Der türkische Einmarsch in Syrien war völkerrechtlich äußerst fragwürdig, die Militäraktion in Afrin längst nicht so sauber, wie es die türkische Regierung versucht, vor allem ihrer eigenen Bevölkerung weiszumachen. Doch vor allem in ihrer letzten Phase hätte die Eroberung Afrins noch wesentlich blutiger werden könnten. Als die türkischen Soldaten vor der Stadt standen, drohte ein Häuserkampf – verlustreich auf beiden Seiten.
Die Türkei hatte bereits Spezialkräfte in Position gebracht. Dass die Stadt nun ohne einen noch höheren Blutzoll eingenommen werden konnte, ist vor allem den kurdischen Volksschutzeinheiten YPG zu verdanken. Natürlich sind auch den kurdischen Kämpfern Menschenrechtsverletzungen und möglicherweise sogar Kriegsverbrechen vorzuwerfen, zum Beispiel weil sie Zivilisten daran hinderten, die Stadt zu verlassen, um sie als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Es scheint aber, dass sie sich im letzten Moment tatsächlich als "Volksschutzeinheit" verdient gemacht haben, indem sie ohne viel Gegenwehr zu leisten, aus der Stadt geflohen sind.
Für die Kurden war der Kampf nicht zu gewinnen
Militärisch hätten sie gegen die türkische Übermacht und deren grobschlächtige Handlanger von der Freien Syrischen Armee noch eine ganze Zeit Widerstand leisten können. Ihre Waffenlager waren noch gut gefüllt, das letzte Pulver längst nicht verschossen. Ob die Kurden darauf verzichtet haben, weil sie feige den Schwanz eingezogen haben, wie der türkische Präsident Erdogan es ausdrückt, oder aus Verantwortungsbewusstsein, dürfte für die leidgeprüfte Bevölkerung Afrins keine Rolle spielen. Zu gewinnen war dieser Kampf für die Kurden letztendlich nicht.
Doch auch ohne Häuserkampf spielen sich im eroberten Afrin unschöne Szenen ab. Kämpfer der Freien Syrischen Armee plündern Wohnungen und Geschäfte, schleppen alles davon, was Wert hat und beweglich ist, seien es Lebensmittel, Motorräder, Autos oder Ziegen. Die Rebellen haben die Drecksarbeit gemacht und holen sich jetzt, was ihnen nicht zusteht. Da reiben sich auch die türkischen Soldaten die Augen. Wenn die Türkei ernst meint, dass sie Afrin von Terroristen befreien wollte, dann muss sie diesem Treiben sofort ein Ende setzen. Andernfalls hätte sie die einen Terroristen nur gegen die anderen ersetzt. Zwar betont Ankara stets, nicht dauerhaft in Afrin präsent bleiben zu wollen. Angesichts des Verhaltens der Freien Syrischen Armee schiene ein vorzeitiger Rückzug aber auch verantwortungslos.
Plünderungen durch die Freie Syrische Armee
Zunächst einmal ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der türkische Regierungssprecher Bekir Bozdag ankündigt, die Türkei wolle die zerstörte Infrastruktur wieder aufbauen. Strom- und Wasserleitungen reparieren, die medizinische Versorgung sicherstellen, den Schulbetrieb wieder aufnehmen.
Erfahrungen aus der nordsyrischen Stadt Dscharabulus zeigen jedoch, wie die Türkei Fakten schafft. Nachdem die Terrormiliz Islamischer Staat vertrieben war, wurde die Stadt quasi türkisch – mit einem türkischen Krankenhaus, Strom und Wasser aus der Türkei, einer Filiale der türkischen Post und türkischem Unterrichtsmaterial in den Schulen. In gewissen Grenzen ist auch das nicht zu verurteilen. Wir Deutschen haben ja selbst unsere Erfahrungen mit ausländischen Großmächten beim Wiederaufbau nach dem Krieg. Vieles davon wissen wir zu schätzen. Die Türkei sieht sich in einer ähnlichen Rolle wie damals die USA.
Sicherheit, Vertrauen Stabilität herzustellen - das klingt gut. Allerdings sind viele Bewohner Afrins der Meinung, dass sie das schon einmal hatten – bevor die Türken kamen und auch diesen, bis dahin relativ friedlichen Fleck Syriens, in ein Schlachtfeld verwandelt haben.