Dirk Müller: Ko-Autor der Studie mit dem Titel "Das Amt und die Vergangenheit" ist auch der israelische Historiker Moshe Zimmermann. Er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!
Moshe Zimmermann: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Zimmermann, waren deutsche Diplomaten eindeutig am Massenmord beteiligt?
Zimmermann: Ja, eindeutig! Das wusste man schon früher, das wissen wir jetzt noch genauer. Die waren auf allen Ebenen daran beteiligt, die waren mindestens darüber informiert, darüber war das Außenministerium sehr gut informiert, und die haben daran teilgenommen als Diplomaten im Ausland und als Planer zu Hause in Berlin.
Müller: Welche Belege haben Sie beispielsweise gefunden?
Zimmermann: Wenn man sieht, dass man die Genehmigung des Auswärtigen Amts bekommen muss für die Vertreibung von Juden nach Auschwitz, von Frankreich nach Auschwitz, dann ist es eine eindeutige Sache. Das ist die eine Seite. Die andere Seite: Nehmen wir zum Beispiel die Idee von einem Beamten im Auswärtigen Amt, ein Juden-Referent namens Rademacher, der im Jahr 1940 selbst die Vertreibung aller europäischen Juden nach Madagaskar initiiert. Also das ist schon ziemlich klar, womit sich das Auswärtige Amt befasst und womit sich die Diplomaten befassen.
Müller: Jetzt haben Sie gesagt, Herr Zimmermann, im Grunde waren viele Dinge schon klar. Warum musste das jetzt sein, diese Studie?
Zimmermann: Erstens bin ich immer darüber erstaunt, wie oft die Leute – und ich nenne die Leute – was vergessen. Es gab ja einen Prozess gegen Diplomaten schon im Rahmen der Nürnberger Prozesse, das heißt im Jahr 1947, 1948. Es gab Bücher, Informationen auch im Laufe der Zeit, und trotzdem ist man immer wieder erstaunt darüber, dass die Informationen, die schon bekannt sind, irgendwie verschwinden, dass man in der Vergangenheit versucht hat – manchmal mit Absicht, manchmal nicht -, Dinge zu verdrängen.
Müller: Denken Sie da auch an Ernst von …
Zimmermann: Die Aufgabe dieses Buches oder dieser Recherche ist, hier einen gesamten Zusammenhang zu schaffen, und das haben wir auch getan.
Müller: Denken Sie auch Ernst von Weizsäcker in diesem Zusammenhang?
Zimmermann: Ja! Er ist ein hoher Beamter und das erste Dokument, das ich vorher erwähnt habe, paraphiert Ernst von Weizsäcker. Aber Ernst von Weizsäcker tut das schon von Beginn an. Wenn er als Vertreter des Außenministeriums darüber entscheiden muss, oder mindestens eine Empfehlung machen muss über das Ziel der jüdischen Auswanderung aus Deutschland, das heißt das Ziel der jüdischen Vertreibung aus Deutschland, soll es nach Palästina gehen, oder soll es nicht nach Palästina gehen, ist man schon mit beteiligt.
Müller: Wundert Sie das, Herr Zimmermann, dass Richard von Weizsäcker, sein Sohn, das immer bestritten hat?
Zimmermann: Der war ja der Anwalt seines Vaters und er hat die Fakten, die er kennengelernt hat, nicht beschritten. Das ist eine Frage der Auslegung der Fakten. Und der Satz, mit dem Sie vorher angefangen haben, man wollte Schlimmeres verhindern – es war immer eine Frage der Absicht und des Sinns der Sache. Wenn der Sinn der war, wir versuchen, Schlimmeres zu verhindern und deswegen kollaborieren wir auf einer bestimmten Ebene, um dann, wenn es zum Beispiel zum Krieg selbst kommt, Widerstand zu leisten, dann relativiert man eigentlich die Kollaboration am Holocaust, Kollaboration am Massenmord überhaupt, und dann ist die Frage, was war wichtiger, was ist eigentlich eher zu unterstreichen, die Kollaboration selbst, oder der Versuch, oder die Absicht, darüber hinaus etwas zu unternehmen, um sozusagen Schlimmeres zu verhindern.
Müller: Warum hat sich denn, Herr Zimmermann, so lange in Deutschland diese Legendenbildung gehalten, dass die Diplomaten "Schlimmeres verhindert haben"?
Zimmermann: Zum einen ist es der Versuch von Diplomaten selbst, ihre Geschichte so darzustellen als eine Geschichte eher von Widerstand, eher von Sauberkeit in einer Welt, die sehr grausam war, die Welt des Nationalsozialismus. Das war nicht nur das Außenministerium; auch das Militär, die Wehrmacht versuchte, sich im Nachhinein als sauberes Militär zu präsentieren. Zum anderen ist es eben das, was wir sonst im Kopf haben. Die Vorstellung von einem Außenministerium, von Diplomaten, ist die Vorstellung von guten Leuten, hochgebildeten Leuten, die können eigentlich an so etwas Grausamem wie die Massenmorde oder Holocaust nicht teilnehmen. Und mit diesem Bild im Kopf ist es einfach, sich so einen Mythos zu bilden von einem sauberen Auswärtigen Amt.
Müller: Kann man nach den Erkenntnissen, die Sie jetzt gewonnen haben, zusammen mit Ihren Historikerkollegen – Eckhard Conze zum Beispiel war ja auch dabei -, kann man da sagen, das Auswärtige Amt war eine verbrecherische Organisation?
Zimmermann: Die deutsche Gesellschaft zwischen 1933 und 1945 war eine verbrecherische Organisation oder eine verbrecherische Gesellschaft, und eine Organisation unter den anderen verbrecherischen Organisationen war auch das Auswärtige Amt. Aber das gleiche gilt auch für das Finanzamt oder für das Luftfahrtministerium und für andere. Das Problem ist – und das zeigt hier auch diese Studie -, dass das Fundament korrupt war. Das Fundament war nationalsozialistisch, das Fundament war rassistisch, und auf diese Art und Weise konnten auch die Organisationen, die Institutionen immer mitmachen, Initiativen ergreifen und dann auch zum Vollstrecker werden.
Müller: Aber für Sie steht das auch fest, dass das Auswärtige Amt in der späteren Zeit, also in der Zeit der Bundesrepublik, Aufklärung, Recherche verhindert hat?
Zimmermann: Das ist eine klare Sache. Die Kollegen, die sich damit befasst haben – das war nicht mein Kapitel in dieser Recherche -, der Kollege Frey und der Kollege Conze, haben das eigentlich sehr klar gezeigt. Man versuchte mit Absicht, das irgendwie zu vertuschen, zu verdrängen, und das neue Außenministerium der Bundesrepublik war zu großen Teilen ein Außenministerium der Leute, die an dem teilgenommen haben, was im Dritten Reich geschehen ist.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der israelische Historiker Moshe Zimmermann, Koautor einer Studie mit dem Titel "Das Amt und die Vergangenheit". Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Moshe Zimmermann: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Zimmermann, waren deutsche Diplomaten eindeutig am Massenmord beteiligt?
Zimmermann: Ja, eindeutig! Das wusste man schon früher, das wissen wir jetzt noch genauer. Die waren auf allen Ebenen daran beteiligt, die waren mindestens darüber informiert, darüber war das Außenministerium sehr gut informiert, und die haben daran teilgenommen als Diplomaten im Ausland und als Planer zu Hause in Berlin.
Müller: Welche Belege haben Sie beispielsweise gefunden?
Zimmermann: Wenn man sieht, dass man die Genehmigung des Auswärtigen Amts bekommen muss für die Vertreibung von Juden nach Auschwitz, von Frankreich nach Auschwitz, dann ist es eine eindeutige Sache. Das ist die eine Seite. Die andere Seite: Nehmen wir zum Beispiel die Idee von einem Beamten im Auswärtigen Amt, ein Juden-Referent namens Rademacher, der im Jahr 1940 selbst die Vertreibung aller europäischen Juden nach Madagaskar initiiert. Also das ist schon ziemlich klar, womit sich das Auswärtige Amt befasst und womit sich die Diplomaten befassen.
Müller: Jetzt haben Sie gesagt, Herr Zimmermann, im Grunde waren viele Dinge schon klar. Warum musste das jetzt sein, diese Studie?
Zimmermann: Erstens bin ich immer darüber erstaunt, wie oft die Leute – und ich nenne die Leute – was vergessen. Es gab ja einen Prozess gegen Diplomaten schon im Rahmen der Nürnberger Prozesse, das heißt im Jahr 1947, 1948. Es gab Bücher, Informationen auch im Laufe der Zeit, und trotzdem ist man immer wieder erstaunt darüber, dass die Informationen, die schon bekannt sind, irgendwie verschwinden, dass man in der Vergangenheit versucht hat – manchmal mit Absicht, manchmal nicht -, Dinge zu verdrängen.
Müller: Denken Sie da auch an Ernst von …
Zimmermann: Die Aufgabe dieses Buches oder dieser Recherche ist, hier einen gesamten Zusammenhang zu schaffen, und das haben wir auch getan.
Müller: Denken Sie auch Ernst von Weizsäcker in diesem Zusammenhang?
Zimmermann: Ja! Er ist ein hoher Beamter und das erste Dokument, das ich vorher erwähnt habe, paraphiert Ernst von Weizsäcker. Aber Ernst von Weizsäcker tut das schon von Beginn an. Wenn er als Vertreter des Außenministeriums darüber entscheiden muss, oder mindestens eine Empfehlung machen muss über das Ziel der jüdischen Auswanderung aus Deutschland, das heißt das Ziel der jüdischen Vertreibung aus Deutschland, soll es nach Palästina gehen, oder soll es nicht nach Palästina gehen, ist man schon mit beteiligt.
Müller: Wundert Sie das, Herr Zimmermann, dass Richard von Weizsäcker, sein Sohn, das immer bestritten hat?
Zimmermann: Der war ja der Anwalt seines Vaters und er hat die Fakten, die er kennengelernt hat, nicht beschritten. Das ist eine Frage der Auslegung der Fakten. Und der Satz, mit dem Sie vorher angefangen haben, man wollte Schlimmeres verhindern – es war immer eine Frage der Absicht und des Sinns der Sache. Wenn der Sinn der war, wir versuchen, Schlimmeres zu verhindern und deswegen kollaborieren wir auf einer bestimmten Ebene, um dann, wenn es zum Beispiel zum Krieg selbst kommt, Widerstand zu leisten, dann relativiert man eigentlich die Kollaboration am Holocaust, Kollaboration am Massenmord überhaupt, und dann ist die Frage, was war wichtiger, was ist eigentlich eher zu unterstreichen, die Kollaboration selbst, oder der Versuch, oder die Absicht, darüber hinaus etwas zu unternehmen, um sozusagen Schlimmeres zu verhindern.
Müller: Warum hat sich denn, Herr Zimmermann, so lange in Deutschland diese Legendenbildung gehalten, dass die Diplomaten "Schlimmeres verhindert haben"?
Zimmermann: Zum einen ist es der Versuch von Diplomaten selbst, ihre Geschichte so darzustellen als eine Geschichte eher von Widerstand, eher von Sauberkeit in einer Welt, die sehr grausam war, die Welt des Nationalsozialismus. Das war nicht nur das Außenministerium; auch das Militär, die Wehrmacht versuchte, sich im Nachhinein als sauberes Militär zu präsentieren. Zum anderen ist es eben das, was wir sonst im Kopf haben. Die Vorstellung von einem Außenministerium, von Diplomaten, ist die Vorstellung von guten Leuten, hochgebildeten Leuten, die können eigentlich an so etwas Grausamem wie die Massenmorde oder Holocaust nicht teilnehmen. Und mit diesem Bild im Kopf ist es einfach, sich so einen Mythos zu bilden von einem sauberen Auswärtigen Amt.
Müller: Kann man nach den Erkenntnissen, die Sie jetzt gewonnen haben, zusammen mit Ihren Historikerkollegen – Eckhard Conze zum Beispiel war ja auch dabei -, kann man da sagen, das Auswärtige Amt war eine verbrecherische Organisation?
Zimmermann: Die deutsche Gesellschaft zwischen 1933 und 1945 war eine verbrecherische Organisation oder eine verbrecherische Gesellschaft, und eine Organisation unter den anderen verbrecherischen Organisationen war auch das Auswärtige Amt. Aber das gleiche gilt auch für das Finanzamt oder für das Luftfahrtministerium und für andere. Das Problem ist – und das zeigt hier auch diese Studie -, dass das Fundament korrupt war. Das Fundament war nationalsozialistisch, das Fundament war rassistisch, und auf diese Art und Weise konnten auch die Organisationen, die Institutionen immer mitmachen, Initiativen ergreifen und dann auch zum Vollstrecker werden.
Müller: Aber für Sie steht das auch fest, dass das Auswärtige Amt in der späteren Zeit, also in der Zeit der Bundesrepublik, Aufklärung, Recherche verhindert hat?
Zimmermann: Das ist eine klare Sache. Die Kollegen, die sich damit befasst haben – das war nicht mein Kapitel in dieser Recherche -, der Kollege Frey und der Kollege Conze, haben das eigentlich sehr klar gezeigt. Man versuchte mit Absicht, das irgendwie zu vertuschen, zu verdrängen, und das neue Außenministerium der Bundesrepublik war zu großen Teilen ein Außenministerium der Leute, die an dem teilgenommen haben, was im Dritten Reich geschehen ist.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der israelische Historiker Moshe Zimmermann, Koautor einer Studie mit dem Titel "Das Amt und die Vergangenheit". Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.