Dans mon pays, les tendres preuves du printemps et les oiseaux mal habillés sont préférés aux buts lointains.
La vérité attend l`aurore à côté d`une bougie. Le verre de fenêtre est négligé. Qu`importe à l`attentif.
Dans mon pays, on ne questionne pas un homme ému.
Il n`y a pas d`ombre maligne sur la barque chavirée.
Bonjour à peine, est inconnu dans mon pays.
On n`emprunte que ce qui peut se rendre augmenté.
Il y a des feuilles, beaucoup de feuilles sur les arbres de mon pays. Les branches sont libres de n`avoir pas de fruits.
On ne croit pas à la bonne foi du vainqueur.
Dans mon pays, on remercie.
(in: Die Bibliothek in Flammen und andere Gedichte, p.48)
Dieses Gedicht "Qu`il vive!" - zu deutsch: "Es lebe!" - stammt von René Char, einem der größten französischen Dichter des Jahrhunderts. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1955. An René Chars Art des Vortrags fällt auf, daß ihr alles Pathos abgeht: da spricht kein "voyant", kein Seher-Dichter. Dennoch ist, was René Char in dem Gedicht "Qu`il vive!" zu Gehör bringt, geschieden vom alltäglichen, utilitaristisch deformierten Gebrauch der Rede. In sachlichem Tonfall wird ein utopisches Land entworfen, ein Land, das es nicht gibt, - das es indes geben sollte. René Char zufolge ist es jedoch "nur ein Wunsch im Geist, ein Gegen-Grab." Alle Beschränkungen des Daseins wären dort aufgehoben. Und doch herrschten Bescheidenheit und Dankbarkeit, umfassende Nachsicht und eine Aufrichtigkeit, von der nur diejenigen ausgeschlossen wären, die in der Geschichte obenauf sind. Ihnen allein gegenüber wäre weiterhin Mißtrauen geboten: "Der Redlichkeit des Siegers traut man nicht." So lautet eine warnende Regel, die in jenem Land, das René Char für wünschenswert hält, zum Bestand der gesicherten Erkenntnis gehörte. Daran zeigt sich eines: daß der in "Qu`il vive!" niedergelegte poetische Gegenentwurf zur gemeinen Realität weniger naiv ist, als abgebrühte Gemüter annehmen mochten - ja, daß die in René Chars Gedicht dargelegten Prinzipien womöglich triftiger, weil machtkritischer sind, als jene, die hierzulande als normal gelten. René Char hegt daran keinen Zweifel. Aber er möchte nicht mit einem Verfechter eines überspannten, in seiner Konsequenz evasiven Idealismus verwechselt werden. Weshalb er schon im Eingangsvers des Gedichts "Qu`il vive!" bekennt: "In meinem Land zieht man die zarten Beweise des Frühlings und die dürftig gekleideten Vögel den Fernzielen vor." Damit gibt sich René Char als eigentümlich handlungsorientierter Wortvisionär zu erkennen, der seine Aufmerksamkeit auch dem Geringfügigen schenkt. Das hält ihn nicht davon ab, auf eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zu dringen, ihren Zumutungen und Zwängen. Chars Ethik und Poetik ist, was das zurückhaltend vorgetragene Gedicht "Qu`il vive!" ("Es lebe!") kaum ahnen läßt, eine Revolte; denn erst in ihr - und nur in ihr! - findet sich René Char zufolge der Mensch.
Die Poesie des 1907 im provenzalischen Isle-sur-Sorgue geborenen René Char verdankt ihre Anstöße dem Surrealismus. Doch ihre Unverwechselbarkeit erlangt sie in den Kriegsjahren, durch die Erfahrung der Résistance - als der linksavantgardistische Poet René Char nach der militärischen Niederlage Frankreichs gegen Nazideutschland nicht bereit ist, die Waffen zu strecken, sondern als Partisan den Kampf weiterführt: René Char war als Capitaine Alexandre verantwortlich für den Bereich Durance-Sud der A.S., der Armée Secrète, also der im besetzten Land operierenden französischen Widerstandskräfte. - Nichtsdestoweniger irrt, wer ihn deshalb für einen patriotischen Dichter hält. René Char verfaßte keine Durchhaltehymnen fürs geknechtete Vaterland. Er hat während des Krieges zwar weitergeschrieben, aber keine Zeile veröffentlicht. Wenn er sein Leben riskierte, so tat René Char das weniger der abstrakten Nation zuliebe - da ist für ihn die konkrete Region wichtiger -, als um der Freiheit willen! Insofern verteidigte er mit Waffengewalt - und in fast aussichtsloser Lage - die Möglichkeit von Poesie, - auch wenn er das Dichten im herkömmlichen Sinn vorübergehend einstellte. Damit wollte René Char Zeugnis ablegen vom Widerstand eines seiner Pflichten bewußten Humanismus, wie er in der Einleitung seiner "Feuillets d`Hypnos" festhält. Dies sind seine erst nach dem Krieg publizierten "Aufzeichnungen aus dem Maquis" der Jahre 1943-1944. In der vierbändigen René Char-Ausgabe des Fischer Taschenbuch Verlags ist ihnen ein gesonderter, bereits 1990 erschienener Band vorbehalten. Gleichwohl sind Teile der Hypnos-Aufzeichnungen auch in dem nunmehr präsentierten, letzten Band der Char-Edition wieder abgedruckt; denn dieser Abschlußband - er trägt den fordernd schönen, eine Char-Zeile aufgreifenden Titel: "Einen Blitz bewohnen" - soll in Verbindung mit einem eingehenden Kommentar eine repräsentative Werkprobe des Autors darbieten. Für Herausgeber Horst Wernicke, der ein ausgewiesener Char-Kenner ist, führte aus diesem Anlaß an den "Feuillets d'Hypnos" neuerlich kein Weg vorbei. Aus der von ihm für den Band "Einen Blitz bewohnen" getroffenen Auswahl aus den Maquisaufzeichnungen René Chars seien hier stellvertretend drei der insgesamt 237, mit fortlaufenden Nummern versehenen und Albert Camus gewidmeten Hypnos-Notizen wiedergegeben. Ins Deutsche übertragen hat sie kein Geringerer als Paul Celan:
4 Stoisch sein heißt erstarren, erstarren mit den schönen Augen des Narziß. Wir haben den Schmerz berechnet, den der Henker jedem Zoll unseres Körpers abgewinnen könnte; dann gingen wir hin, gepreßten Herzens, und standen dagegen.
22 DEN VORSICHTIGEN: Es fällt Schnee im Maquis, und es wird Jagd gemacht auf uns, unausgesetzt. Ihr in euren tränenlosen Häusern, mit eurem alle Liebe erstickenden Geiz darin, eurem warmen Tagaus-und-Tagein: euer Feuer ist ein Krankenwärter, sonst nichts. Zu spät. Der Krebs in euch hat gesprochen. Die Heimat hat keinerlei Macht mehr.
62 Unserer Erbschaft ist keinerlei Testament vorausgegangen.
(p.25; 25; 27) (Aus: Hypnos. Aufzeichnungen aus dem Maquis (1943-1944) (Widmung: Für Albert Camus)
René Char handelt als Dichter, der gegen die nazistischen Unterdrücker zu den Waffen greift, nicht auf Geheiß der Tradition, sondern aus eigenem Antrieb. Hypnos ist der griechische Gott des Schlafes und des Traums. Von ihm heißt es bei René Char: "Hypnos devint feu" - Hypnos wurde zu Feuer. Einer Feststellung, der Hypnos-Autor Char nur lakonisch hinzufügt: "Das weitere ist Sache der Menschen." Ihren Mut jedenfalls entflammt Hypnos' Verwandlung.
Der von Horst Wernicke herausgegebene Abschlußband der René Char-Edition im Fischer Taschenbuch Verlag setzt mit seiner Auswahl im Jahre 1936 an, das heißt, er berücksichtigt, wie auch die vorangegangenen Bände, das Frühwerk nicht. Er konzentriert sich statt dessen auf den nachsurrealistischen Char. Und für diesen ist eine andere Notizsammlung wesentlich, in der René Char sein gewandeltes poetisches Selbstverständnis zu fassen versucht. Sie heißt: "Partage formel", was die Übersetzer Johannes Hübner und Lothar Klünner mit "Unanfechtbarer Anteil" ins Deutsche gebracht haben. Auch aus "Partage formel" gibt der Band "Einen Blitz bewohnen" einzelne Passagen wieder. Dabei handelt es sich um Texte, die weniger als Gedichte anzusprechen sind, denn als Aphorismen. Der Sinn bietet sich in ihnen fragmentiert und komprimiert dar. Wiederum sind Chars Einlassungen in keine übergreifende kompositorische Ordnung gebracht, vielmehr sind sie auch diesmal nur aufgereiht. Es finden sich darunter nicht nur neuerlich Reflexionen übers Gewinnen und Scheitern, sondern auch bündige, wiewohl einfachem Verstehen sich sperrende Definitionen des Dichters und der Dichtung. Die Überschrift "Partage formel" ("Unanfechtbarer Anteil") bezieht sich aufs Unabdingbare der Poesie und den Auftrag desjenigen, der ihr Recht behauptet:
III Der Dichter verwandelt unterschiedslos die Niederlage in Sieg, den Sieg in Niederlage, Kaiser schon vor der Geburt, besorgt allein um die Ernte des Azurs.
XXVIII Der Dichter ist der Mann einseitiger Stabilität.
XXX Das Gedicht ist die verwirklichte Liebe der Sehnsucht, die Sehnsucht blieb.
XLIX Auf jeden Zusammenbruch der Beweise antwortet der Dichter mit einer Salve Zukunft.
(In: Unanfechtarer Anteil)
(p.19, 21, 21, 23)
Gewaltfrei ist sie für René Char nicht zu haben: die Zukunft. Ihn prägt hier die Erfahrung der tödlichen Bedrohung durch einen übermächtigen Feind und des Widerstands. Char läßt - einzig - ein anderes Wort als Synonym für "résistance" gelten - es ist: "l'espérance" - die Hoffnung. Sie ist untrennbar vom unbelehrbaren, unbezwinglichen Aufruhr. Er schreckt vor Gewalt nicht zurück. Aber es ist nicht die eines einzelnen, sondern die einer Gemeinschaft, die, konfrontiert mit dem Äußersten, zu allem entschlossen ist. Jede Salve zerreißt die Stille, kann begrüßen oder töten. Immer wird dabei aus mehreren Rohren zugleich gefeuert. Die vom Dichter abgefeuerte, jede deprimierende Verstandeslogik überbietende Salve Zukunft weist darauf hin, daß es keine individuelle Rettung gibt, sondern nur eine, die aus existentieller Notwendigkeit und ohne ideologischen Vorbehalt in der Mehrzahl, von vielen zusammen errungen wird - oder verfehlt. René Char hat "Partage formel" noch vor den "Feuillets d`Hypnos" im Versteck des Maquis 1941-1942 geschrieben. In Gänze aufgenommen hat er die Fragmentsammlung in den nach dem Krieg veröffentlichten Band "Fureur et mystère". Seine deutsche Übersetzung unter dem Titel "Zorn und Geheimnis" ist in einem 1991 publizierten Band der bei Fischer verlegten Char-Edition nachlesbar. Insgesamt betrachtet, ist an ihr die sorgfältige Kommentierung und die durchgängig zweisprachige Wiedergabe der Texte rühmenswert. Dabei sind verschiedene Übersetzer zu Werke gegangen - und nicht alle mit gleichem Erfolg. Doch die Übertragung eines Autors, wie René Char, stellt höchste Ansprüche; seine Poesie dürfte zum Schwierigsten zählen, was im Französischen im Lauf des Jahrhunderts zu Papier gebracht worden ist.
Die Char-Edition des Fischer Taschenbuch Verlags, für die Horst Wernicke die herausgeberische Verantwortung trägt, verdient mehr als Anerkennung - sie ist den Lesern dringend zu empfehlen. Dabei ist zu bedauern, daß die ersten drei Bände der Edition nur relativ geringes Echo gefunden haben. Vielleicht gelingt es aber durch den abschließenden vierten Auswahlband "Einen Blitz bewohnen", auch in Deutschland jenes Interesse für René Char zu wecken, das diesem Autor gebührt. Wenn man René Char den deutschen Lesern ans Herz legt, drängt sich ein Gedicht auf, darin vom Herzen selbst die Rede ist. Für Char ist das Herz die Metapher für den Lebenswillen des Menschen. Doch wer jetzt Gefühliges erwartet, verrät nur den eigenen Hang zum Klischee. René Char ist von dergleichen, wie das folgend zu hörende Gedicht "Le Martinet" belegt, turmhoch entfernt - und nicht nur ein zivilisationsgeschädigtes Herzflattern:
Der Turmsegler
Turmsegler mit den zu großen Flügeln, der da kreist und schreit seine Freude rings um das Haus. So ist das Herz.
Er läßt den Donner verdorren. Er sät in den heiteren Himmel. Streift er den Boden, schlitzt er sich auf.
Sein Widerpart ist die Schwalbe. Er verabscheut die häusliche. Was gilt das schon: Filigran des Turms?
Er rastet in dunkelster Höhlung. Niemand hat es so eng wie er.
Im Sommer der langen Helle streicht er davon in die Finsternis durch die Fensterläden der Mitternacht.
Kein Auge vermag ihn zu halten. Er schreit, das ist sein ganzes Dasein. Ein schmales Gewehr streckt ihn nieder. So ist das Herz.
René Char ist ein Dichter, der keine ästhetischen Kompromisse akzeptiert und sich allen Herausforderungen stellt: Für sein existentielles - und eben nicht nur literarisches - Engagement ist er bereit, "den Preis (...) zu zahlen", damit "das Unbetretbare als Spielraum (...) für die Phantasie seiner Sonnen (freigehalten wird)", wie Char in den einführenden Bemerkungen seiner Hypnos-Aufzeichnungen hervorkehrt. - Als der Krieg vorüber war, hat er im Jahre 1947 auch das Buch "Le Poème pulvérisé" ("Das pulverisierte Gedicht") veröffentlicht. Darin findet sich in der Sammlung poetischer Fragmente "A la santé du serpent" ("Auf das Wohl der Schlange") als 24ster Gedankensplitter ein einziger Satz. Er ist anspruchsvoll, verheißungsvoll - und will - vielleicht! - das Unmögliche. Der Abschlußband der von Horst Wernicke herausgegebenen René Char-Taschenbuch-Edition bezieht daraus den Titel:
"Bewohnen wir einen Blitz, so ist er das Herz der Ewigkeit."
Es gibt kein besseres Wissen.
La vérité attend l`aurore à côté d`une bougie. Le verre de fenêtre est négligé. Qu`importe à l`attentif.
Dans mon pays, on ne questionne pas un homme ému.
Il n`y a pas d`ombre maligne sur la barque chavirée.
Bonjour à peine, est inconnu dans mon pays.
On n`emprunte que ce qui peut se rendre augmenté.
Il y a des feuilles, beaucoup de feuilles sur les arbres de mon pays. Les branches sont libres de n`avoir pas de fruits.
On ne croit pas à la bonne foi du vainqueur.
Dans mon pays, on remercie.
(in: Die Bibliothek in Flammen und andere Gedichte, p.48)
Dieses Gedicht "Qu`il vive!" - zu deutsch: "Es lebe!" - stammt von René Char, einem der größten französischen Dichter des Jahrhunderts. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1955. An René Chars Art des Vortrags fällt auf, daß ihr alles Pathos abgeht: da spricht kein "voyant", kein Seher-Dichter. Dennoch ist, was René Char in dem Gedicht "Qu`il vive!" zu Gehör bringt, geschieden vom alltäglichen, utilitaristisch deformierten Gebrauch der Rede. In sachlichem Tonfall wird ein utopisches Land entworfen, ein Land, das es nicht gibt, - das es indes geben sollte. René Char zufolge ist es jedoch "nur ein Wunsch im Geist, ein Gegen-Grab." Alle Beschränkungen des Daseins wären dort aufgehoben. Und doch herrschten Bescheidenheit und Dankbarkeit, umfassende Nachsicht und eine Aufrichtigkeit, von der nur diejenigen ausgeschlossen wären, die in der Geschichte obenauf sind. Ihnen allein gegenüber wäre weiterhin Mißtrauen geboten: "Der Redlichkeit des Siegers traut man nicht." So lautet eine warnende Regel, die in jenem Land, das René Char für wünschenswert hält, zum Bestand der gesicherten Erkenntnis gehörte. Daran zeigt sich eines: daß der in "Qu`il vive!" niedergelegte poetische Gegenentwurf zur gemeinen Realität weniger naiv ist, als abgebrühte Gemüter annehmen mochten - ja, daß die in René Chars Gedicht dargelegten Prinzipien womöglich triftiger, weil machtkritischer sind, als jene, die hierzulande als normal gelten. René Char hegt daran keinen Zweifel. Aber er möchte nicht mit einem Verfechter eines überspannten, in seiner Konsequenz evasiven Idealismus verwechselt werden. Weshalb er schon im Eingangsvers des Gedichts "Qu`il vive!" bekennt: "In meinem Land zieht man die zarten Beweise des Frühlings und die dürftig gekleideten Vögel den Fernzielen vor." Damit gibt sich René Char als eigentümlich handlungsorientierter Wortvisionär zu erkennen, der seine Aufmerksamkeit auch dem Geringfügigen schenkt. Das hält ihn nicht davon ab, auf eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zu dringen, ihren Zumutungen und Zwängen. Chars Ethik und Poetik ist, was das zurückhaltend vorgetragene Gedicht "Qu`il vive!" ("Es lebe!") kaum ahnen läßt, eine Revolte; denn erst in ihr - und nur in ihr! - findet sich René Char zufolge der Mensch.
Die Poesie des 1907 im provenzalischen Isle-sur-Sorgue geborenen René Char verdankt ihre Anstöße dem Surrealismus. Doch ihre Unverwechselbarkeit erlangt sie in den Kriegsjahren, durch die Erfahrung der Résistance - als der linksavantgardistische Poet René Char nach der militärischen Niederlage Frankreichs gegen Nazideutschland nicht bereit ist, die Waffen zu strecken, sondern als Partisan den Kampf weiterführt: René Char war als Capitaine Alexandre verantwortlich für den Bereich Durance-Sud der A.S., der Armée Secrète, also der im besetzten Land operierenden französischen Widerstandskräfte. - Nichtsdestoweniger irrt, wer ihn deshalb für einen patriotischen Dichter hält. René Char verfaßte keine Durchhaltehymnen fürs geknechtete Vaterland. Er hat während des Krieges zwar weitergeschrieben, aber keine Zeile veröffentlicht. Wenn er sein Leben riskierte, so tat René Char das weniger der abstrakten Nation zuliebe - da ist für ihn die konkrete Region wichtiger -, als um der Freiheit willen! Insofern verteidigte er mit Waffengewalt - und in fast aussichtsloser Lage - die Möglichkeit von Poesie, - auch wenn er das Dichten im herkömmlichen Sinn vorübergehend einstellte. Damit wollte René Char Zeugnis ablegen vom Widerstand eines seiner Pflichten bewußten Humanismus, wie er in der Einleitung seiner "Feuillets d`Hypnos" festhält. Dies sind seine erst nach dem Krieg publizierten "Aufzeichnungen aus dem Maquis" der Jahre 1943-1944. In der vierbändigen René Char-Ausgabe des Fischer Taschenbuch Verlags ist ihnen ein gesonderter, bereits 1990 erschienener Band vorbehalten. Gleichwohl sind Teile der Hypnos-Aufzeichnungen auch in dem nunmehr präsentierten, letzten Band der Char-Edition wieder abgedruckt; denn dieser Abschlußband - er trägt den fordernd schönen, eine Char-Zeile aufgreifenden Titel: "Einen Blitz bewohnen" - soll in Verbindung mit einem eingehenden Kommentar eine repräsentative Werkprobe des Autors darbieten. Für Herausgeber Horst Wernicke, der ein ausgewiesener Char-Kenner ist, führte aus diesem Anlaß an den "Feuillets d'Hypnos" neuerlich kein Weg vorbei. Aus der von ihm für den Band "Einen Blitz bewohnen" getroffenen Auswahl aus den Maquisaufzeichnungen René Chars seien hier stellvertretend drei der insgesamt 237, mit fortlaufenden Nummern versehenen und Albert Camus gewidmeten Hypnos-Notizen wiedergegeben. Ins Deutsche übertragen hat sie kein Geringerer als Paul Celan:
4 Stoisch sein heißt erstarren, erstarren mit den schönen Augen des Narziß. Wir haben den Schmerz berechnet, den der Henker jedem Zoll unseres Körpers abgewinnen könnte; dann gingen wir hin, gepreßten Herzens, und standen dagegen.
22 DEN VORSICHTIGEN: Es fällt Schnee im Maquis, und es wird Jagd gemacht auf uns, unausgesetzt. Ihr in euren tränenlosen Häusern, mit eurem alle Liebe erstickenden Geiz darin, eurem warmen Tagaus-und-Tagein: euer Feuer ist ein Krankenwärter, sonst nichts. Zu spät. Der Krebs in euch hat gesprochen. Die Heimat hat keinerlei Macht mehr.
62 Unserer Erbschaft ist keinerlei Testament vorausgegangen.
(p.25; 25; 27) (Aus: Hypnos. Aufzeichnungen aus dem Maquis (1943-1944) (Widmung: Für Albert Camus)
René Char handelt als Dichter, der gegen die nazistischen Unterdrücker zu den Waffen greift, nicht auf Geheiß der Tradition, sondern aus eigenem Antrieb. Hypnos ist der griechische Gott des Schlafes und des Traums. Von ihm heißt es bei René Char: "Hypnos devint feu" - Hypnos wurde zu Feuer. Einer Feststellung, der Hypnos-Autor Char nur lakonisch hinzufügt: "Das weitere ist Sache der Menschen." Ihren Mut jedenfalls entflammt Hypnos' Verwandlung.
Der von Horst Wernicke herausgegebene Abschlußband der René Char-Edition im Fischer Taschenbuch Verlag setzt mit seiner Auswahl im Jahre 1936 an, das heißt, er berücksichtigt, wie auch die vorangegangenen Bände, das Frühwerk nicht. Er konzentriert sich statt dessen auf den nachsurrealistischen Char. Und für diesen ist eine andere Notizsammlung wesentlich, in der René Char sein gewandeltes poetisches Selbstverständnis zu fassen versucht. Sie heißt: "Partage formel", was die Übersetzer Johannes Hübner und Lothar Klünner mit "Unanfechtbarer Anteil" ins Deutsche gebracht haben. Auch aus "Partage formel" gibt der Band "Einen Blitz bewohnen" einzelne Passagen wieder. Dabei handelt es sich um Texte, die weniger als Gedichte anzusprechen sind, denn als Aphorismen. Der Sinn bietet sich in ihnen fragmentiert und komprimiert dar. Wiederum sind Chars Einlassungen in keine übergreifende kompositorische Ordnung gebracht, vielmehr sind sie auch diesmal nur aufgereiht. Es finden sich darunter nicht nur neuerlich Reflexionen übers Gewinnen und Scheitern, sondern auch bündige, wiewohl einfachem Verstehen sich sperrende Definitionen des Dichters und der Dichtung. Die Überschrift "Partage formel" ("Unanfechtbarer Anteil") bezieht sich aufs Unabdingbare der Poesie und den Auftrag desjenigen, der ihr Recht behauptet:
III Der Dichter verwandelt unterschiedslos die Niederlage in Sieg, den Sieg in Niederlage, Kaiser schon vor der Geburt, besorgt allein um die Ernte des Azurs.
XXVIII Der Dichter ist der Mann einseitiger Stabilität.
XXX Das Gedicht ist die verwirklichte Liebe der Sehnsucht, die Sehnsucht blieb.
XLIX Auf jeden Zusammenbruch der Beweise antwortet der Dichter mit einer Salve Zukunft.
(In: Unanfechtarer Anteil)
(p.19, 21, 21, 23)
Gewaltfrei ist sie für René Char nicht zu haben: die Zukunft. Ihn prägt hier die Erfahrung der tödlichen Bedrohung durch einen übermächtigen Feind und des Widerstands. Char läßt - einzig - ein anderes Wort als Synonym für "résistance" gelten - es ist: "l'espérance" - die Hoffnung. Sie ist untrennbar vom unbelehrbaren, unbezwinglichen Aufruhr. Er schreckt vor Gewalt nicht zurück. Aber es ist nicht die eines einzelnen, sondern die einer Gemeinschaft, die, konfrontiert mit dem Äußersten, zu allem entschlossen ist. Jede Salve zerreißt die Stille, kann begrüßen oder töten. Immer wird dabei aus mehreren Rohren zugleich gefeuert. Die vom Dichter abgefeuerte, jede deprimierende Verstandeslogik überbietende Salve Zukunft weist darauf hin, daß es keine individuelle Rettung gibt, sondern nur eine, die aus existentieller Notwendigkeit und ohne ideologischen Vorbehalt in der Mehrzahl, von vielen zusammen errungen wird - oder verfehlt. René Char hat "Partage formel" noch vor den "Feuillets d`Hypnos" im Versteck des Maquis 1941-1942 geschrieben. In Gänze aufgenommen hat er die Fragmentsammlung in den nach dem Krieg veröffentlichten Band "Fureur et mystère". Seine deutsche Übersetzung unter dem Titel "Zorn und Geheimnis" ist in einem 1991 publizierten Band der bei Fischer verlegten Char-Edition nachlesbar. Insgesamt betrachtet, ist an ihr die sorgfältige Kommentierung und die durchgängig zweisprachige Wiedergabe der Texte rühmenswert. Dabei sind verschiedene Übersetzer zu Werke gegangen - und nicht alle mit gleichem Erfolg. Doch die Übertragung eines Autors, wie René Char, stellt höchste Ansprüche; seine Poesie dürfte zum Schwierigsten zählen, was im Französischen im Lauf des Jahrhunderts zu Papier gebracht worden ist.
Die Char-Edition des Fischer Taschenbuch Verlags, für die Horst Wernicke die herausgeberische Verantwortung trägt, verdient mehr als Anerkennung - sie ist den Lesern dringend zu empfehlen. Dabei ist zu bedauern, daß die ersten drei Bände der Edition nur relativ geringes Echo gefunden haben. Vielleicht gelingt es aber durch den abschließenden vierten Auswahlband "Einen Blitz bewohnen", auch in Deutschland jenes Interesse für René Char zu wecken, das diesem Autor gebührt. Wenn man René Char den deutschen Lesern ans Herz legt, drängt sich ein Gedicht auf, darin vom Herzen selbst die Rede ist. Für Char ist das Herz die Metapher für den Lebenswillen des Menschen. Doch wer jetzt Gefühliges erwartet, verrät nur den eigenen Hang zum Klischee. René Char ist von dergleichen, wie das folgend zu hörende Gedicht "Le Martinet" belegt, turmhoch entfernt - und nicht nur ein zivilisationsgeschädigtes Herzflattern:
Der Turmsegler
Turmsegler mit den zu großen Flügeln, der da kreist und schreit seine Freude rings um das Haus. So ist das Herz.
Er läßt den Donner verdorren. Er sät in den heiteren Himmel. Streift er den Boden, schlitzt er sich auf.
Sein Widerpart ist die Schwalbe. Er verabscheut die häusliche. Was gilt das schon: Filigran des Turms?
Er rastet in dunkelster Höhlung. Niemand hat es so eng wie er.
Im Sommer der langen Helle streicht er davon in die Finsternis durch die Fensterläden der Mitternacht.
Kein Auge vermag ihn zu halten. Er schreit, das ist sein ganzes Dasein. Ein schmales Gewehr streckt ihn nieder. So ist das Herz.
René Char ist ein Dichter, der keine ästhetischen Kompromisse akzeptiert und sich allen Herausforderungen stellt: Für sein existentielles - und eben nicht nur literarisches - Engagement ist er bereit, "den Preis (...) zu zahlen", damit "das Unbetretbare als Spielraum (...) für die Phantasie seiner Sonnen (freigehalten wird)", wie Char in den einführenden Bemerkungen seiner Hypnos-Aufzeichnungen hervorkehrt. - Als der Krieg vorüber war, hat er im Jahre 1947 auch das Buch "Le Poème pulvérisé" ("Das pulverisierte Gedicht") veröffentlicht. Darin findet sich in der Sammlung poetischer Fragmente "A la santé du serpent" ("Auf das Wohl der Schlange") als 24ster Gedankensplitter ein einziger Satz. Er ist anspruchsvoll, verheißungsvoll - und will - vielleicht! - das Unmögliche. Der Abschlußband der von Horst Wernicke herausgegebenen René Char-Taschenbuch-Edition bezieht daraus den Titel:
"Bewohnen wir einen Blitz, so ist er das Herz der Ewigkeit."
Es gibt kein besseres Wissen.