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Einheit an der Hochschule

Was für viele Menschen aus der älteren Generation immer noch ungewohnt anmutet, ist für Studenten geradezu selbstverständlich: aufgewachsen im Westen, studieren im Osten - oder umgekehrt. An der Universität Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern haben Westdeutsche viele gute Erfahrungen gesammelt.

Von Nikolaus Möbius |
    Greifswald als Universitätsstadt war kurz nach der Wende für viele Studierende nur ein Name auf den Bescheiden der ZVS. Nicht wenige mussten damals die bittere Pille schlucken, zu studieren, wo andere mit dem Namen Greifswald allerhöchstens das nahe gelegene Atomkraftwerk in Verbindung brachten. Auch Änne Schulz, geboren in Thüringen, aufgewachsen in Schleswig Holstein, ist so zu ihrem Studienplatz gekommen. Als sie den Bescheid der ZVS in den Händen hielt, konnte sie es kaum fassen.

    "Um Gottes Willen, zurück in den Osten. Meine Eltern haben ihr Leben lang versucht, hier wegzukommen. und jetzt bin ich wieder da."

    Die Eltern, die in Greifswald ebenfalls studiert hatten, waren nach Jahren der Repression durch die DDR-Regierung in den Westen gelangt. Die Nachricht der ZVS über den Studienplatz ihrer Tochter nahmen die Eltern als Wink des Schicksals: eine zumindest damals aufgezwungene Annäherung an den Osten. Um lästige Diskussionen zu umgehen, griff die BWL-Studentin zu einem Trick.

    "Ich habe dann lange gerungen damit, was ich sage, wenn die Leute mich fragen, wo ich denn herkomme. Die Frage wird ja immer noch gestellt: Bist Du Ossi oder Wessi? Und hab mich dann doch entschlossen, zu sagen, ich komme aus dem Osten und ich will es nicht beschwören, aber ich glaube, es hat geholfen. Also die Leute sind einfach aufgeschlossener, wie man so schön sagt, ihresgleichen gegenüber."

    Ganz anders war schon der Umzug in die neuen Bundesländer für Lasse Hähnel. Der Sohn eines Bundeswehroffiziers musste alle zwei Jahre ohnehin den Wohnort wechseln. So kam nach Kanada, den USA und vielen Städten in den alten Bundesländern vor rund zehn Jahren der Umzug nach Mecklenburg-Vorpommern. Neue Heimat wurde Bad Sülze - ein damals überwiegend ländlich geprägtes Kaff mit weniger als 2000 Einwohnern. Für Lasse Hähnel, der im Moment Wirtschaftswissenschaften in Greifswald studiert, zunächst ein Kulturschock.

    "Nee das aufgenommen werden, das war gar kein Problem. Ich habe da auch sofort Freunde gefunden und Leute alle nett und so weiter, und so weiter. Ich glaube, da gibt es auch keine Unterschiede zwischen Westen und Osten. Ob du nun in Niedersachsen in einem kleinen Kuhkaff wohnst oder in Mecklenburg-Vorpommern in einem kleinen Dorf, die Menschen sind da alle ziemlich gleich. Aber es war halt - von der Infrastruktur zum Beispiel. Wenn man schöne Häuser in Toronto gewohnt war und dann in Bad Sülze sein Zimmer einräumt und aus dem Fenster schaut. Die Straßen waren kaputt, da war noch nicht viel gemacht. Für Leute die von woanders kamen, war das schon schockierend, muss ich sagen."

    Dennoch: Lasse Hähnel konnte sich arrangieren. nahm den Wechsel in den Osten nicht wichtiger als seine Umzüge sonst. Heute sagt er, spielen die Ost-West-Geschichten keine Rolle mehr.

    "Bei mir hat das eigentlich nur ein paar mal eine Rolle gespielt, wenn mich jemand ärgern wollte. Wenn ich mit jemanden Streit hatte, dann kam da schon mal Wessi oder sowas. Aber ich, vom Gefühl her würde ich nie sagen, dass es da Probleme gab."

    Sein bester Freund und Kommilitone Peter Glass, bestätigt diesen Eindruck. Die Unterschiede werden allenfalls am Rande thematisiert.

    "Im Prinzip ist das wirklich so, dass die Leute, die die Vorurteile, die die Eltern vielleicht geben, mit annehmen und scherzhafthafter Weise noch sagen: Schau mal, da ist ein Ossi, oder die Wessis sind ja alle nur snobistisch oder arrogant. Aber im Prinzip kenne ich keinen - niemanden, der das wirklich ernst meint."

    Rein objektiv zieht die Greifswalder Universität heute im Jahr 16 nach der Wiedervereinigung immer mehr junge Leute aus den alten Bundesländern an. Im Bereich Medizin beispielsweise zählt sie zu den beliebtesten Erst- und Zweitwunsch-Hochschulen bundesweit. In der Entscheidung für den Studienort, sagt die Leiterin des Büros für Studentische Angelegenheiten Monika Hädelt, ist nicht die Ost-West Frage sondern vielmehr die räumliche Nähe viel wichtiger als Ost und West.

    "Nach unserer Erfahrung bestehen die Vorbehalte gegenüber ostdeutschen Universitäten im großen und ganzen nicht mehr. Natürlich ist es auch so, dass die Universität für Studenten und Bewerber andere Bundesländer, auch für südliche Bundesländer attraktiv ist und vielleicht auch die Verteilung neue und alte Bundesländer eine Rolle spielt. Aber nach unseren Erfahrungen ist doch die geografische Lage ein ganz entscheidender Punkt mit bei der Auswahl der Studierenden."

    So kommt ein Großteil der Studierenden in Greifswald aus dem eigenen Bundesland. Danach werden immer mehr junge Leute aus Brandenburg und Berlin registriert. Ein großer Zuwachs von Studienbewerben kommt inzwischen aber auch aus Hamburg, Niedersachsen und Schleswig - Holstein. Und mit jedem neuen Studenten bewahrheitet sich ein altes Sprichwort. In Greifswald weint man zweimal: einmal beim kommen und einmal beim gehen.