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Einer, der geblieben ist

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels überschlug sich mit Bewunderung für den kaum bekannten Friedenspreisträger 2011: Boualem Sansal. Der Algerier schreibt seit 1999 Romane und politische Essays, die auch auf Missstände in seiner Heimat aufmerksam machen.

Von Kersten Knipp |
    Er kritisiert sein Land, ist mit dessen Verhältnissen nicht zufrieden, kritisiert sie wieder und wieder, in Romanen und Essays, oder besser noch, Pamphleten. "Postlagernd Algier" heißt eine seiner Streitschriften, eine flammende Anklage der Missstände seines Landes, eines Landes, dessen Menschen leiden, die nicht froh werden an dem Staat, in dem sie leben. Und doch, verlassen will er Algerien nicht, oder besser: er kann es nicht, erlaubt es sich nicht.

    "Ich leben in Algerien, weil das mein Heimatland ist. Ich bin traurig, sehen zu müssen, dass alle algerischen Intellektuellen im Ausland leben. Man kann die Verhältnisse im Land nicht ändern, wenn man auswandert. Man muss an seinem Platz bleiben. Denn nur dort wird man seiner Verantwortung gerecht. Ein Intellektueller muss Verantwortung tragen. Er muss solidarisch sein. Ich könnte natürlich auch woanders leben. Aber man muss eben solidarisch sein, das selbe Leben wie seine Landsleute führen. Wenn Algerien irgendwann einmal demokratisch, ruhig, geordnet sein wird, nun, dann kann man ja gehen. Aber es gebt kaum mehr Schriftsteller in Algerien. Ich bin beinahe der einzige, der hier lebt. Ich finde das absurd."

    Weit ausholend, dann wieder in dichten Episoden, in atmosphärischen Ausleuchtungen und diskreter Symbolik beschreibt Boualem Sansal die Verhältnisse in Algerien, verwebt sie zu kompakten, kunstvoll miteinander verflochtenen Geschichten, die beiläufig die oft gedrückte Stimmung in dem Land auffangen, die Stagnation und Mutlosigkeit, die Kultur der Gewalt, die das Land so lange im Griff hatte. Seine Protagonisten sind ganz gewöhnliche Menschen des alltags, keine, die Geschichte schreiben, sondern sie erdulden. Menschen aber auch, denen es irgendwann reicht, die Auswege suchen, sei es in der Religion, sei es, wie ansatzweise geschehen, im politischen Protest.

    "Die Leute sind wütend. Sie sind wütend, die Korruption wahrnehmen zu müssen. Eigentlich ist Algerien ein sehr reiches Land, aber die meisten Leute sind sehr arm. Das empört die Menschen. Zudem leiden sie an der Gewalt, die der Staat ausübt. Es gibt überall Polizei, Polizisten, die die Leute anschnauzen. Einige gehen dann in die Moschee, die Religion hilft den Leuten. Andere hingegen wählen andere Wege. Vor allem die jungen Leute. Sie sind ungeduldig, sie wollen sich rächen. "

    Seine Bücher schreibt Sansal auf Französisch - auch das ist ein Akt der Auflehnung, gegen einen Nationalismus, der bisweilen in die Nähe zum Chauvinismus rückt. Durch das Französische findet Sansal einen direkten Weg zum europäischen Publikum. Aber auch die umgekehrte Richtung ist wichtig. Algerien, meint er, muss sich auch sprachlich öffnen.

    "Offiziell gilt die französische Sprache in Algerien als Sprache der Kolonisten. Darum, wird dann gesagt, muss man zusehen, dass diese Sprache aus Algerien verschwindet. Ich finde das absurd. Denn eine Sprache gehört niemandem. Für mich ist das Französische eine nationale Sprache in Algerien. Man muss den Kolonialismus und diese Geschichten vergessen, das Französische als nationales Erbe betrachten und ihm einen offiziellen Staus geben, ebenso wie das Arabische."

    Sansal gilt wenig im eigenen Lande. Vielleicht gilt er aber auch zu viel. Auf jeden Fall hat er sich mit seinem Erzählwerk, das sich nicht umsonst in Teilen wie ein Kriminalroman liest, politisch keine Freunde gemacht. Er selbst wurde aufgrund seiner Texte aus dem Staatsdienst entlassen. Weitere Sanktionen folgten. Einfluss, meint er, hat er aber trotzdem.

    "Auf indirekte Weise. Da meine Bücher in Algerien verboten sind, lädt mich niemand zu öffentlichen Lesungen einlädt - weder die Universitäten noch sonstige Veranstalter, das geschieht nie. Es gibt private Unterhaltungen in kleinem Kreis, natürlich. Allerdings werden meine Bücher in der algerischen Presse sehr aufmerksam besprochen. Sie sind zum Symbol geworden für gewisse Verhältnisse im Land. Die meisten Leute kritisieren mich. Sie sagen, Boualem Sansal ist für die Kolonisierung, er will das Französischen als Nationalsprache etablieren, er ist gegen den Islam - und so weiter. Anfangs hat mich das verletzt. Jetzt aber finde ich diese Art der Kritik gut. Denn es bringt die Leute dazu, zu debattieren."