Archiv


Eine verdiente Goldene Palme und ein paar Schönheitsfehler

Die Goldene Palme für Michael Hanekes Film "Amour" bei den Filmfestspielen in Cannes ist auch den fulminanten Hauptdarstellern zu verdanken - und absolut verdient. Insgesamt agierte die Jury bei der Preisvergabe jedoch recht mutlos.

Von Josef Schnelle | 28.05.2012
    Es ist also so gekommen, wie die meisten Beobachter es erwartet haben: Michael Haneke erhielt gestern Abend zum zweiten Mal in seiner Karriere eine goldene Palme - diesmal für sein emotionsgeladenes Sterbedrama "Amour". Seine beiden Hauptdarsteller Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant, auf die Jurypräsident Nanni Moretti so ausdrücklich hinweist, brachte er gleich mit auf die Bühne. Ihnen ist ein großer Teil des Beifalls im Grand Théâtre Lumière geschuldet, den die wichtigste Entscheidung der Jury erhielt.

    Fast ein wenig übereifrig vermeldete noch gestern Abend das Medienboard Berlin-Brandenburg, das diesen Film entscheidend gefördert hatte, seinen Anteil an diesem Erfolg. Die Berliner Firma X-Filme von Tom Tykwer produzierte mehrheitlich diesen Film und so kann man fast von einem deutschen Sieg sprechen mit diesem Film eines Österreichers, der in Paris und in Französisch mit französischen Darstellern gedreht worden ist. Die Deutschen haben es bitter nötig. Schließlich hatte es keinen einzigen deutschen Film in diesem Jahr beim größten und wichtigsten Filmfestival der Welt gegeben. Dafür immerhin jede Menge Beteiligungen an Filmen im Wettbewerb. Geld, das ist offenbar der wichtigste Beitrag Deutschlands zur internationalen Filmkultur.

    Der Jury darf man vorwerfen, dass sie doch sehr mutlos agierte. Wichtige Filme wie "Holy Motors" von Leos Carax und "Im Nebel" von Sergei Loznitsa wurden komplett übersehen. Dafür eine mittelmäßige Kritik an der italienischen Medienwelt "Reality" von Matteo Garrone unverständlicherweise mit dem Großen Spezialpreis bedacht, der normalerweise einem formal herausragenden Film zugedacht ist. Auch Ken Loach durfte sich über einen Großen Preis der Jury freuen für seine etwas uninspiriert wirkende Unterschichtkomödie "The Angels Share".

    Besonders überraschend wirkte der Regiepreis für Carlos Reygadas und seinen Film "Post Tenebras Lux", der bei der Pressevorführung noch mit einem heftigen Pfeifkonzert verabschiedet worden war. "Post Tenebras Lux" beschreibt in naturschönen Grüntönen ein paar Tage auf einem mexikanischen Landgut mit tragischem Ende. In ausführlichen Sequenzen lässt Reygadas, der sich mit seinen magisch aufgeladenen Filmen durchaus einen Namen gemacht hatte, seine eigenen Kinder niedlich vor Gewitterkulisse durch den Matsch laufen und Hunde Hunde nennen und Kühe Kühe.

    Die neunköpfige Jury mit Modeschöpfer Jean-Paul Gaultier zumindest als eifrigstem Kinogänger schon am frühen Morgen hatte es allerdings nicht leicht, aus all diesen Beiträgen ehemaliger Palmen- und sonstigen Preisgewinnern von Cannes ein künstlerisches Konzept zu erkennen, dass sich dann idealerweise in den Juryentscheidungen hätte widerspiegeln können. Das Prinzip der Wettbewerbsauswahl hieß in diesem Jahr "Festival des Copains". Alle verfügbaren alten Kumpels hatte man eingeladen und so ein Programm zusammenbekommen, das zumindest auf dem Papier durchaus vielversprechend schien. Neuentdeckungen waren so naturgemäß Mangelware. Und natürlich passte auch keine Frau in diese Männerdomäne.

    In dieser Angelegenheit versprach Gilles Jacob, mit 82 Jahren immer noch Präsident des Festivals, Besserung. Er sei sicher, dass der künstlerische Direktor Thierry Frémaux, der zu Beginn des Festivals die Kritik am Fehlen von Regisseurinnen noch arrogant beiseite gewischt hatte, für das nächste Jahr etwas sorgfältiger nach Beiträgen von Filmemacherinnen suchen werde. Immerhin gewinnen Frauen auf dem Regiestuhl in Berlin und Venedig immer wieder Preise und Applaus.

    Die 65. Ausgabe der Filmfestspiele von Cannes war kein besonderes Ruhmesblatt in deren Geschichte. Thierry Frémaux dürfte das insgeheim befürchtet haben. So war er sich nicht zu schade, eine fälschlicherweise als "Film Surprise" angekündigte Trailershow zu moderieren, die auf einige der Filme hinwies, die das Festival nicht zeigte, weil es sie entweder nicht bekommen hatte oder die, so ist die geläufige Sprachregelung, nicht fertig geworden sind wie die Filme von Wong Kar-Wai und Quentin Tarantino. Alberto Barbera , der neue Chef der Filmfestspiele von Venedig, lief mit einem breiten Lächeln herum. Er darf sich auf ein spannendes Festival in drei Monaten freuen.

    Mehr zum Thema:

    Goldene Palme für Michael Hanekes Film "Amour" (DLF)
    Die Neuentdeckungen - Eine Bilanz der Nebenreihen bei den Filmfestspielen (DLF)
    Schweres und Leichtes im Wettbewerb von Cannes (DLF)
    "Neues über dieses uralte Thema Liebe" - Produzent Stefan Arndt über den Wettbewerbsbeitrag von Michael Haneke (DKultur)