Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. So auch am 3. Dezember 1920, als Hermann Hesse von Montagnola aus ins Nachbardorf Agnuzzo wanderte, um dort zum ersten Mal Hugo Ball und Emmy Hennings zu besuchen. Erst seit wenigen Wochen lebte das Ehepaar in einem kleinen Palazzo mit Blick auf den Luganer See. Es war der Beginn einer großen Künstlerfreundschaft, die in ihrer Bedeutung für Hesses Werk, aber auch für das Hugo Balls, kaum überschätzt werden kann.
Ihre Entstehung war freilich alles andere als selbstverständlich – galt Hermann Hesse damals doch für viele Vertreter der Avantgarde als harmloser Autor von Unterhaltungsromanen. Von der großen Wende seines Werkes, die im Zeichen der Psychoanalyse stand, kündete bis dahin nur sein Roman Demian. Hugo Ball und Emmy Hennings dagegen waren quasi die Verkörperung der Avantgarde – seit ihren legendären Dada-Abenden während des Krieges im Züricher Café Voltaire, als Hugo Ball als magischer Bischof verkleidet mit seinen Lautgedichten gegen das Massensterben protestierte.
Die Schweizer Autorin Eveline Hasler hat dieser für alle drei schicksalhaften Freundschaft nun eine stimmungsvolle Romanbiografie gewidmet. Für Hesse wurde der neun Jahre jüngere Hugo Ball eine Art jüngerer Gefährte, wie die Autorin betont:
"Man merkt, diese Begegnung ist auch eine, eine sehr erotische Begegnung, man weiß ja von Hugo Ball, dass er Männer und Frauen liebt, Hesse, bei ihm ist das latent, er wird einmal sagen, er hat das nie ausgelebt, aber es ist doch zu spüren in einem sehr reizvollen, auch vertieften Sinn, vergeistigten Sinn und Emmy, die ist sehr von Hesse fasziniert, man könnte sagen, sie ist eigentlich verliebt in Hesse, aber auch das hat sie in dem Punkt, wo sie jetzt steht, in ihrem in ihrem sehr vielfältigen Liebesleben, das ja bis runterging als Straßenmädchen damals aus Geldmangel, also jetzt ist sie in einer Lebensphase, die eigentlich akzeptieren kann, dass man nicht alles besitzen muss, was man liebt."
Alle drei standen, als sie sich kennen lernten, an einem Wendepunkt ihres Lebens. Hesse steckte gerade in seinem Siddharta-Roman fest und begann seine tragische Beziehung zu seiner späteren zweiten Frau Ruth Wenger. Hugo Ball hatte dem Dadaismus den Rücken gekehrt und den Katholizismus wiederentdeckt und vergrub sich in die Viten byzantinischer Heiliger. Emmy Hennings schließlich lernte nach ihren wilden Jahren in der Boheme das ruhige, weltabgewandte Leben an der Seite des Asketen Hugo Ball kennen. Ihre Erfahrungen als drogenabhängiges Straßenmädchen hatte die exzentrische Frau mit dem blonden Bubikopf in ihrem Roman "Das Brandmal" verarbeitet – in einer anrührenden Szene zu Beginn von Haslers Buch versucht sie vergeblich, den bewunderten Hesse auf ihren Roman aufmerksam zu machen. Tatsächlich kreisten die beiden Männer zunächst vor allem umeinander; die gemeinsame Herkunft aus frommen Elternhäusern sowie die Erfahrungen, in den Kriegsjahren in ihrer Heimat als Verräter beschimpft zu werden, führten rasch zu Anknüpfungspunkten.
Doch gibt es für Eveline Hasler einen weiteren Grund für diese Freundschaft: den in ihrer Wahlheimat Tessin herrschenden genius loci. Als dessen Symbol fungiert in ihrem Buch eine Glycienentreppe hinter dem kleinen Palazzo der Balls in Agnuzzo:
"Orte finde ich unheimlich wichtig für Geschichten, Orte können getränkt sein mit Geschichten, und ich denke, diese Geschichte hätte auch gar nicht anderswo stattfinden können als jetzt hier im Tessin und dieses Haus in Agnuzzo, wo sich meist die Begegnungen ereignen, das ist ein ganz spezielles Haus, und das Speziellste an diesem Haus ist diese ganz, ganz lange Treppe mit 15 Granitstufen, die hinunter führen in den Garten. Eine Treppe hat auch eine ganz große Bedeutung für Gespräche: Auf einer Treppe sitzt man auf verschiedenen Stufen, und man schaut in die gleiche Richtung, man schaut also hinauf auf den Luganer See, und irgendwo lösen sich dann innen diese etwas schwierigen Themen, wenn man gemeinsam in eine Richtung schaut, ist gegeben, dass man sich jetzt auch lockert und vieles eigentlich zur Sprache bringt."
Die Wege, die Hermann Hesse und Hugo Ball in den Jahren ihrer Freundschaft bis zu Balls frühem Tod 1927 gingen, konnten gegensätzlicher nicht sein: Hesse ergab sich in der Rolle des "Steppenwolfs" alkoholischen und erotischen Exzessen in der Großstadt; Hugo Ball dagegen lebte wie ein Mönch in seinem Studierkämmerchen, als er seine große Hesse-Biografie schrieb. In Narziss und Goldmund hat Hesse dieser spannungsvollen Freundschaft ein Denkmal gesetzt. "Du und ich", lässt Hasler Hugo Ball sagen, "wir haben nur die Stufen anders genommen. Die Reihenfolge ist gleichgültig, solange wir versuchen, unsere innere Wahrheit zu leben."
Die Schweizer Autorin hat in ihrem umfangreichen Werk bislang vor allem vergessenen oder verkannten Frauen eine Stimme gegeben, zuletzt der Dichterin Regina Ullmann. Ihr bewährtes Erfolgskonzept, Historie und Fiktion zu verschmelzen, behält Eveline Hasler bei: Geschickt montiert sie in ihrer "biografischen Annäherung" Originalzitate der Beteiligten, die durch Kursivschrift kenntlich gemacht sind. Und vertraut im Übrigen auf ihre sinnliche Sprache und auf die Macht der Empathie: Hesses Ehetragödie mit Ruth Wenger ist ebenso hinreißend erzählt wie Hugo Balls Beinahe-Seitensprung mit der Gattin eines Fabrikanten. Ein weniger gutes Händchen hat Hasler bei ihren Dialogen, von denen einige offenkundig allein der Information des Lesers dienen wollen.
Auch drängt sich der Eindruck auf, dass die Untiefen und Konflikte zwischen diesen so unterschiedlichen Charakteren, deren Spuren man in dem umfangreichen Briefwechsel finden kann, in Haslers Darstellung ein wenig harmonisiert werden. Vordergründig ist zwar alles da: etwa das Unverständnis der Balls über Hesse, der seine Freunde mit seiner Hypochondrie und seinen Selbstmordankündigungen nervte. Und ebenso Hesses Verärgerung, als Hugo und Emmy, beide konvertierte Katholiken, dem Freidenker treuherzig empfohlen, eine Madonna könnte seine Augenleiden lindern. Doch sind solche Momente der Fremdheit bei Hasler nur kurze Irritationen, die Glück und Tiefe dieser Freundschaft nicht ernsthaft zu gefährden vermögen.
Das betrifft auch Emmy Hennings jahrelange Ambivalenz zwischen Lebenslust und Glaubenssehnsucht an der Seite Hugo Balls. Emmys unerfüllt bleibenden Gefühle für Hesse verkürzt Hasler auf die Formel vom "unschuldigen Traum" und hält auch ihre homoerotischen Avancen in Richtung von Hesses Frau Ruth Wenger für wenig mehr als Schwärmerei:
"Ich glaube, dass wir in einer anderen emotionalen Tradition leben. Wenn Emmy so schwärmerische Briefe schreibt, die also erzählen, wie Ruth wunderbar singt, wie sie auch so hübsch ausschaut, dann ist das in der Tradition dieser emotionalen Kultur, und wir kommen da sofort, wir, die wir ja viel nüchterner geworden sind, sind aber auch sofort bereit, alles sexuell zu sehen. Das, glaube ich, ist in dieser Lebensphase, in der Emmy jetzt steht, nicht akut, sie will über die Freundinnen von Hermann Hesse ein bisschen näher an Hermann Hesse kommen."
Während Hesse seinen Biografen Hugo Ball mehr als jeden anderen in sein Inneres blicken ließ, blieb er mit Emmy lebenslang per Sie. Nach dem Tod ihres Mannes sandte Emmy dem bewunderten Dichter einen Brief nach dem anderen von ihren Reisen durch Süditalien; Hesse antwortete öffentlich, seit Bettina von Arnim seien solche Briefe nicht mehr geschrieben worden. Eveline Haslers einfühlsame Romanbiografie regt nicht zuletzt dazu an, die Schriftstellerin Emmy Hennings wiederzuentdecken.
Eveline Hasler: "Und werde immer ihr Freund sein. Hermann Hesse, Emmy Hennings und Hugo Ball". München: Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, 2010. 225 Seiten, 18,90 Euro.
Ihre Entstehung war freilich alles andere als selbstverständlich – galt Hermann Hesse damals doch für viele Vertreter der Avantgarde als harmloser Autor von Unterhaltungsromanen. Von der großen Wende seines Werkes, die im Zeichen der Psychoanalyse stand, kündete bis dahin nur sein Roman Demian. Hugo Ball und Emmy Hennings dagegen waren quasi die Verkörperung der Avantgarde – seit ihren legendären Dada-Abenden während des Krieges im Züricher Café Voltaire, als Hugo Ball als magischer Bischof verkleidet mit seinen Lautgedichten gegen das Massensterben protestierte.
Die Schweizer Autorin Eveline Hasler hat dieser für alle drei schicksalhaften Freundschaft nun eine stimmungsvolle Romanbiografie gewidmet. Für Hesse wurde der neun Jahre jüngere Hugo Ball eine Art jüngerer Gefährte, wie die Autorin betont:
"Man merkt, diese Begegnung ist auch eine, eine sehr erotische Begegnung, man weiß ja von Hugo Ball, dass er Männer und Frauen liebt, Hesse, bei ihm ist das latent, er wird einmal sagen, er hat das nie ausgelebt, aber es ist doch zu spüren in einem sehr reizvollen, auch vertieften Sinn, vergeistigten Sinn und Emmy, die ist sehr von Hesse fasziniert, man könnte sagen, sie ist eigentlich verliebt in Hesse, aber auch das hat sie in dem Punkt, wo sie jetzt steht, in ihrem in ihrem sehr vielfältigen Liebesleben, das ja bis runterging als Straßenmädchen damals aus Geldmangel, also jetzt ist sie in einer Lebensphase, die eigentlich akzeptieren kann, dass man nicht alles besitzen muss, was man liebt."
Alle drei standen, als sie sich kennen lernten, an einem Wendepunkt ihres Lebens. Hesse steckte gerade in seinem Siddharta-Roman fest und begann seine tragische Beziehung zu seiner späteren zweiten Frau Ruth Wenger. Hugo Ball hatte dem Dadaismus den Rücken gekehrt und den Katholizismus wiederentdeckt und vergrub sich in die Viten byzantinischer Heiliger. Emmy Hennings schließlich lernte nach ihren wilden Jahren in der Boheme das ruhige, weltabgewandte Leben an der Seite des Asketen Hugo Ball kennen. Ihre Erfahrungen als drogenabhängiges Straßenmädchen hatte die exzentrische Frau mit dem blonden Bubikopf in ihrem Roman "Das Brandmal" verarbeitet – in einer anrührenden Szene zu Beginn von Haslers Buch versucht sie vergeblich, den bewunderten Hesse auf ihren Roman aufmerksam zu machen. Tatsächlich kreisten die beiden Männer zunächst vor allem umeinander; die gemeinsame Herkunft aus frommen Elternhäusern sowie die Erfahrungen, in den Kriegsjahren in ihrer Heimat als Verräter beschimpft zu werden, führten rasch zu Anknüpfungspunkten.
Doch gibt es für Eveline Hasler einen weiteren Grund für diese Freundschaft: den in ihrer Wahlheimat Tessin herrschenden genius loci. Als dessen Symbol fungiert in ihrem Buch eine Glycienentreppe hinter dem kleinen Palazzo der Balls in Agnuzzo:
"Orte finde ich unheimlich wichtig für Geschichten, Orte können getränkt sein mit Geschichten, und ich denke, diese Geschichte hätte auch gar nicht anderswo stattfinden können als jetzt hier im Tessin und dieses Haus in Agnuzzo, wo sich meist die Begegnungen ereignen, das ist ein ganz spezielles Haus, und das Speziellste an diesem Haus ist diese ganz, ganz lange Treppe mit 15 Granitstufen, die hinunter führen in den Garten. Eine Treppe hat auch eine ganz große Bedeutung für Gespräche: Auf einer Treppe sitzt man auf verschiedenen Stufen, und man schaut in die gleiche Richtung, man schaut also hinauf auf den Luganer See, und irgendwo lösen sich dann innen diese etwas schwierigen Themen, wenn man gemeinsam in eine Richtung schaut, ist gegeben, dass man sich jetzt auch lockert und vieles eigentlich zur Sprache bringt."
Die Wege, die Hermann Hesse und Hugo Ball in den Jahren ihrer Freundschaft bis zu Balls frühem Tod 1927 gingen, konnten gegensätzlicher nicht sein: Hesse ergab sich in der Rolle des "Steppenwolfs" alkoholischen und erotischen Exzessen in der Großstadt; Hugo Ball dagegen lebte wie ein Mönch in seinem Studierkämmerchen, als er seine große Hesse-Biografie schrieb. In Narziss und Goldmund hat Hesse dieser spannungsvollen Freundschaft ein Denkmal gesetzt. "Du und ich", lässt Hasler Hugo Ball sagen, "wir haben nur die Stufen anders genommen. Die Reihenfolge ist gleichgültig, solange wir versuchen, unsere innere Wahrheit zu leben."
Die Schweizer Autorin hat in ihrem umfangreichen Werk bislang vor allem vergessenen oder verkannten Frauen eine Stimme gegeben, zuletzt der Dichterin Regina Ullmann. Ihr bewährtes Erfolgskonzept, Historie und Fiktion zu verschmelzen, behält Eveline Hasler bei: Geschickt montiert sie in ihrer "biografischen Annäherung" Originalzitate der Beteiligten, die durch Kursivschrift kenntlich gemacht sind. Und vertraut im Übrigen auf ihre sinnliche Sprache und auf die Macht der Empathie: Hesses Ehetragödie mit Ruth Wenger ist ebenso hinreißend erzählt wie Hugo Balls Beinahe-Seitensprung mit der Gattin eines Fabrikanten. Ein weniger gutes Händchen hat Hasler bei ihren Dialogen, von denen einige offenkundig allein der Information des Lesers dienen wollen.
Auch drängt sich der Eindruck auf, dass die Untiefen und Konflikte zwischen diesen so unterschiedlichen Charakteren, deren Spuren man in dem umfangreichen Briefwechsel finden kann, in Haslers Darstellung ein wenig harmonisiert werden. Vordergründig ist zwar alles da: etwa das Unverständnis der Balls über Hesse, der seine Freunde mit seiner Hypochondrie und seinen Selbstmordankündigungen nervte. Und ebenso Hesses Verärgerung, als Hugo und Emmy, beide konvertierte Katholiken, dem Freidenker treuherzig empfohlen, eine Madonna könnte seine Augenleiden lindern. Doch sind solche Momente der Fremdheit bei Hasler nur kurze Irritationen, die Glück und Tiefe dieser Freundschaft nicht ernsthaft zu gefährden vermögen.
Das betrifft auch Emmy Hennings jahrelange Ambivalenz zwischen Lebenslust und Glaubenssehnsucht an der Seite Hugo Balls. Emmys unerfüllt bleibenden Gefühle für Hesse verkürzt Hasler auf die Formel vom "unschuldigen Traum" und hält auch ihre homoerotischen Avancen in Richtung von Hesses Frau Ruth Wenger für wenig mehr als Schwärmerei:
"Ich glaube, dass wir in einer anderen emotionalen Tradition leben. Wenn Emmy so schwärmerische Briefe schreibt, die also erzählen, wie Ruth wunderbar singt, wie sie auch so hübsch ausschaut, dann ist das in der Tradition dieser emotionalen Kultur, und wir kommen da sofort, wir, die wir ja viel nüchterner geworden sind, sind aber auch sofort bereit, alles sexuell zu sehen. Das, glaube ich, ist in dieser Lebensphase, in der Emmy jetzt steht, nicht akut, sie will über die Freundinnen von Hermann Hesse ein bisschen näher an Hermann Hesse kommen."
Während Hesse seinen Biografen Hugo Ball mehr als jeden anderen in sein Inneres blicken ließ, blieb er mit Emmy lebenslang per Sie. Nach dem Tod ihres Mannes sandte Emmy dem bewunderten Dichter einen Brief nach dem anderen von ihren Reisen durch Süditalien; Hesse antwortete öffentlich, seit Bettina von Arnim seien solche Briefe nicht mehr geschrieben worden. Eveline Haslers einfühlsame Romanbiografie regt nicht zuletzt dazu an, die Schriftstellerin Emmy Hennings wiederzuentdecken.
Eveline Hasler: "Und werde immer ihr Freund sein. Hermann Hesse, Emmy Hennings und Hugo Ball". München: Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, 2010. 225 Seiten, 18,90 Euro.