Die heutige Medizin ermöglicht den Menschen wirklich viel. Was noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten wurde, gilt heute als völlig normal. Insbesondere in der Gynäkologie gibt es in der medizinischen Forschung geradezu bahnbrechende Fortschritte. Dazu zählen beispielsweise die verschiedenen Methoden der künstlichen Befruchtung, für die sich in den vergangenen Jahren auch in Deutschland immer mehr Menschen entschieden haben. Auch Muslime: Laut dem Statistik-Portal "statista" ist die Adoption von Kindern in den vergangenen 15 Jahren um die Hälfte zurückgegangen, während sich die Zahl der künstlichen Befruchtungen verdoppelt hat.
Künstliche Befruchtung ja, Leihmutterschaft nein
Der Wunsch nach einem eigenen Kind - ein treibendes gesellschaftliches Thema. Auch muslimische Paare in Deutschland stellen sich viele Fragen, wenn der Kinderwunsch grundsätzlich da ist, aber die Zeugung auf natürlichem Wege nicht funktioniert. Die Haltung des Islam zu diesem Thema erläutert Professor Mathias Rohe von der Universität Erlangen. Er ist Jurist und Islamwissenschaftler:
"Im Prinzip kann man als Faustregel sagen, künstliche Befruchtung halten viele für zulässig, solange es sich um die Ehegatten selbst handelt, also wenn ein verheiratetes Paar aus irgendwelchen Gründen keine Kinder auf natürlichem Wege bekommen kann, dann ist in diesem Fall eine künstliche Befruchtung zulässig."
Eine andere Methode, um Kinder zu bekommen, ist die Leihmutterschaft. Diese sei aus islamischer Sicht allerdings unzulässig. Das gelte auch für die Adoption.
"Im Islam gibt’s eine sehr klare Vorstellung davon, dass die biologische Abstammung klar sein muss. Deswegen ist auch beispielsweise die Adoption verboten, da gibt es eine relativ eindeutige Stelle im Koran, Sure 33. Man darf Kinder als Pflegekinder annehmen, das durchaus auch mit Rechten. Das ist das Markenzeichen des Islam: möglichst für Klarheit zu sorgen."
Abtreibung bei Gefahr für die Mutter
Das gilt auch für Abtreibungen, erklärt Rohe: "Abtreibung soll jedenfalls dann nicht stattfinden, wenn das menschliche Leben schon entstanden ist."
So viel ist klar. Unklar aber bleiben die Antworten auf die Frage, wann das Leben beginnt. Eine verbreitete Auffassung besagt, der Mensch werde 40 Tage nach der Zeugung beseelt. Andere sprechen von 120 Tagen. Dann erst verleihe die Seele dem Menschen das eigentliche Leben. Andere wiederum lassen das Leben mit dem Zeitpunkt der Zeugung beginnen.
Serap Güler, NRW-Staatssekretärin für Integration und gläubige Muslimin, fasst die Position ihrer Religionsgemeinschaft so zusammen:
"Ich glaube, also ohne Theologin zu sein, dass das, was meinen Glauben betrifft, also den Islam, dass sich das wenig unterscheidet von vom Katholizismus. Dass Abtreibung schon als Mord gesehen wird; und ich glaube, es gibt wenige Ausnahmen, wo es wirklich um das Leben der Mutter handelt, wenn es Anzeichen gibt, dass sie das Kind nicht, ohne ihr eigenes Leben zu verlassen, austragen kann, kann es, glaube ich, auch islamisch begründet erlaubt sein, dass das Kind abgetrieben wird, aber alles andere wird - meines Wissens nach und rein aus dem Glauben heraus - als Mord gesehen."
Das ist die verbreitete Position in muslimischen Gemeinden. Und auch unter muslimischen Autoritäten herrscht in dieser Frage Konsens. Wenn das Leben der Mutter gefährdet ist, darf abgetrieben werden. Mathias Rohe geht davon aus, dass Musliminnen in Deutschland eher selten abtreiben.
"Ohne dass ich genaue statistische Zahlen hätte, glaube ich, gibt es eine relativ geringe Bereitschaft bislang, in muslimischen Familien Abtreibungen vorzunehmen. Es ist bei vielen Fällen eine Frage des Stolzes, nicht zuletzt bei den Vätern, wenn man viele Kinder hat. Während es eher die Frauen sind, die sagen, können wir das eigentlich noch schultern? Die Frauen haben häufig die größere Last erstmal in der Schwangerschaft und dann auch in der Erziehung. Gibt es vielleicht auch etwas unterschiedliche Haltungen."
"Ich glaube, da muss jede Frau selber entscheiden"
Noch deutlicher wird dieser Unterschied zwischen Mann und Frau, wenn die Schwangerschaft ungewollt entstanden ist. Entweder nach einer sogenannten Verhütungspanne oder als Folge einer Vergewaltigung. Dazu Serap Güler:
"Das ist das Schlimmste, glaube ich, was man einer Frau antun kann, dass sie dieses Kind austrägt. Das sage ich jetzt aber als Frau. Und meines Wissens ist es vom Glauben her trotzdem nicht gestattet, wenn das Kind abgetrieben wird."
Es gebe dazu keine eindeutige islamische Rechtsprechung, sagt Enes Curuk, ein junger Muslim und Theologe aus dem Rheinland. Er fordert, eine solche Entscheidung alleine den Frauen zu überlassen.
"Ich glaube, dass man in der Situation der Frau das Recht einräumen sollte, darüber entscheiden zu dürfen, auch aus religiöser Hinsicht, ob sie diese Schwangerschaft beenden möchte oder dieses Kind mit in ihr Leben aufnehmen möchte. Letztendlich sprechen wir hier nicht von irgendeinem Trauma, oder von irgendeinem Erlebnis, sondern von einem Leben, das ungewollt entstanden ist. Und mit diesem Leben beschäftigt sich an erster Stelle die Mutter. Ich glaube, da muss jede Frau selber entscheiden, ob sie bereit ist, dieses Kind auszutragen und in ihr Leben aufzunehmen."