Auf der Internationalen Raumstation wird alles dafür getan, die Schwerkraft möglichst auszuschalten. Denn schließlich sollen die meisten Experimente ja eben unter Mikrogravitation stattfinden, also ohne störenden Einfluss der Erde. Bei mehrmonatigen Reisen zu weiter entfernten Zielen im All gelten jedoch umgekehrte Vorzeichen, betont David Smitherman aus dem Büro für fortgeschrittene Konzepte beim Marshall Space Flight Center der US-Raumfahrtbehörde NASA in Huntsville, Alabama:
"Für Mars-Missionen wäre es von Vorteil, wenn die Raumschiffe über künstliche Schwerkraft verfügen würden. Ein Drittel der Erdanziehung würde ausreichen. So stark ist nämlich auch die Anziehungskraft auf dem Mars. Die Astronauten müssten sich dann nicht erst anpassen, sondern könnten nach der Landung sofort aussteigen und mit ihrer Arbeit loslegen."
Rotation mach Andocken anderer Raumschiffe unmöglich
Das einfachste Konzept, künstlich Schwerkraft herzustellen, bestünde darin, ein Raumschiff um sein Zentrum rotieren zu lassen. Verbunden durch eine längliche Gitterstruktur würde in den Mannschafsquartieren an beiden Enden dieses Gefährts Schwerkraft herrschen. Die Besatzung könnte dort aufrecht stehen und sich gehend fortbewegen. Dieses Verfahren habe jedoch auch Nachteile, gibt die Materialingenieurin Emily Peterson von der Michigan Technological University zu bedenken:
"Dreht sich das gesamte Raumschiff, ist es unmöglich, daran mit einem anderen Raumschiff anzudocken. Auch der Eintritt in die Mars-Atmosphäre lässt sich nicht mit einem Objekt durchführen, das rotiert."
Genauso wie ein Raumschiff erst nach dem Start, also im Weltraum, in Rotation versetzt werden würde, wäre es natürlich auch möglich, es abzubremsen, zum Beispiel für einen Andockvorgang oder für die Landung. Für die Besatzung angenehmen wäre das jedoch nicht, erklärt Peterson:
"Jedes Anlaufen und jedes Abstellen der künstlichen Schwerkraft beeinflusst das Wohlbefinden der Astronauten. Dabei wirkt die Coriolis-Kraft. Wir spüren sie, wenn unser Körper beschleunigt oder abgebremst wird.
Wegen ihr wird manchen Menschen beim Autofahren schlecht. Genauso würde es der Crew eines Raumschiffs jedes Mal gehen, wenn die Eigendrehung ihres Raumschiffs zum Stillstand kommt oder wieder Fahrt aufnimmt. Unregelmäßigkeiten in der Rotation sollten wir also tunlichst vermeiden."
"Es traut sich niemand, ganz von vorne anzufangen"
Stattdessen plädiert David Smitherman von der NASA für eine Art Zentrifuge, wie sie zuletzt in dem Kinofilm "Der Marsianer" zu sehen war:
"Es gäbe einen Abschnitt in der Mitte des Raumschiffs, in dem Schwerelosigkeit herrschen würde. Aber in einem sich drehenden Rad außerhalb gäbe es Schwerkraft. Vielleicht sollten wir lieber ein derart anspruchsvolleres System entwickeln."
Wirft man einen Blick auf die Mars-Raumschiffe, die derzeit von der NASA und von verschiedenen amerikanischen Raumfahrtkonzernen geplant werden, zeigt sich: Keines von ihnen ist dafür konzipiert, sich um die eigene Achse zu drehen. Und ebenso verfügt kein einziges über ein Segment, in dem sich künstliche Schwerkraft erzeugen ließe. Peterson:
"Ganz von vorne anzufangen innerhalb eines Multi-Milliarden-Dollar-Programms - das ist etwas, das sich niemand traut. Viel lieber vertrauen die Raumfahrtkonzerne den bewährten tonnenförmigen Modulen und ändern sie nur etwas ab.
Künstliche Schwerkraft gilt als zu kompliziert. Es gibt zu viele Unbekannte. Wir wissen auch nicht, wie der menschliche Körper darauf reagiert, ununterbrochen zu rotieren. Deswegen arbeiten die Raumfahrtingenieure und - firmen lieber weiter mit dem, was sie kennen."
Ohne Zentrifuge zum Mars zu fliegen ist mit Sicherheit einfacher und billiger. Es könnte sich jedoch spätestens bei der Landung rächen. Denn dann werden die Astronauten nach einem mehrmonatigen Flug durch die Schwerelosigkeit nicht mehr an Schwerkraft gewöhnt sein und müssen sich auf dem Mars erst wieder langwierig darauf einstellen.