Mrs. Fozzard etwa geht arglos zur Fußpflege und landet bei einem Schuhfetischisten. Was sie zweifelsohne genießt. Andere Protagonisten müssen ganz plötzlich um ihr Leben kämpfen. Wieder andere dieser vordergründig so langweiligen Menschen haben ein düsteres Geheimnis, sind Vergewaltiger, Kinderschänder, Mörder.
Alan Bennett gibt Regieanweisungen, als wolle er einen Film drehen:
Die Sprecherin ist eine alte Dame im Rollstuhl. Sie hat einen Teppichläufer auf den Knien liegen. Der Hintergrund ist schlicht und aufgeräumt. Die Einstellungen müssen nicht dem fortlaufenden Text folgen, sondern können von Schnitten auf Violets Händen unterbrochen werden, die ein Taschentuch zerknüllen, am Ehering drehen oder bloß gefaltet im Schoß liegen.
Und dann beginnen die Protagonisten ihren langen Monolog. Sie werden geleitet von Gier und Neid und manchmal auch Mitleid. Die Frauen wienern die Böden blank und die Männer fliehen aus diesen geputzten Häusern. Bennett erzählt von einer alten gelähmten dementen Dame und ihren Tagen in der Klinik, die sich fühlt, als sei sie ein Haustier, gefüttert und sauber gemacht. Von einer zuverlässigen Bürokraft, die noch während sie schwächer und schwächer wird, versucht, die Abläufe im Krankenhaus zu organisieren. Von einer gierigen Trödelladenbesitzerin, die eine Zeichnung für ein paar Pfund verkauft und sich dabei ins Fäustchen lacht, denn noch weiß sie nicht, dass niemand anderes als Michelangelo diesen Daumen gezeichnet hat.
Alle diese Geschichten haben eine Pointe. Und, wenn man sie achtsam liest, sind alle diese Pointen vorhersehbar, allzu vorhersehbar. Und dennoch wirken manche nicht gerade sehr glaubwürdig, können nicht überzeugen. "Sandwiches machen" handelt von einem Straßenkehrer, der im Park im Gebüsch Strumpfhosen, Kondome und Erbrochenes zusammenkehrt. Sein Chef weist ihn mehrmals auf große Lücken in seinem Lebenslauf hin, er wird von dem einen gefragt, ob er nicht einmal Schülerlotse gewesen ist, von einem anderen, ob er nicht früher im Schwimmbad gearbeitet habe. Auf einer Tauffeier bei Verwandten wird er argwöhnisch betrachtet.
Im Park lernt er eine alleinerziehende Mutter und deren kleine Tochter kennen. Er windet sich und versucht, die Nähe zu dem Kind zu vermeiden.
Ein fröhliches kleines Ding, bloß, dass ihre Mutter ihr Ohrringe reingemacht hat, so kleine Stecker. Und sogar noch einen in die Nase, dabei kann sie nicht älter als sieben sein. Ich wundere mich immer, dass das gesetzlich erlaubt ist, denn meiner Meinung nach wird das Kindswohl beeinträchtigt, wenn man sie behängt wie einen Weihnachtsbaum. Ich fege also den Müll zusammen und tue so, als ob ich auch die Kleine wegfegen will, und sie fängt an zu lachen und zu kreischen vor Vergnügen.
Spätestens da wird auch dem unaufmerksamsten Leser klar, dass wir es hier mit einem vorbestraften Kinderschänder zu tun haben. Und natürlich wird er ein Opfer finden und ins Gebüsch zerren.
Bennett versucht, den Päderasten als Menschen darzustellen, doch reichen 30 Seiten Lakonie nicht aus, um ein differenziertes Bild von diesem Mann zu geben, von seiner Not, seiner Gier, seiner Grausamkeit.
Kaum glaubwürdiger ist die Geschichte eines Ehepaars, eines Paares, das einander nicht liebt, das kalt ist und roh und gleichgültig. Der Mann liebt nur seine Hündin, die Frau ist eine Sauberkeitsfanatikerin und putzt den ganzen Tag. Dann kommt die Polizei. Der Mann wird als Serienmörder verdächtigt. Obwohl seine eigene Mutter ihn bei der Polizei angezeigt hat, obwohl er seine Frau nach jeder Mordtat mit großer Lust vergewaltigt, obwohl sie weiß, dass er vor Gericht gelogen hat und nur deshalb mangels Beweisen freikommt, obwohl sie ein Beweisstück findet, das die Polizei übersehen hat, nimmt sie ihn wieder auf, lässt sich wieder vergewaltigen. Nur eines hat sich geändert. Er hat durchgesetzt, dass der Hund jetzt ins Haus kommt. Da ist Bennett gar zu gleichmütig. Diese Geschichte kann man ihm schlecht abnehmen.
Die Frauen stehen zu ihren Männern, gleich ob es ein Mörder ist oder ob der Ehemann mitgegangen ist zu einer Frau, deren Mann sie gezwungen hat, eine Kapuze übers Gesicht zu ziehen bevor er vor aller Augen brutalen Sex mit ihr hat.
Die Geschichten sind konventionell, konventionell in ihrer Sprache, konventionell, weil sie alle eine Pointe haben. Nur manchmal blitzt der spöttische Erzähler der "souveränen Leserin" auf, der kleinen Geschichte von Königin Elisabeth II., die zur begeisterten, ja fanatischen Leserin wird. Wer diese großartige kleine Novelle noch nicht kennt, in dem Bennett so ganz nebenbei auch von der Etikette zu Hofe, Ministerpräsidenten, Lakaien und einem sehr schlichten Prinzgemahl erzählt, dem sei sie empfohlen.
Wer sie schon kennt, der wird enttäuscht sein von Bennetts Kurzgeschichten.
Alan Bennett: "Miss Fozzard findet ihre Füße".
Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Wagenbach. 144 Seiten. 15.90 Euro
Alan Bennett gibt Regieanweisungen, als wolle er einen Film drehen:
Die Sprecherin ist eine alte Dame im Rollstuhl. Sie hat einen Teppichläufer auf den Knien liegen. Der Hintergrund ist schlicht und aufgeräumt. Die Einstellungen müssen nicht dem fortlaufenden Text folgen, sondern können von Schnitten auf Violets Händen unterbrochen werden, die ein Taschentuch zerknüllen, am Ehering drehen oder bloß gefaltet im Schoß liegen.
Und dann beginnen die Protagonisten ihren langen Monolog. Sie werden geleitet von Gier und Neid und manchmal auch Mitleid. Die Frauen wienern die Böden blank und die Männer fliehen aus diesen geputzten Häusern. Bennett erzählt von einer alten gelähmten dementen Dame und ihren Tagen in der Klinik, die sich fühlt, als sei sie ein Haustier, gefüttert und sauber gemacht. Von einer zuverlässigen Bürokraft, die noch während sie schwächer und schwächer wird, versucht, die Abläufe im Krankenhaus zu organisieren. Von einer gierigen Trödelladenbesitzerin, die eine Zeichnung für ein paar Pfund verkauft und sich dabei ins Fäustchen lacht, denn noch weiß sie nicht, dass niemand anderes als Michelangelo diesen Daumen gezeichnet hat.
Alle diese Geschichten haben eine Pointe. Und, wenn man sie achtsam liest, sind alle diese Pointen vorhersehbar, allzu vorhersehbar. Und dennoch wirken manche nicht gerade sehr glaubwürdig, können nicht überzeugen. "Sandwiches machen" handelt von einem Straßenkehrer, der im Park im Gebüsch Strumpfhosen, Kondome und Erbrochenes zusammenkehrt. Sein Chef weist ihn mehrmals auf große Lücken in seinem Lebenslauf hin, er wird von dem einen gefragt, ob er nicht einmal Schülerlotse gewesen ist, von einem anderen, ob er nicht früher im Schwimmbad gearbeitet habe. Auf einer Tauffeier bei Verwandten wird er argwöhnisch betrachtet.
Im Park lernt er eine alleinerziehende Mutter und deren kleine Tochter kennen. Er windet sich und versucht, die Nähe zu dem Kind zu vermeiden.
Ein fröhliches kleines Ding, bloß, dass ihre Mutter ihr Ohrringe reingemacht hat, so kleine Stecker. Und sogar noch einen in die Nase, dabei kann sie nicht älter als sieben sein. Ich wundere mich immer, dass das gesetzlich erlaubt ist, denn meiner Meinung nach wird das Kindswohl beeinträchtigt, wenn man sie behängt wie einen Weihnachtsbaum. Ich fege also den Müll zusammen und tue so, als ob ich auch die Kleine wegfegen will, und sie fängt an zu lachen und zu kreischen vor Vergnügen.
Spätestens da wird auch dem unaufmerksamsten Leser klar, dass wir es hier mit einem vorbestraften Kinderschänder zu tun haben. Und natürlich wird er ein Opfer finden und ins Gebüsch zerren.
Bennett versucht, den Päderasten als Menschen darzustellen, doch reichen 30 Seiten Lakonie nicht aus, um ein differenziertes Bild von diesem Mann zu geben, von seiner Not, seiner Gier, seiner Grausamkeit.
Kaum glaubwürdiger ist die Geschichte eines Ehepaars, eines Paares, das einander nicht liebt, das kalt ist und roh und gleichgültig. Der Mann liebt nur seine Hündin, die Frau ist eine Sauberkeitsfanatikerin und putzt den ganzen Tag. Dann kommt die Polizei. Der Mann wird als Serienmörder verdächtigt. Obwohl seine eigene Mutter ihn bei der Polizei angezeigt hat, obwohl er seine Frau nach jeder Mordtat mit großer Lust vergewaltigt, obwohl sie weiß, dass er vor Gericht gelogen hat und nur deshalb mangels Beweisen freikommt, obwohl sie ein Beweisstück findet, das die Polizei übersehen hat, nimmt sie ihn wieder auf, lässt sich wieder vergewaltigen. Nur eines hat sich geändert. Er hat durchgesetzt, dass der Hund jetzt ins Haus kommt. Da ist Bennett gar zu gleichmütig. Diese Geschichte kann man ihm schlecht abnehmen.
Die Frauen stehen zu ihren Männern, gleich ob es ein Mörder ist oder ob der Ehemann mitgegangen ist zu einer Frau, deren Mann sie gezwungen hat, eine Kapuze übers Gesicht zu ziehen bevor er vor aller Augen brutalen Sex mit ihr hat.
Die Geschichten sind konventionell, konventionell in ihrer Sprache, konventionell, weil sie alle eine Pointe haben. Nur manchmal blitzt der spöttische Erzähler der "souveränen Leserin" auf, der kleinen Geschichte von Königin Elisabeth II., die zur begeisterten, ja fanatischen Leserin wird. Wer diese großartige kleine Novelle noch nicht kennt, in dem Bennett so ganz nebenbei auch von der Etikette zu Hofe, Ministerpräsidenten, Lakaien und einem sehr schlichten Prinzgemahl erzählt, dem sei sie empfohlen.
Wer sie schon kennt, der wird enttäuscht sein von Bennetts Kurzgeschichten.
Alan Bennett: "Miss Fozzard findet ihre Füße".
Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Wagenbach. 144 Seiten. 15.90 Euro