"Wenn Du Respekt haben willst bei Trump, musst Du rotzfrech auftreten", sagte Gysi. Falsch sei es dagegen, sich anbiedern zu wollen oder zu sehr auf Distanz zu gehen. "Trump mag starke Typen, also musst Du entsprechend stark auftreten." Es sei wichtig, dem neuen US-Präsidenten mutig und mit Widerstand zu begegnen, um sich Respekt zu verschaffen.
Gerade mit Blick auf Russland und die Lage in Israel müsse Europa stark und als Vermittler auftreten, betonte Gysi. Wie viele seiner Wahlversprechen Donald Trump letztendlich wirklich durchsetzen könne, sei jedoch abzuwarten. "Er denkt, er ist wirklich Präsident, also er denkt, er entscheidet allein die Dinge", sagte Gysi. Tatsächlich jedoch gebe es zahlreiche Einrichtungen in den USA, wie zum Beispiel die Justiz, die Trumps Macht und Entscheidungsgewalt deutlich einschränkten.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Am Telefon ist Gregor Gysi, der Präsident der Partei der Europäischen Linken. Guten Morgen!
Gregor Gysi: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
Heinemann: Herr Gysi, beginnen wir mit der Sicherheitspolitik. Trump hält die NATO bekanntlich für obsolet. Stimmen Sie ihm zu?
Gysi: Na ja. Wenn man zum Beispiel die NATO wirklich überwinden wollte, brauchten wir ein neues System der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, und dann unter Einschluss von Russland, damit wir wirklich den Frieden in Europa dauerhaft sichern und zum Beispiel solche Konflikte wie Russland-Ukraine auch ausgeschlossen sind. Aber das glaube ich nicht. Ich glaube schon, dass sie bei der NATO bleiben werden. Aber er will den Druck erhöhen, damit die anderen Staaten mehr bezahlen und er weniger.
"Er denkt, er entscheidet allein die Dinge"
Heinemann: Die Linke, Ihre Partei will ja auch die NATO auflösen, zu den Bedingungen, die Sie gerade geschildert haben. Trauen Sie es Trump zu, das umzusetzen?
Gysi: Nein, das glaube ich nicht. Wissen Sie, er begeht einen Irrtum, den Obama am Anfang auch begangen hat. Er denkt, er ist wirklich Präsident. Er denkt, er entscheidet allein die Dinge. Und dann hat Obama festgestellt, wie viele Einrichtungen es um ihn herum gibt, die ihn daran hindern, die doch auch was zu sagen haben. Und ich glaube, dass Trump auch die Justiz unterschätzt, die auch noch Entscheidungen trifft, etc., auch die Bindung an die Verfassung und anderes mehr. Deshalb glaube ich, dass sich dort die durchsetzen, die sagen, nee, wir machen die NATO nicht kaputt, sondern wir sorgen nur dafür, dass wir weniger zu bezahlen haben und die anderen mehr zu bezahlen haben. Sein Engagement wird allerdings zurückgenommen werden.
Das muss ja nicht schlecht sein. Es kommt immer darauf an, wie der Ersatz aussieht. Eigentlich wäre ich ja dafür, die NATO ist ja im Kalten Krieg entstanden, sie aufzulösen und zu sagen, wir machen ein neues System der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Aber ich glaube nicht daran, dass das jetzt passiert.
Trump wolle zurück zu einem "nationalen Egoismus"
Heinemann: Sie sagten gerade, der Präsident sei gar nicht so mächtig. Die Industrie gehorcht ihm aufs Wort. Immerhin, da hat er doch eine gewisse Macht.
Gysi: Das stimmt. Ich meine, was da an der Börse passiert und in der Industrie, das ist gewaltig. Und wenn er die Dinge umsetzt, die er plant, ist das insofern schrecklich, weil er bei einer globalisierten Wirtschaft wirklich zurück will zu einem ganz klar definierten nationalen Egoismus. Er hat ja sogar gesagt, Kriege führt er nur noch, wenn sie den USA nützen. Dass es da auch noch ein Völkerrecht gibt, das das verbietet oder nur unter ganz begrenzten Bedingungen gestattet, das nimmt er gar nicht zur Kenntnis. Er baut jetzt wirklich die Mauer zu Mexiko auf. Das ist dieselbe Illusion, die alle Rechten in Europa haben, dass sie denken, wenn man ein Problem unsichtbar macht, indem man eine Mauer errichtet, ist man das Problem los. Das ist völlig falsch! So eine Mauer hält auch nicht. Die wird irgendwann von Millionen gestürmt und dann entsteht eine unbeherrschbare Situation. Das halte ich alles für abenteuerlich, was er da vorhat.
"Die Politik der Mauern ist falsch"
Heinemann: Mit Blick auf die Geschichte waren es, glaube ich, nicht nur die Rechten, die Mauern gebaut haben.
Gysi: Nein, ich weiß!
Heinemann: Sahra Wagenknecht hat neulich noch gesagt, die Mauer in Berlin stabilisierte den Status quo der europäischen Nachkriegsordnung und so weiter und so fort. Also das ist kein rechtes Thema. Darauf können wir uns doch einigen, oder?
Gysi: Nein, aber Moment! Es gibt einen großen Unterschied. Die Mauer in Berlin diente dazu, die Leute aus ihrer Wohnung nicht herauszulassen. Die Mauern, die sie bauen, dienen ja dazu, niemanden hereinzulassen.
Heinemann: Und war das in Berlin nicht so schlimm?
Gysi: Nein, das ist rechtlich und moralisch ein Unterschied. Jemanden nicht reinzulassen ist nicht ganz so schlimm wie jemanden nicht rauszulassen. Die Mauer in Berlin war insofern schlimmer. Aber natürlich hatte sie auch was mit dem Kalten Krieg zu tun und die Sowjetunion war nicht bereit, die DDR herzugeben. Nur sie war natürlich ein Grottenfehler, weil sie ja bedeutete einzuräumen, dass dieses System gar nicht halten kann, wenn man die Leute nicht einmauert. Deshalb sage ich noch mal: Die Politik der Mauern ist falsch. Aber solange wie die Berliner Mauer - der Vergleich ist sowieso nicht zulässig - werden die Mauern, um Leute nicht reinzulassen, auch gar nicht halten. Ich sage Ihnen: Anderthalb bis zwei Jahre, dann werden sie gestürmt und dann entsteht eine unbeherrschbare Situation.
"Ein Linker steht an der Seite aller Schwachen"
Heinemann: Rein und raus - bleiben wir noch mal bei der Wirtschaft. Trump möchte Unternehmen bestrafen, die Arbeitsplätze ins billige Ausland verlagern. Inwiefern unterscheidet er sich damit von der Linkspartei?
Gysi: Wir bestrafen ja keine Unternehmen, die Arbeitsplätze verlagern, sondern wir kämpfen darum, dass es nicht mehr das billige Ausland gibt. Auch die Gewerkschaften müssen begreifen: Bei einer globalisierten Wirtschaft gibt es auch eine globalisierte Arbeitswelt. Also gehen uns die Löhne in Polen, in Ungarn, aber auch in Indien und in anderen Ländern etwas an.
Heinemann: Herr Gysi, ganz kurz! Exakt das, was Trump formuliert hat, ist das Programm der französischen Linken, zum Beispiel von den linken Sozialisten bis zu den Linksextremisten.
"Er meint ja nur die Amerikaner"
Gysi: Ich werde Ihnen sagen, was der große Unterschied ist zwischen links und rechts, auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen. Der Unterschied ist einer, den habe ich jetzt auch formuliert. Ein Linker steht an der Seite aller Schwachen. Wer nur an der Seite entweder der deutschen oder der amerikanischen Schwachen steht und nicht der anderen Schwachen, ist nicht links. Der kann sogar ganz rechts sein. Das ist der gravierende Unterschied. Deshalb unterscheide ich mich hinsichtlich der Flüchtlingspolitik zum Beispiel gravierend von Herrn Trump, weil er ja nur will, dass es den Amerikanern besser geht. Wie es den Mexikanern und den anderen geht, das ist ihm völlig Wurst. Ganz im Gegenteil! Deshalb ist er überhaupt nicht links, sondern absolut rechts.
Heinemann: Aber immerhin: Er hat gesagt, wir müssen uns um die vergessenen Menschen kümmern, vulgo die Leute, die in bescheidenen Verhältnissen leben. Ist das die richtige Zielgruppe?
Gysi: Wenn er die Welt meint, ja. Aber er meint ja nur die Amerikaner, und das ist genau der nationale Egoismus, der nicht führt. Ich sage Ihnen, in der schlimmsten deutschen Zeit, der hat auch was getan für die Armen in Deutschland. Aber die anderen? - Die anderen haben ihn nicht interessiert. Die hat er zum Teil umgebracht und so weiter. Ganz schlimm! Nein, das ist nicht links. Glauben Sie mir, das ist nicht links. Links ist man erst, wenn man ein Herz für alle Schwachen auf diesem Planeten hat und nicht nur für die eigene Nationalität.
"Der Trump ist der Typ, der immer an der Seite der Stärkeren steht"
Heinemann: Zum Beispiel, indem man gegen Freihandel ist, was ja die Linken auch sind. TPP ist vom Tisch, dieses Abkommen mit Asien und den Pazifik-Anrainern. Hat Trump da richtig entschieden?
Gysi: Ich bin ja der Meinung, das hängt immer davon ab, was da vereinbart ist. Bei TTIP ging es darum, dass der Verbraucherschutz, die Rechtsstaatlichkeit, vieles bei uns abgebaut werden sollte. Deshalb waren wir dagegen. Und übrigens, das ist auch nicht neu. Wenn eine völlige Fehlentwicklung eingeleitet wird, gibt es immer auch ein paar positive Momente. Ich nenne Ihnen zwei. Dass TTIP weg ist, das begrüße ich, weil ich glaube, das hätte uns schwer benachteiligt. Aber das zweite ist: Das Verhältnis zwischen Obama und Putin hat nie gestimmt, hätte auch zwischen Clinton und Putin nicht gestimmt. Zwischen den beiden könnte die Chemie stimmen. Das hebt natürlich den Interessenkonflikt nicht auf, aber wenn sie dann doch einen Kompromiss finden in Bezug auf Syrien und vielleicht auch in Bezug auf die Ukraine, dann haben wir eine Situation, wo wenigstens der Krieg in Syrien beendet wird. Ich fand ja die Sanktionen gegen Russland immer falsch. Zwar war die Krim völkerrechtswidrig, das ist völlig klar, aber der Krieg der USA gegen den Irak war auch völkerrechtswidrig. Da haben wir ja auch keine Sanktionen beschlossen. Das merkt die Regierung natürlich.
Und jetzt kritisiere ich natürlich Putin, weil er so gegen die EU eingestellt ist. Wegen der Sanktionen unterstützt er jetzt rechtspopulistische Parteien, macht er jetzt seinen Frieden mit Erdogan etc. Das ist alles ganz extrem negativ, aber meine Regierung denkt immer, ein Alphabet kennt nur das A. Aber ein Alphabet geht von A bis Z und Putin reagiert entsprechend. Also sage ich, wir müssen uns jetzt Mühe geben, das Verhältnis zu Russland wieder auf eine ganz andere Ebene zu heben. Der Trump wird das machen, und ich kann Ihnen auch sagen warum. Der Trump ist der Typ, der immer an der Seite der Stärkeren steht. Deshalb wird er allein Israel unterstützen, Palästina ist ihm Wurst. Da wird er nichts machen. Putin hält er für stark, weil es doch eine atomare Weltmacht ist. Deshalb wird er mit ihm hinkommen. Unsere Regierung muss zwar auch hinkommen mit Putin, muss eine ganz andere Politik machen, aber zum Beispiel bei Israel und Palästina müssen wir zum Vermittler werden. Wir müssen mal eine eigene Rolle finden und souverän und übrigens auch frech gegenüber Trump auftreten. Sonst haben wir gar keine Chance.
"Die einen werden katzbuckeln, die anderen werden Distanz halten"
Heinemann: Ist der Mann eine Chance für Europa?
Gysi: Nein. Im Gegenteil! Ich meine, es könnte theoretisch sein, aber es wird nicht passieren, dass sich jetzt alle EU-Regierungen einigen und sagen, so treten wir gegenüber den USA auf, aber das können Sie vergessen. Die einen werden katzbuckeln und sich anbiedern, die anderen werden eine Distanz halten. Wenn Du einen Respekt haben willst bei Trump, musst Du rotzfrech auftreten und souverän. So was mag er. Dann lernt er auch, mit Dir umzugehen. Aber wenn Du Dich schon wieder anbiederst und dann nichts sagst, wenn er jetzt wieder die Folter mit dem halben Wassertod einführen will und so, was ja alles gegen Menschenrechte verstößt, und dann traust Du Dich gar nicht, was dagegen zu sagen, dann bist Du auch bei ihm erledigt. Der mag starke Typen, also musst Du entsprechend stark auftreten.
Heinemann: Gregor Gysi, der Präsident der Partei der Europäischen Linken. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Gysi: Bitte schön! Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.