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Einmal die Mona Lisa sehen

An den bevorstehenden Pfingsttagen werden täglich rund 50.000 Touristen aus aller Herren Länder im Louvre erwartet. Sie drängen sich unterhalb der gläsernen Pyramide, nur um eines zu sehen: Leonardo da Vincis Mona Lisa. Doch nicht jeder Louvre-Mitarbeiter teilt die Begeisterung der Besucher. Hans Woller berichtet aus Paris.

    Genevieve Bresc, seit fast 30 Jahren im Louvre, heute verantwortlich für die Hauptabteilung Skulpturen, legt fast einen Kilometer zurück, wenn sie von ihrem Büro durch unterirdische Gänge in ihre Abteilung, den prächtigen Richelieu-Flügel eilt.

    Als anerkannte Historikerin des Louvre war sie jüngst auch eine stark gefragte Beraterin bei der aufwendigen Renovierung des Paradesaals im ehemaligen Königsschloss, der so genannten "Apollo- Galerie." Eine Renovierung, die auch für Polemik sorgte: von einem Weltkonzern finanziert, erhielt dieser für seine 150.000 Mitarbeiter im Gegenzug freien Eintritt im Louvre, denn ohne Kultursponsoring geht auch hier fast nichts mehr:

    "Der Louvre hat in der Vergangenheit viele öffentliche Gelder bekommen, um neue Säle zu bauen, den Richelieu Flügel, die Pyramide - jetzt aber sind große Operationen nur noch mit Mäzenen möglich. Hier, der Apollo-Saal, er wurde von Total-Fina Elf gesponsert. Andere Restaurierungen, wie der neue Saal für die Mona Lisa, sind ebenfalls von Mäzenen finanziert worden. Das ist absolut unerlässlich."

    Der neue Ausstellungssaal für die Mona Lisa, mit einer Kapazität für 1500 Besucher pro Stunde, wurde vom japanischen Fernsehen mit fast fünf Millionen Euro gesponsert. Nun stehen gleich drei Wärter vor dem berühmten Gemälde, um den Besucherstrom durchzuwinken, als wären sie Verkehrspolizisten. Genevieve Bresc stöhnt beim Wort Mona Lisa hörbar auf:

    "Sie ist ein Zeichen, fast ein Logo des Louvre, aber sie übertreibt ein wenig, drängt sich zu sehr in den Vordergrund und das Publikum ist von ihr hypnotisiert, schaut sich andere, außergewöhnliche Dinge überhaupt nicht an. Und jetzt gibt es zusätzlich seit einigen Monaten auch noch dieses sehr schlechte amerikanische Buch "Das Sakrileg", das die Berühmtheit dieses Gemäldes noch verstärkt. Ich finde diesen Hang zu einem falschen, billigen Mystizismus ziemlich bedenklich, aber die Leute fasziniert da, und sie machen richtige Wallfahrten in Sachen Sakrileg."

    Zu den künftigen Dreharbeiten für die Verfilmung dieses Buchs sagt sie nur diplomatisch, davon wisse sie nichts.

    "Die Gioconda ist ein Monster, aber jedes Museum braucht wohl ein solches Monster,"

    meint Michel Menu, Physiker im Labor des Louvre.

    "Die Leute sagen sich eben: Wenn ich in den Louvre gehe, dann will ich die Mona Lisa sehen."

    Weit ab vom Trubel, in einem der Säle der französischen Malerei des 17. Jahrhunderts steht ein Kopist vor seiner Staffelei und einem Werk von de la Tour:

    "Ich find das sehr, sehr schade, dass 80 Prozent der Leute wegen der Mona Lisa in den Louvre kommen und in der großen Galerie einfach vorbeigehen, ohne die anderen schönen Gemälde von Leonardo oder Rafael zu sehen. Aber wenn ihnen das vielleicht die Augen für anderes öffnet, ist das in Ordnung. Letztlich ist die Mona Lisa die beste Werbung für den Louvre, zieht viele Leute ins Museum, und vielleicht entdecken die ja doch etwas anderes. Das wäre gut."
    Die Mona Lisa, ein permanentes Ereignis, ein unbezahlbarer Magnet, der im Louvre für Masse sorgt, gleichzeitig das kunstinteressierte Publikum aber eher abschreckt. Dieses Publikum konzentriert sich mehr und mehr auf zeitweilige Sonderausstellungen. Eine Entwicklung, die Pierre Rosenberg, Generaldirektor des Louvre von 1994 bis 2001, mit Sorge erfüllt:

    "Das Publikum sucht heute das Ereignis. Das Museum aber steht für das Permanente. Ich bin persönlich sehr beunruhigt über diese weltweite Tendenz, deren Opfer auch der Louvre ist, die aber auch in Deutschland, Österreich oder Amerika existiert und dazu führt, dass die Ausstellungen, die ein Ereignis sind, die kunstinteressierten Besucher anziehen, und das Museum nur noch die Touristen. Die Leute wollen das spektakulärste, grandioseste, schönste Ereignis, so viele van Goghs oder Vermeers wie möglich und das ist ein wenig beunruhigend und schwächt die Museen."