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Einige verstecken sich "hinter Deutschlandfeindseligkeit"

Nazi-Vergleiche seien oft nur ein Mittel, um von der eigenen Verantwortung abzulenken, meint der französische Publizist Alfred Grosser zu der Kritik an Deutschland aus Europa. Trotzdem sollte Angela Merkel den Schuldenländern gegenüber "einen verständnisvolleren Ton anschlagen".

Alfred Grosser im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: In Deutschland sollte man NS-Vergleiche tunlichst vermeiden, wenn man nicht Ruf und Karriere verspielen will. Den Aufstieg der NSDAP zum Beispiel mit dem Aufstieg der Piratenpartei zu vergleichen, das war keine so gute Idee. Und auch die ZDF-Reporterin wird künftig nicht mehr während der Halbzeitpause eines Fußballspiels danach fragen, ob ein Stürmer gerade einen inneren Reichsparteitag erlebt. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin verlor ihren Job, nachdem sie George W. Bush mit Adolf Hitler verglichen hatte.

    Im Ausland dagegen breiten sich Nazi-Vergleiche offenbar inflationär aus. Diesen Eindruck gewinnen wir jedenfalls fast jeden Abend, wenn wir die Bilder aus Zypern, Griechenland oder Spanien sehen. Alfred Grosser ist französischer Publizist, seine deutsch-jüdische Familie ist 1933 vor den Nazis nach Frankreich geflohen. Guten Morgen, Herr Grosser!

    Alfred Grosser: Guten Morgen.

    Meurer: Man kann ja Deutschland kritisieren. Aber müssen es die ewigen Nazi-Vergleiche sein?

    Grosser: Nein, das nicht, und oft sind die Nazi-Vergleiche nur Mittel, um abzuweichen von der eigenen Verantwortung, von der eigenen Schuld. Zum Beispiel in Griechenland ist immer noch nichts gemacht worden, damit die Kirche zahlt. Auf Zypern muss die Kirche auch nicht zahlen, und die großen Reedereien müssen auch noch nicht zahlen. Das wird dann dabei vergessen, wenn man die Deutschen beschimpfen kann.

    Aber die haben auch eine gewisse Schuld, nicht an dem Nazi-Vergleich, sondern dass immer Unverständnis gezeigt wird, wenn man sparen muss, und zum Beispiel zu Griechenland sagt, es müssen wieder 3000 Beamtenstellen abgebaut werden, und die Menschen werden wieder arbeitslos, und wie kann man dann gesunden, wenn man kaputt geht.

    Meurer: Dass Leute sich ärgern, wenn sie ihr Geld verdienen, ist ja völlig logisch. Wird der Unmut sozusagen gezielt in Richtung Deutschland gelenkt?

    Grosser: Ja, weil Deutschland, Frau Merkel steht da als die, die ständig neue Ersparnisse fordert, während hingegen zum Beispiel Francois Hollande sagt, es muss doch irgendwas getan werden, damit die Länder sich aufbauen können und nicht total kaputt gehen, dann können sie überhaupt keine Schulden zurückbezahlen. Außerdem weiß man zum Beispiel in Griechenland oder auf Zypern, dass ein Teil des deutschen Geldes, das sehr viel nach Süden fließt, dazu da ist, um die deutschen Banken zu retten, die dort investiert haben.

    Meurer: Um noch mal bei der Nazi-Terminologie zu bleiben, Herr Grosser. In Deutschland, so jedenfalls mein Eindruck, prallt das doch an der Mehrheit ab, was wir da hören. Ist das ein gutes, oder ein schlechtes Zeichen?

    Grosser: Das ist ein sehr schlechtes Zeichen, und da kann man es nur als das Glück empfinden, dass es den deutsch-französischen Beziehungen seit 60 Jahren in der Zivilgesellschaft so gut geht, denn solche Vergleiche kommen in Frankreich nicht vor, und ich denke in Polen auch sehr wenig, weil es deutsch-polnisch gut geht.

    Meurer: Also die Zitate sind ein schlechtes Beispiel. Aber dass wir Deutsche da eigentlich relativ gelassen darauf reagieren, wie sehen Sie das?

    Grosser: Ja ich finde das gut. In England ist es eine alte Sache. Die ältere Generation weiß, wer der Torwart Lehmann war. Wie der Mann einen Strafstoß gehalten hat, hieß es in der Boulevard-Presse in London, zum ersten Mal hat ein Hunne England etwas Gutes getan.

    Meurer: Gerade beim Fußball haben wir geglaubt, nach der Weltmeisterschaft 2006, jetzt werden wir in Europa und in der Welt anders gesehen, der farbenfrohe deutsche Fan als Patriot. Ist das doch nur so ein dünner Firnis und darunter haben wir Deutschen dann doch den Wehrmachtshelm auf?

    Grosser: Nein. Aber für viele in Griechenland vielleicht. In Spanien ist es viel weniger. Man weiß auch, dass die spanische Haushaltspolitik so katastrophal war, dass Hunderttausende von Menschen jetzt ohne Mittel dastehen und ihre Häuser verlassen müssen, weil man ihnen Kredite gegeben hat, die sie nicht zurückzahlen können. Das wusste man, und man versteckt sich, einige verstecken sich dann hinter Deutschlandfeindseligkeit, um so was wiedergutzumachen.

    Und wie gesagt, Zypern ist ja nur da, weil es einen griechischen Druck gegeben hat, und man bezahlt auch dafür, die Deutschen, die Franzosen, dass man Griechenland reingelassen hat, obwohl man wusste, dass es noch mehr gemogelt hat als alle anderen zusammen.

    Meurer: Auch bei Ihnen in Frankreich, Herr Grosser, wächst ja die Kritik an Deutschland, an unserer Politik, an unserer Europolitik. Was meinen Sie?

    Grosser: Ja, die Kritik wächst, vor allen Dingen, weil man sich völlig irrt über die Gründe, weswegen es Deutschland besser geht. Alle sprechen von Schröder, und Schröder heißt Sozialabbau, und das fürchtet man nicht zu Unrecht, und man spricht nicht von den mittelständischen Betrieben. Man spricht nicht von der Ausbildung, man spricht nicht von der Forschung, man spricht nur von Schröder, und Schröder ist ein negatives Zeichen für die französische Gesellschaft.

    In Deutschland diskutiert man richtig darüber, dass nicht nur Schröders Agenda irgendwie schuld ist, dass es Deutschland besser geht, sondern strukturelle Besonderheiten, gute Besonderheiten der Bundesrepublik.

    Meurer: Also Sie halten die Diskussion für verkürzt, Deutschland ist für Sie sehr wohl ein positives Beispiel, wie man mit der Wirtschaft umgehen kann?

    Grosser: Ja genau! Es ist ein positives Beispiel, mit viel Mogeleien, mit Skandalen bei der Hamburger Bank, bei der Bayerischen Landesbank und so weiter und so weiter, bei Thyssen. Es gibt viele deutsche Skandale, und natürlich lächelt man ein bisschen darüber, dass man mit dem Flughafen nicht fertig wird, dass man mit der Philharmonie nicht fertig wird, dass man in Stuttgart nicht fertig wird und jetzt in Wilhelmshaven nicht fertig wird. Also das wird ein bisschen belächelt. Die Deutschen wollen immer Vorbild sein, da sind sie es nicht, und ich finde das an sich sehr gut.

    Meurer: In den USA hört man häufig, Deutschland ist nun mal so stark, wie es ist, es soll eine dominierende Rolle auch annehmen, Leadership übernehmen. Was meinen Sie?

    Grosser: Nein! Also bis jetzt, inklusive Frau Merkel, ist die deutsche Außenpolitik und Militärpolitik zurückhaltend geblieben, schlicht geblieben, und es ist nicht die Schuld der Bundesrepublik, dass es ihr wirtschaftlich besser geht als manchen anderen. Nur, dass sie auch mitmachen muss, um den anderen zu helfen. Die fünf Weisen haben jetzt gesagt, Deutschland ist auch jetzt rückständig, weil die Exporte nicht mehr steigen können. Die anderen haben kein Geld mehr, um zu kaufen. Das muss in Deutschland auch bedacht werden.

    Meurer: Hat sich in der deutsch-französischen Zusammenarbeit etwas geändert, ein bisschen weg vom gemeinsamen Motor, und doch Deutschland gibt jetzt den Takt vor in der Euro-Politik?

    Grosser: Etwas, weil Hollandes Einstellung etwas kompliziert ist, und dann, weil in Frankreich etwas auftaucht, was bislang nicht auftauchte: Das ist der Begriff Preußen. Das hört man wieder hier und da, das war auch der Fall von General de Gaulle. Preußen ist auf der anderen Seite, von Bonn nach Berlin ist ein Schritt nach Preußen, und Preußen hat in Frankreich immer ein negatives Zeichen gehabt.

    Meurer: Für was steht Preußen in Frankreich?

    Grosser: Nicht für seine positiven Seiten. Schon in der Literatur des 19. Jahrhunderts, da sind die braven Deutschen und die bösen Preußen. Alle Offiziere, die böse sind, sind Preußen. Und de Gaulle sagte mir mal bei einem interessanten Gespräch, wir wissen ja, Sie und ich, auf der anderen Seite liegt Preußen – das war die DDR -, und dass die bösen Preußen Kommunisten geworden waren, wäre natürlich in Bayern oder im Rheinland erstaunlich gewesen.

    Meurer: Gibt es irgendetwas in der Richtung wie Deutschlandfeindlichkeit in Frankreich, das da heranwächst?

    Grosser: Nein, ich habe wirklich nicht den Eindruck, vielleicht bei den einen oder anderen Politikern, die auch nach Auswegen suchen und dann gerne andere anklagen. Aber ich glaube, im Großen und Ganzen ist ja die deutsch-französische Annäherung so wunderbar gelungen auf der Ebene der Bevölkerung, dass es da keine Probleme gibt, wenige Probleme und auf einem ganz anderen Niveau als mit den Südstaaten.

    Meurer: Würden Sie, Herr Grosser, Angela Merkel oder Wolfgang Schäuble irgendwie empfehlen, ihren Ton zu verändern, die Ansprache zu verändern?

    Grosser: Wolfgang Schäuble sicher nicht. Er ist ja der einzige große Europäer in der deutschen Regierung und ich bewundere ihn weiter restlos. Die Kanzlerin könnte einen verständnisvolleren Ton einschlagen, wenn sie von den anderen fordert, dass wieder gespart, gespart und gespart wird, dass abgebaut wird, sozial immer mehr abgebaut wird, dass immer mehr Leute arbeitslos werden, dass das Elend größer wird in Portugal, in Spanien, in Griechenland. Es fehlen da eigentlich Worte des Verständnisses.

    Meurer: Alfred Grosser, der deutsch-französische Publizist, zur Frage, wie werden wir in Frankreich und in Europa wahrgenommen. Herr Grosser, schönen Dank und auf Wiederhören nach Paris.

    Grosser: Bitte – auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Der Politikwissenschaftler Alfred Grosser aus Paris
    Wenn man die Deutschen beschimpfen kann, werde die eigene Schuld vergessen, kritisiert der Politikwissenschaftler Alfred Grosser. (AP)