Kirchliche Würdenträger umarmen sich, Gläubige klatschen und jubeln, dann singen Lutheraner und Katholiken gemeinsam "Großer Gott wir loben dich". Die Augsburger Sankt-Anna-Kirche am 31. Oktober 1999 – dem Reformationstag: Soeben haben katholische und lutherische Kirchenvertreter aus aller Welt ein Papier unterschrieben – die Einigung in einer für evangelische Christen zentralen Frage:
"Wir bekennen gemeinsam, daß der Mensch im Blick auf sein Heil völlig auf die rettende Gnade Gottes angewiesen ist."
In der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" versichern sich beide Seiten, dass das Gemeinsame stärker sei als das Trennende, und dass über die Jahrhunderte wiederholte Lehrverurteilungen nicht mehr gelten. Papst Johannes Paul II. spricht von einem "Meilenstein". Doch die Euphorie hält nicht lange an:
"Wir haben die Gemeinsame Erklärung, aber 20 Jahre danach habe ich den Eindruck, dass doch gewisse konfessionelle Eigeninteressen wieder in den Vordergrund gerückt worden sind." (Bertram Stubenrauch) – "Die Erwartungen, die daran geknüpft waren, die sind überzogen gewesen. Einig in einem dogmatischen Punkt heißt noch lange nicht, auch wirklich zusammenzuwachsen. Das haben wir von dieser Erklärung und ihrer schwachen Rezeption gelernt." (Jörg Lauster)
Doch nicht so zentral?
Jörg Lauster und Bertram Stubenrauch, beide Lehrstuhlinhaber für Dogmatik und Ökumene an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie erinnern sich an die Bilder der Einigkeit, die 1999 von Augsburg ausgingen. Die ökumenische Vorarbeit etlicher Theologen hatte 35 Jahre gedauert. Der unterzeichnete Text sollte konfessionsverbindend klarstellen, dass der sündige Mensch seine Erlösung nicht selbst in der Hand hat, sondern allein durch Gottes Gnade gerettet werden kann. Eine Auffassung, die 1517 maßgeblich zur Kirchenspaltung geführt hatte. Jetzt also die nahe Wiedervereinigung? Mitnichten, sagt der evangelische Theologe Jörg Lauster:
"Man hat gedacht, das ist sozusagen der vorletzte Schritt für ein Modell der Kircheneinheit zwischen Lutheranern und Katholiken. Heute wissen wir, das ist alles nicht passiert. Das kann man im Rückblick auch erklären: Für die Lutheranerinnen und Lutheraner ist die Rechtfertigungslehre ein zentraler Punkt, während sie für die Katholiken einer unter vielen ist."
Was die beiden Kirchen trennt, ist vor allem ihr unterschiedliches Verständnis von Ämtern und Sakramenten. Nach katholischer Lehre stehen Geistliche in der direkten Nachfolge der Apostel. Dieses Weiheverständnis hat die evangelische Kirche für ihre Pfarrerinnen und Pfarrer nicht. Vor allem deswegen gibt es auch kein gemeinsames Abendmahl. Die fehlende Tisch-Gemeinschaft gilt als das wohl deutlichste Symbol der Kirchentrennung.
Annäherung beim Abendmahl
"Ich sehe einen Fortschritt darin, dass wir wissen, dass es wirklich nur noch an einem Punkt hängt. In der Geschichte selber gibt es eine gewisse Stagnation," sagt Lauster. "Aber wir wissen von vielen Ereignissen: Es ist vor allem eine Frage der Mentalität. Die europäischen Kirchen geraten momentan derart unter Druck, dass vielleicht in 20 Jahren ein so großer Sinneswandel eintritt, dass wir dann vielleicht lachen über die Fragen, die uns heute dogmatisch so quälen."
Das Abendmahl ist derzeit also das eigentliche Problem, das die Kirchen trennt – und nicht die Rechtsfertigungslehre, um die vor 20 Jahren gerungen wurde. Doch auch beim Abendmahl gibt es eine Annäherung. Eine neue Studie des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen stellt fest: Im Blick auf den theologischen Sinngehalt – also ob Christus in Brot und Wein wirklich präsent ist – bestehe Einigkeit. Auch die verschiedenen Formen der Liturgie seien kein Hindernis für gemeinsame Mahlfeiern. Die Theologen plädieren daher dafür, Abendmahl beziehungsweise Eucharistie für Christinnen und Christen der jeweils anderen Konfession zu öffnen. Der katholische Dogmatiker Bertram Stubenrauch kritisiert diesen Vorschlag:
"Gerade dieser Brennpunkt gemeinsames Abendmahl – ich verstehe sehr gut, wenn man die Gemeinsamkeit wünscht, aber es ist ein Brennpunkt, in dem sich auch die konfessionellen Theologien zeigen. Nämlich Kirchenverständnis, Sakramenten-Verständnis und auch das Verständnis vom Menschen. Da bin ich schon der Meinung: Wirkliche Glaubenseinheit ist die Voraussetzung dafür, auch die Einheit in der Eucharistiefeier ehrlichen Herzens zu begehen."
Heilig oder menschengemacht?
Der entscheidende Unterschied liegt nach Auffassung des katholischen Theologen darin, dass Protestanten die Kirche als menschengemacht betrachten, während sie für Katholiken als heiliger Ort gilt:
"Wenn man Eucharistie feiert, kann man nicht der Meinung sein, dass das Tun der Kirche nicht ein heiligendes Handeln wäre. Wenn ich aber ganz streng protestantisch denke, kommt das Heilende allein aus dem Glauben, also aus meiner privaten Glaubenszustimmung, und es gibt nichts objektiv Heiliges auf dieser Welt."
In eineinhalb Jahren findet in Frankfurt der dritte Ökumenische Kirchentag statt. Etliche, die sich für die Einheit der Kirchen einsetzen, fordern, dort müsse es ein gemeinsames Abendmahl geben. Fragt man die Wissenschaftler, so winken diese ab: Das sei nahezu ausgeschlossen. Bertram Stubenrauch macht einen anderen Vorschlag:
"Die Lehre der Konfessionen sollte meines Erachtens bleiben. Aber man müsste viel mehr der Gewissensentscheidung der einzelnen Gläubigen zubilligen. Wenn man die Überzeugungen konturiert, klar herausarbeitet und versucht, die verschiedenen Auffassungen den Gläubigen bewusst zu machen, dann müsste man aber auch deren Gewissensentscheidungen respektieren und nicht noch Gewissenspolizei spielen.
Sein evangelischer Kollege Jörg Lauster hingegen ist wie der Ökumenische Arbeitskreis der Theologen für eine eucharistische Gastfreundschaft mit offiziellem Segen beider Kirchen – auch mit Blick auf konfessionsverschiedene Paare:
"Die lutherischen Kirchen sind da ja mit einem schönen Bekenntnis in den 70er Jahren vorangeprescht. Dass man sagt: Es sind ja nicht wir die einladen im Abendmahl, es ist Gott der einlädt. Wenn die katholische Kirche sich in der Richtung bewegen könnte, das wäre eine sehr schöne Sache. Aber es gab ja diese Initiative für verheiratete Ehepaare, die von einigen konservativen Bischöfen der Deutschen Bischofskonferenz torpediert wurde. Das bedauere ich sehr. Aber das ist leider auch ein Kennzeichen der gegenwärtigen ökumenischen Situation: Wir haben nicht nur sehr viele Menschen, die nach vorne schauen, wir haben auch sehr, sehr viele Menschen, die nach hinten schauen."
"Der Status quo ist bequem"
Was also ist geblieben vom Ziel, die Kirche zu einen – 20 Jahre nach der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre?
"Es tut sich wenig im Moment," so Lauster. "Diese großen Aufbrüche, die wir um die Jahrtausendwende erhofft haben, sind alle etwas eingeschlafen. Auf der anderen Seite, das kann man durchaus auch positiv sehen, ist vieles selbstverständlich geworden: Wir kommen in Europa im Großen und Ganzen sehr, sehr gut miteinander aus. Auf der Ebene der Zusammenarbeit in den Gemeinden gibt es eigentlich überhaupt keine Feindseligkeiten mehr. Also der Status quo ist bequem, so dass wir ganz gut leben können. Die Dringlichkeit fehlt im Moment etwas."
Vor zwei Jahren begingen die Kirchen in großem Gleichmut das 500. Reformationsjubiläum. Von einst zur Abgrenzung in Stellung gebrachten Formeln mag kaum noch jemand sprechen: wie "Ökumene der Profile" oder "Einheit in versöhnter Verschiedenheit". Und die kulturellen Unterschiede zu den orthodoxen Kirchen sind derart groß, dass sich die Ökumene hier überwiegend in einem Nebeneinanderher erschöpft. Trotzdem sagt der katholische Dogmatiker Bertram Stubenrauch sagt: So drängend der Wunsch nach Einheit auch sein mag, es helfe der Sache nicht, Differenzen durch fromme Appelle zuzudecken.
"Auf der anderen Seite gibt es die Versuchung, eine neue Kunstreligion zu etablieren," so Stubenrauch. "Also dass man überhaupt nicht mehr gewillt ist, Unterschiede in den Glaubensauffassungen, auch in biblischen Fragen, zuzulassen. Sondern eine gemeinsame Religion auch des Zuspruchs, des Wohlfühlens miteinander konstruieren möchte, die zwar von Gemeinsamkeiten redet, aber in der Tiefe der Texte, in der Tiefe der Überzeugungen doch keine Gemeinsamkeiten aufweisen kann. Aber ich glaube nicht, dass die Welt ein oberflächliches Christentum braucht."