Daniel Heinrich: Ich spreche darüber mit Wolfgang Thierse. Er ist der ehemalige Präsident des Bundestages. Herr Thierse, fast 30 Jahre ist es her, dass die Mauer gefallen ist. Fast 20 Jahre hat die Planung für das Einheitsdenkmal gedauert. Nun ist klar, die Wippe kommt. Warum hat das eigentlich alles so lange gedauert?
"Ich bin sehr, sehr, sehr froh über die Entscheidung"
Wolfgang Thierse: Wir haben ja vor zehn Jahren, 2007 den Bundestagsbeschluss gefasst für dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal. Es hat zwei Wettbewerber gegeben, einen Siegerentwurf, der ist dann zur Baureife entwickelt worden, Baugenehmigung und TÜV-Prüfung liegen vor, und urplötzlich hat der Haushaltsausschuss aus sogenannten Kostengründen die Sache gekippt. Das war eine negative Überraschung. Und jetzt habe ich mit ein paar wenigen anderen ein dreiviertel Jahr gekämpft, dass dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal doch verwirklicht wird, und deswegen bin ich sehr, sehr, sehr froh über die Entscheidung, die heute getroffen worden ist.
Heinrich: Herr Thierse, das klingt alles sehr diplomatisch. Fledermäuse, die umgesiedelt werden mussten, haben eine Rolle gespielt. Für preußische Kolonnaden an gleicher Stelle war Geld da, für das Einheitsdenkmal nicht. Haben Sie sich manchmal gedacht, wo bin ich hier eigentlich?
"Im Herzen der Hauptstadt an die Geschichte erinnern"
Thierse: Das habe ich gedacht. Ich habe das auch öffentlich gesagt. Deswegen habe ich auch so gekämpft für dieses Denkmal.
Heinrich: Eigentlich müsste es doch vollkommen klar sein, dass ein Einheitsdenkmal hingesetzt werden kann, oder?
Thierse: Ja, das müsste klar sein. Ich war der Bauherr des Holocaust-Denkmals und so wie es richtig und notwendig war und bleibt, dass die Deutschen im Herzen ihrer Hauptstadt an die schlimmste Tat unserer Geschichte erinnern, so ist es, denke ich, vernünftig und richtig, dass wir auch an das glücklichste Ereignis unserer Geschichte im 20. Jahrhundert erinnern, an die friedliche Revolution, die die Einheit ermöglichte, und zwar verbunden mit Freiheit und Demokratie für alle Deutschen. Das ist der wirkliche Grund, weshalb ich mich so dafür engagiert habe und weshalb auch dieses Denkmal in der Nähe des Humboldt-Forums, Berliner Schloss, gebaut werden soll.
Die Kosten - "Das war immer ein vorgeschobener Grund"
Heinrich: 15 Millionen Euro sind nicht wirklich viel Geld, oder?
Thierse: Nein. Für das eigentliche Denkmal sind es ja sogar weniger. Das war immer ein vorgeschobener Grund. Wenn der Haushaltsausschuss von Kostenexplosion redet und ein paar Monate später dann viel mehr Geld für die Wiedererrichtung von preußisch-wilhelminischen Kolonnaden Geld ausgeben will, dann hat er seine eigene Begründung Lügen gestraft.
Heinrich: Wie erklären Sie sich denn diese Haltung des Haushaltsausschusses?
Thierse: Da spielt ein Geschmacksurteil eine Rolle. Nicht jedem muss ein Denkmalentwurf gefallen, das verstehe ich auch. Aber dazu haben wir ja Jurys und Wettbewerbe, dass nicht der Geschmack von Haushalts- oder Kulturpolitikern darüber alleine entscheidet. Und natürlich auch hatte ich so manchmal das Gefühl, dass manche sagten, warum wollen die denn ein eigenes Denkmal, das Brandenburger Tor reicht doch. Das Brandenburger Tor erinnert an vieles, es ist ein Denkmal der preußischen Geschichte. Es erinnert an die Nazi-Zeit, es erinnert auch gewiss an die Teilung. Aber es ist kein Erinnerungsdenkmal für die friedliche Revolution.
"1989 ist eines der großen Beispiele für Gelungenes in unserer Geschichte"
Heinrich: Brauchen wir heutzutage noch so ein Denkmal? Ist das noch zeitgemäß?
Thierse: Ich denke, ja! Ich glaube, auch für die Deutschen gilt, was für alle anderen Völker und Nationen gilt, dass man Ermutigung, Ermunterung, Identifikation nicht nur gewinnt aus der Erinnerung an die entsetzlichen Zeiten der Geschichte. Diese Erinnerung ist notwendig, gerade für uns Deutsche. Sondern ich glaube auch, es ist wichtig, dass wir an Gelungenes uns erinnern. Auch wir Deutschen haben eine Freiheits- und Demokratiegeschichte, die wir uns immer mal wieder vergegenwärtigen sollen. Und das Jahr 1989 ist eines der wenigen schönen großen Beispiele für Gelungenes in unserer Geschichte.
Heinrich: Und die Deutschen haben ein Problem damit, das darzustellen?
Thierse: Jedenfalls ein Teil offensichtlich, und das hat mich geärgert. Das muss nicht so sein. Beides gilt, das Holocaust-Denkmal und die Erinnerung an die vierte Revolution. Beides gehört in die Hauptstadt der Deutschen.
"Eine ziemlich dämliche Äußerung"
Heinrich: Herr Thierse, Sie sprechen das Holocaust-Denkmal schon an. Der Chef der Thüringischen AfD, Björn Höcke, hat kürzlich von "dämlicher Bewältigungspolitik" hierzulande gesprochen. Er hat es als lähmend und als dämlich bezeichnet. Angenommen, Herr Höcke säße Ihnen gegenüber, was würden Sie ihm sagen?
Thierse: Ich würde sagen, dass das eine ziemlich dämliche Äußerung ist, dass es nicht darum geht, dass wir Deutschen uns nur an unsere entsetzlichen Geschichtszeiten erinnern. Das ist notwendig. Es geht immer um beides. Wir haben uns zu erinnern, um daraus Verpflichtungen für die Gegenwart zu gewinnen, für Humanität heute, für die Verteidigung der Demokratie heute, für die Verteidigung der Freiheit heute, denn all das ist nicht selbstverständlich, wie wir gerade durch Erinnerung an die Nazi-Zeit und ihre Verbrechen, aber auch durch die Erinnerung an die kommunistische Zeit und die friedliche Revolution immer wieder lernen können.
Heinrich: Das sagt Wolfgang Thierse. Er ist langjähriger Präsident des Bundestages. Herr Thierse, vielen Dank für das Gespräch.
Thierse: Meinerseits! Ganz meinerseits.
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