Archiv


Einreise nach Tschetschenien verweigert

Lange: Tschetschenien ist weiterhin die offene Flanke der russischen Politik. Das hat sich jetzt wieder einmal gezeigt. Der Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur, Rupert Neudeck, der Schriftsteller Günter Wallraff und der CDU-Politiker Norbert Blüm wollten über Moskau nach Inguschetien reisen und sich dort über die Situation tschetschenischer Flüchtlinge informieren. Aber in Moskau war Endstation. Rupert Neudeck ist jetzt am Telefon. Wie haben denn die russischen Behörden die Verweigerung der Einreise begründet?

    Neudeck: Sie haben sie mit keinem Wort begründet. Wir haben nach den Gründen gefragt und der Beamte im Flughafen von Moskau sagte uns, dass es keine Gründe gebe. Er konnte keine Gründe nennen, er wusste es nicht.

    Lange: Aber Sie hatten ja gültige Visa. Wie erklären Sie sich den Sinnungswandel?

    Neudeck: Ich weiß nicht, ob es ein Meinungswandel ist. Wir wissen ja nun, dass die Regierung sowohl von Jelzin wie auch vom Nachfolger Putin eigentlich die Präsenz von internationalen Beobachtern in Tschetschenien und im Nachbarland Inguschetien immer für sehr riskant gehalten haben. Nun ist es ja auch dazu gekommen, dass ausgerechnet am Silvestertag Präsident Putin die letzte OSZE-Mission des Landes verwiesen hat. Das heißt, es gibt jetzt in Tschetschenien niemanden mehr, der unabhängig berichten kann. Wir hatten ja auch schon die entsprechenden Flugtickets bestellt. Wir hatten ein Gespräch mit dem Putin-Beauftragten für Tschetschenien für den gestrigen Tag angemeldet. Also, es war eigentlich alles vorbereitet, um genau das zu tun, was die Regierung in Moskau nicht will, nämlich eine unabhängige Menschenrechtsbeobachtung in Tschetschenien herzustellen.

    Lange: Was erfahren Sie denn unter Cap Anamur über das, was da in Tschetschenien im Moment vor sich geht.

    Neudeck: Also wir erfahren durch unsere lokalen Mitarbeiter, dass erstens die Flüchtlinge in Inguschetien in einer immer drängenderen und angstvolleren Situation überleben. Sie werden nämlich gezwungen, nach Tschetschenien zurückzugehen, was sie unter den Bedingungen der Willkür der russischen Armee eigentlich nicht können. Das Zweite ist, dass in diesem furchtbaren Krieg ihre Dörfer zerstört worden sind, so dass sie auch deshalb nicht dorthin kommen können. In Tschetschenien selbst herrscht eine Menschrechtssituation, die wahrscheinlich jeder Beschreibung spottet. Es gibt also in diesem Land keine einzige Instanz mehr, an die sich die Bürger des Landes wenden können. Es gibt nur die Willkür sowohl der russischen Armee wie auch der Mudschaheddin-Kräfte, also der Milizen von fundamentalistischer Seite, die dort auch ihr Unwesen treiben. Beide stellen für die Bevölkerung einen großen Schrecken dar.

    Lange: Wie werden Sie jetzt nach dieser gescheiterten Mission reagieren?

    Neudeck: Ich denke, das Auswärtige Amt und unser Bundesregierung haben begriffen, dass das ein politischer Skandal ist, dass wir trotz gültiger Visa am Flughafen in einer Delegation von drei Leuten dort abgewiesen worden sind. Wir haben am Montag ein Gespräch mit dem Außenminister Joschka Fischer. Ich denke, es ist für die Bundesregierung klar, dass man das bei der guten Lage der Beziehungen zu Russland nicht auf sich beruhen lassen kann. Also die Bundesregierung und unsere auswärtige Politik müssen jetzt beweisen, was es heißt, wenn man sagt, die Menschrechte hätten die absolute Priorität in der Außenpolitik. Ich denke, das ist jetzt gefragt. Wir haben das auch als Forderung an unseren Außenminister formuliert.

    Lange: Vielen Dank, Herr Neudeck!

    Link: Interview als RealAudio