Christiane Kaess: Monatelang stritten Union und SPD darüber, wie umgehen mit dem Paragrafen 219a, der Werbung für Abtreibungen verbietet. Viele sahen in dem Gesetz einen Grund, dass viele Frauen, die über eine Abtreibung nachdenken, zu wenig relevante Informationen darüber bekommen. Im Dezember einigten sich dann die beteiligten Ministerien von Justiz, Familie, Gesundheit und Inneres auf Eckpunkte, und jetzt gibt es einen Gesetzentwurf, der am 6. Februar durch das Kabinett gehen soll. Ich kann darüber jetzt sprechen mit der Gießener Ärztin Kristina Hänel. Sie war nach Paragraf 219a zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie auf der Internetseite Ihrer Praxis darüber informiert hatte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, und vor einem Jahr hat das die heftige Debatte um das Gesetz ausgelöst. Guten Tag, Frau Hänel!
Kristina Hänel: Guten Tag!
Kaess: Wir haben auch gerade schon kurz gehört, dass Sie das neue, diesen Gesetzentwurf keinen guten Kompromiss finden. Warum?
Hänel: Ja gut, also als erstes möchte ich doch sagen, dass es einen kleinen Fortschritt gibt. Dass nämlich Ärzte und Ärztinnen in Zukunft sagen dürfen, ob sie Abbrüche machen oder nicht. Das müssen wir anerkennen, das ist ein Schritt in die richtige Richtung, ein klitzekleiner Schritt. Unterm Strich bleibt aber der 219a bestehen, das heißt, wir Ärztinnen und Ärzte werden weiter als potenzielle Verbrecherinnen dargestellt, wenn wir Frauen sachlich und seriös informieren, was ich getan habe. Und es bleibt auch für mich weiterhin meine Homepage strafbar, sodass mein Gang durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht letztlich, wo ja geklärt werden muss, ist dieser 219a überhaupt mit unserem Grundgesetz vereinbar, dieser Gang bleibt völlig unberührt. Das heißt, ich werde nicht freigesprochen.
"Wir dürfen nicht mit unseren Worten informieren"
Kaess: Bleiben wir …
Hänel: Damit ist quasi das Informationsrecht für Frauen nicht erreicht.
Kaess: Bleiben wir kurz bei diesem Punkt, den Sie …
Hänel: Entschuldigung.
Kaess: Nein, gerne. Bleiben wir kurz bei diesem Punkt, den Sie angeführt haben, Ihre Homepage. Sie sagen, die bleibt auch weiterhin illegal. Warum?
Hänel: Weil der neue Entwurf vorsieht – und so hat Katharina Barley es eben auch wieder erklärt –, dass Ärzte sagen dürfen, dass sie Abbrüche machen. Für alle weiteren Informationen müssen sie dann auf offizielle Stellen verweisen. Mit ihren eigenen Worten dürfen sie weiterhin nicht als Fachleute informieren. Also wir dürfen nicht unsere eigene Sprache sprechen, wir dürfen nicht unsere Patientinnen mit unseren Worten auf der Homepage aufklären und informieren. Das bleibt weiterhin verboten. Und damit ist es kein Schritt in die nötige Richtung, dass Frauen das Informationsrecht endlich bekommen.
Kaess: Was steht da auf Ihrer Website, von dem Sie glauben, dass die Information nicht in Ordnung ist auch mit diesem neuen Gesetzesentwurf?
Hänel: Es geht grundsätzlich darum, dass wir nicht mit unseren eigenen Worten nähere Informationen zum Abbruch geben dürfen. Wir dürfen nur verweisen auf zum Beispiel die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Das ist so vorgesehen.
"Diese Frauen sind in Not"
Kaess: Oder alternativ, wenn jemand sagt, ich möchte einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, geht auf Ihre Website, sieht, Sie machen das, könnte diese Patientin ja in dem Fall bei Ihnen einen Termin ausmachen und sich bei Ihnen in der Praxis beraten lassen.
Hänel: Ja, aber diese Frauen sind in Not, die haben Zeitdruck, die können nicht zehn Ärzte besuchen und gucken, was die Ärzte, was das für Menschen sind, wie oft die das schon gemacht haben, welche Methoden die anbieten und so weiter. Diese Zeit haben Frauen nicht, und auch diese Kapazitäten hat eine Arztpraxis nicht. Und warum soll denn ausgerechnet die Gruppe, die sich am besten auskennt, ein Sprechverbot bekommen?
Kaess: Aber gehört auf der anderen Seite, muss ich mal fragen, gehört denn die direkte Beratung in so einem Fall nicht für Sie als Ärztin auch fest dazu?
Hänel: Ja, natürlich. Also in dem Moment, wo eine Frau kommt und einen Termin ausmacht, wird sie natürlich beraten und informiert. Das ist ja ganz klar. Also darüber sprechen wir ja gar nicht. Es geht darum, dass Frauen heutzutage – und das machen ja alle Menschen – sich in einer bestimmten Situation an den Computer setzen und versuchen, sich zu informieren. Und dann geraten sie auf die Seiten der Abtreibungsgegner, und demnächst können sie dann die offiziellen Listen einsehen, aber dann haben sie immer noch kein Bild von dem Arzt oder der Ärztin, wo sie eventuell hingehen werden.
Kaess: Ich muss da noch mal nachfragen, weil Sie diese Methoden angesprochen haben. Es soll ja jetzt eine Liste mit Ärzten, Krankenhäusern und entsprechenden Einrichtungen geben, die Abtreibungen durchführen. Die Bundesärztekammer soll die erstellen, und diese Liste, die soll auch Angaben über die jeweils angewendeten Methoden geben. Also was fehlt Ihnen da noch?
Hänel: Ja, wir haben ja in Bayern momentan die Situation, dass Beratungsstellen keine Informationen rausgeben dürfen, also keine Adressen, und dass dann an staatliche Stellen verwiesen wird. Und da wissen wir einfach, dass das in der Realität schlecht oder gar nicht funktioniert. Also so eine Liste ist in der Regel nicht aktuell. Ob wirklich dann da draufsteht, bis zur wievielten Woche die Ärzte das machen, welche Narkoseform sie nehmen, das wird sich ja alles erst zeigen.
"Klar, dass wir diese Listen brauchen"
Kaess: Aber wäre es nicht dann an der Bundesärztekammer, auf die zurückzukommen, um zu sagen, sie müssen diese Liste aktuell halten, denn das kann man ja erst mal unterstellen, dass dieser Gesetzesentwurf das auch sich wünschen würde.
Hänel: Ja, natürlich. Natürlich wird das so sein. Und wir haben ja bereits im Dezember 2017 diese Listen gefordert und haben begonnen, dass die Gesundheitsämter diese Listen erstellen und den Frauen zur Verfügung stellen. Das ist ja schon zum Großteil da oder teilweise erfüllt in Deutschland. Das ist ja jetzt keine ganz besondere Neuerung. Das ist natürlich klar, dass wir diese Listen brauchen, aber das ändert ja nichts daran, dass unsere Berufsfreiheit, dass wir Frauen informieren möchten, eingeschränkt wird.
Kaess: Aber ich muss noch mal nachfragen, warum ist diese Information … Also wenn wir jetzt mal davon ausgehen, wir haben eine aktuelle Liste, und diese Liste führt die entsprechenden Methoden auf, so wie Sie das gerne hätten, das würde jetzt in Zukunft auch so sein, warum ist es Ihnen dann immer noch so wichtig, dass Sie über das Internet noch mal extra informieren? Denn, wie gesagt, die Patientin kann ja auch zu Ihnen in die Praxis kommen, wenn sie sich vorinformiert hat über diese Listen, und kann dann noch mal mit Ihnen persönlich drüber sprechen.
Hänel: Fragen wir doch lieber noch mal andersrum: Warum soll ich als Ärztin ausgerechnet an dieser Stelle, wo das für Frauen so ein relevantes Thema ist, nicht mit den Frauen kommunizieren dürfen? Warum muss ich ein Sprechverbot bekommen? Und warum soll ich dafür ins Gefängnis gehen, dass ich Frauen informiere? Was ist denn der Sinn davon, wofür soll das denn gut sein, dass Frauen von diesen Informationen ferngehalten werden sollen? Es ist doch unwürdig zu glauben oder es entmündigt Frauen, dass sie sich aufgrund von Werbung, die wir ja gar nicht machen – wir wollen ja informieren –, zu einem Abbruch entscheiden würden. Und dieses Frauenbild …
"Die Mehrheit der Bevölkerung ist für mündige Patientinnen"
Kaess: Hätte es für Sie dann eventuell noch klarer definiert werden müssen in diesem Gesetzesentwurf, was Werbung ist und was Information ist?
Hänel: Das ist ja das Problem des 219a, dass er die sachliche Information unter Werbung unter Strafe stellt. Das ist ja das Grundproblem des ganzen Paragrafen, und solange das nicht gelöst ist, wird die Justiz weiter damit beschäftigt sein. Es ist ja keine Lösung. Also ich kann ja als Ärztin nicht noch Jura studieren, nur um zu wissen, wie ich mich verhalten darf.
Kaess: Sagen Sie uns noch kurz zum Schluss, Frau Hänel, es geht ja auch ein bisschen darum, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden, denn die Positionen liegen ja sehr weit hier auseinander. Hat der Gesetzentwurf uns da zumindest ein Stück weitergebracht Ihrer Meinung nach?
Hänel: Das glaube ich nicht. Es ist ein Versuch zu beschwichtigen, aber die Mehrheit der Bevölkerung ist ja für mündige Bürgerinnen und für mündige Patientinnen und steht da deutlich hinter mir, auch die Mehrheit des Bundestages. Wenn jetzt versucht wird, den 219a auf irgendeine Art doch noch zu halten, um eine Lobbyarbeit, also um Menschen zu beschwichtigen und um die Debatte kleinzureden - ich glaube, das wird nicht funktionieren. Das werden die Frauen sich nicht gefallen lassen.
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