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Eine würdige Art der Erinnerung

Für den Journalisten Heinrich Wefing ist das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma ein Ort des Innehaltens und des Gedenkens. Auch heute noch würde die Volksgruppe, vor allem in Osteuropa, massiv und zunehmend diskriminiert.

Heinrich Wefing im Gespräch mit Dina Netz |
    Dina Netz: Die Einweihung von Mahnmalen, die an den Holocaust erinnern, ist immer ein Moment des Innehaltens, der Trauer. Aber die Geschichte des Mahnmals, das heute eingeweiht worden ist, ist besonders bedrückend. Denn erst 1982 hat die Bundesrepublik Deutschland überhaupt anerkannt, dass Sinti und Roma von den Nazis systematisch ermordet wurden, dass es sich also überhaupt um Völkermord handelte. Eine halbe Million von ihnen haben die Nationalsozialisten umgebracht. Und die, die überlebten, mussten jahrzehntelang um die Anerkennung ihrer Leiden, Renten und Entschädigungen kämpfen. Um Ort und Art eines Denkmals für die Getöteten ist lange gerungen worden. Heute nun ist also das Mahnmal für die "von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma Europas" eingeweiht worden, in Berlin, ganz in der Nähe des Reichstags, im Beisein von Bundespräsident und Bundeskanzlerin. - Frage an Heinrich Wefing von der Wochenzeitung "Die Zeit": Es hat ja einen schier ewigen Streit um dieses Mahnmal gegeben. Würden Sie uns in Erinnerung rufen, wo da die Konfliktlinien eigentlich verliefen?

    Heinrich Wefing: Es gab nacheinander drei Konflikte. Der erste große Konflikt hing noch zusammen mit dem großen Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. Ein Streitpunkt war dort, wird an diesem Mahnmal nur der ermordeten Juden Europas erinnert, oder aller Opfer des Holocaust. Darum gab es den ersten Streit, der damit zu Ende ging, dass das Mahnmal von Peter Eisenman exklusiv der Erinnerung an die ermordeten Juden Europas gewidmet wird.
    Es gab dann einen zweiten Streit, der wurde zwischen den Opferverbänden selbst ausgetragen. Es gab einen sehr langen, teilweise traurig stimmenden Streit über die Widmung des Mahnmals, und im Zentrum stand die Frage, ob dieses Mahnmal den ermordeten Zigeunern gewidmet werden soll, oder ob in der Widmung von Roma als dem Oberbegriff dieses Volkes die Rede sein sollte. Das hat sich sehr, sehr lange hingezogen und führte dazu, dass das Mahnmal auf der zentralen Stele selbst keine Widmung trägt, sondern dass es Gedenktafeln ringsum gibt, die die Verfolgungsgeschichte schildern und auch auf diesen Streit und die Problematik der richtigen Bezeichnung dieser Opfergruppe hinweist.
    Und dann hat es schließlich zwischen dem großen israelischen Bildhauer und Landschaftsgestalter Dani Karavan und der Berliner Bauverwaltung und dem ausführenden Architekten in Berlin einen endlosen, auch sehr bitteren, teils juristisch geführten Streit darüber gegeben, wie das Denkmal gestaltet wird. Es ging da um Schweißnähte und deren Präzision, um Materialien, ob die dem Kunstwerk angemessen waren, und insgesamt um die Frage, was kann ein Architekt leisten und was muss ein Künstler verlangen von einer solchen Gedenkstätte. Dieser Streit ist jetzt endlich beigelegt und Dani Karavan hat sich dahingehend geäußert, dass er dies als eines wahrscheinlich seiner zentralen Werke durchaus anerkennt.

    Netz: Lassen Sie uns jetzt über dieses zentrale Werk reden, Herr Wefing. Dani Karavan hat einen "See der Erinnerung" entworfen. Beschreiben Sie das Mahnmal, wie es jetzt ist, doch bitte mal ein bisschen.

    Wefing: Der zentrale Gedanke ist ein Teich, ein Wasser-Bassin, das so glatt und dunkel da liegt wie ein dunkler Spiegel auf einer Lichtung am Rande des Tiergartens, 20 Meter von einem der Haupteingänge des Reichstags entfernt, wenige Schritte zum Brandenburger Tor entfernt, gleichzeitig kontemplativ durch diesen Lichtungsgedanken. An den Bäumen kann man heute jetzt schon den Herbst ablesen, das wird sich durch die Jahreszeiten ziehen. Das ist also ein Gedenkfeld, ein Landschaftsraum um diesen See herum, um diesen Teich, der sehr dunkel ist, wie ein dunkles Auge. Es sind Steine gelegt, auf diesen Steinen sind eingraviert die Orte, an denen Sinti und Roma ermordet wurden von den Nationalsozialisten. Und wenn man um das kreisrunde Wasserbecken herumgeht, sind auf den Steinen eingraviert auch die Worte, die Buchstaben eines Gedichts der Erinnerung.

    In der Mitte dieses Sees ist ein dreieckiger Stein. Das erinnert einerseits an das dreieckige graue Zeichen, das die Roma und Sinti bei den Nationalsozialisten tragen mussten als Kennzeichnung, wie die Juden den gelben Stern, und dieses dreieckige Steinelement ist die Spitze einer Stele, die sich aus dem Wasser erhebt, jeweils zur Mittagsstunde, und dann wieder versinkt. Das spielt mit Erinnerungen an Grabstätten, Gedenksteine und dergleichen. Und auf der Spitze wird jeden Tag zur Mittagszeit eine frische Blume abgelegt.

    Netz: Ist das eine würdige Art der Erinnerung an eine halbe Million Tote?

    Wefing: Das ist es in jedem Fall. Das ist ein Ort des Innehaltens und des Gedenkens, keine Frage. Es wird auch noch Musik eingespielt und manch einer stört sich vielleicht sogar zurecht an diesem Motiv mit der frischen Blume und dem Versinken der Stele. Ich hätte mir die Anlage insgesamt auch noch etwas schlichter vorstellen können, aber dass es ein Ort des Gedenkens und der Erinnerung und ein würdiger dazu, daran habe ich keinen Zweifel.

    Netz: Das Bittere an diesem Mahnmal ist ja eigentlich, dass die Verbandsvertreter von Sinti und Roma diese Gelegenheit der Einweihung nun auch nutzen, um darauf hinzuweisen, dass es mit ihrer Diskriminierung überhaupt nicht vorbei ist, und damit haben sie ja leider durchaus Recht, oder?

    Wefing: Damit haben sie leider Recht. Die Roma und Sinti werden überall in Europa, vor allen Dingen in Osteuropa, massiv und zunehmend diskriminiert. Gerade in einigen Staaten Osteuropas, im ehemaligen Jugoslawien, in Ungarn, in der Slowakei, gibt es massive Verfolgung bis hin zu körperlichen Übergriffen, es hat auch schon Tote gegeben. Deswegen gibt es auch eine sprunghaft ansteigende Zahl von Flüchtlingen aus Osteuropa, die in Deutschland um Asyl bitten. Darum ist in diesen Tagen – und das ist in der Tat eine bittere Pointe – in Deutschland eine Debatte entstanden, ob diese malträtierten armen Menschen politisch Verfolgte sind und deswegen Asyl bei uns beanspruchen können oder nicht. Der Bundesinnenminister hat sich da eher ablehnend geäußert. Vielleicht hat er sogar Recht, weil es keine politische Verfolgung ist. Trotzdem ist es eine merkwürdige Koinzidenz, dass diese beiden Ereignisse, diese Debatte um die Verfolgung von Roma heute im Jahr 2012 mitten in Europa und die Einweihung dieses Mahnmals für die ermordeten Roma und Sinti, in eins fällt, an einem Tag, in einer Woche.

    Netz: Heinrich Wefing von der "Zeit" über das heute eingeweihte Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin.


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