit Kleingaunern, reaktionären Kneipenwirten und lüsternen Hotelbesitzerinnen,

    Rassismus, Sex und Gewalt im Alltag – schmutzige kleine Anekdoten also, Schlaglichter auf die wahre Seele des kleinstädtischen Frankreich.

    "Wieder unterwegs", das im französischen Original bereits vor 15 Jahren erschienen ist, sei kein optimistisches Buch, sagt Baru mit einem gewissen Understatement:

    Die beiden Erzähler, Edith und André, müssen erkennen, dass sich Frankreich in seinem tiefsten Herzen nicht verändert hat, ebenso wenig wie die Dreckskerle, die dort leben.

    Baru, der 66-jährige Sohn italienischer Einwanderer im nordfranzösischen Minengebiet, ist der große Realist unter den französischen Comiczeichnern.

    Schon zu Beginn seiner Karriere vor 30 Jahren verarbeitete er in seinen Geschichten persönliche Erfahrungen und Erinnerungen, die konsequent Themen wie Immigration und Rassismus umkreisen, Unterschicht und Unterwelt, gesellschaftliche Auf- und Abstiege.

    Diese Stoffe verdichtet Baru zu furiosen und immer unterhaltsamen Reisen ins dunkle Herz des damaligen und heutigen Frankreichs.

    "Wieder unterwegs" sei ein Buch über seine Generation und ihre Ideale.

    Was haben sie aus ihren Überzeugungen gemacht, und welche Spuren haben ihre Utopien in der Welt gelassen?

    Deshalb ist es kein Zufall, dass André seinem Autor ähnlich ist:

    Wie dieser trägt er seine ergraute Rock'n'Roll-Tolle und seine abgewetzte Lederjacke mit Würde … auch wenn er die Geschichten aus "Wieder unterwegs" nicht selber erlebt habe:
    Die meisten Geschichten hätten aber, betont Baru, einen wahren Kern.

    Barus Provinz ist nicht die Idylle, in der Gott das Leben genießt – Barus Provinz ist eine kleinkarierte, reaktionäre, rassistische, frauenfeindliche, gewaltbereite Gesellschaft, die sich in den letzten fünfzig Jahren kaum verändert hat und von Bosheit, Verschlagenheit, Heuchelei und Gier beherrscht wird.

    Das Frankreich des rechtsextremen Front National.

    Als sich Edith und André schließlich bei einem politischen Weggefährten aus den Siebzigerjahren treffen, verflüchtigen sich die letzten Reste ihres Glaubens an die alten Ideale:

    Der Aufbruch seiner Generation, so Baru, sei gescheitert und habe – zumindest im provinziellen Frankreich – keine Spuren hinterlassen:

    Ihre Utopien hätten sich verflüchtigt, und die Welt sei noch schlechter als damals, falls dies überhaupt möglich ist.

    Dieses ernüchterte Fazit bringt Baru in "Wieder unterwegs" allerdings ohne Larmoyanz, belehrende Moral und Nostalgie zum Ausdruck.

    Bei allem gesellschaftlichen und politischen Bewusstsein ist Baru in erster Linie ein großartiger Comic-Erzähler, der seine Geschichten auch zeichnerisch dynamisch umsetzt:

    Obschon er auch als Zeichner ein Realist ist, treibt er die Expressivität des Mienenspiels und der Gestik seiner Figuren bis hart an die Grenze zur Karikatur, und verleiht damit dem Geschehen einen mitreißenden Schwung.

    So verknüpft er seine Reise durch verblasste Utopien mit einem schonungslosen Bild des heutigen Frankreich zu einem hoch spannenden Road-Comic.

    Buchinfo:
    Baru
    "Wieder Unterwegs"
    Reprodukt Verlag, 20 Euro