Es ist keine Übertreibung, wenn man behauptet, dass Peter Liese stinksauer ist. "Ich finde es unglaublich, dass die UEFA sich gegen den Gesundheitsschutz stellt."
Was den Mediziner und CDU-Europaabgeordneten so auf die Palme bringt, ist der Druck, den die UEFA auf die britische Regierung ausübt. Im Wembley-Stadion in London sollen die beiden EM-Halbfinalspiele am 6. und 7. und das Finale am 11. Juli ausgetragen werden. Maximal die Hälfte der 90.000 Plätze im Stadion werden besetzt sein. So ist es zwischen dem Fußballverband und der britischen Regierung vereinbart.
Doch dann kam Delta, die jüngste Corona-Variante, die sich insbesondere auf der Insel wie ein Lauffeuer ausbreitet. Die zugesagte Aufhebung aller Corona-Restriktionen hat der britische Premier Boris Johnson deshalb um einen Monat verschoben. Doch dann ist die EM längst Geschichte. Und jetzt fürchtet die UEFA um die Strahlkraft – und den kommerziellen Erfolg ihres Turniers.
Zehn Tage Quarantäne bei Einreise
Der Hintergrund: Nur aus ganz wenigen Ländern, die auf der grünen Liste der britischen Regierung stehen, dürfen Fans zu den drei Spielen einreisen, ohne Auflagen befolgen zu müssen. Für alle übrigen gilt: zehn Tage Quarantäne, aus der man sich nach fünf Tagen freitesten kann. Und das behagt den mächtigen Fußballbossen gar nicht.
Die Londoner Times berichtete, dass die UEFA Lockerungen verlangt. Fans sollen ungehindert ein- und ausreisen dürfen, wenn sie einem strengen Hygienekonzept folgen und nicht länger als 24 Stunden im Land bleiben. Vor allem aber soll die britische Regierung 2500 VIPs einen Freifahrtschein erteilen: Keine Quarantäne, keine sonstigen Belästigungen. Der britische Premier Boris Johnson scheint nicht abgeneigt, den UEFA-Bossen zu Diensten zu sein. Auch wenn er beteuert, dass die öffentliche Gesundheit Priorität genieße.
Auf jeden Fall will er mit der UEFA sprechen und schauen, ob man einige vernünftige Zugeständnisse machen könne. Das wiederum löst Sorgen auf dem Kontinent aus. Die entscheidenden EM-Partien – drei Superspreader-Events, nach denen die gefährliche Delta-Variante über Europa verteilt wird?
Paulus: "Absolut verantwortungslos"
Jutta Paulus, grüne Gesundheitsexpertin im Europaparlament: "In meinen Augen war schon die Entscheidung, die EM trotz Pandemie als Reisezirkus stattfinden zu lassen, höchst fragwürdig. Und jetzt wo sich Delta in besorgniserregender Weise ausbreitet, auf der Durchführung eines Superspreader-Events zu bestehen, ist absolut verantwortungslos."
Und auch Jens Geier, Chef der deutschen Sozialdemokraten im Straßburger Parlament, kann angesichts der Forderungen der UEFA nur den Kopf schütteln. "Mehr Karten verkaufen zu wollen, oder Reiseprivilegien durchzusetzen für irgendwelche VIPs, zeigt nur, dass dieser Verband mittlerweile in seiner eigenen, offebar corona-freien Welt lebt."
Und Peter Liese hat heute hat heute einen Brandbrief abgeschickt. Empfänger: UEFA-Präsident Aleksander Ceferin. Liese verlangt vom Fußballverband zurückzurudern. "Es reicht jetzt langsam. Ich appelliere an die UEFA, jedem Infektionsschutz Vorrang vor Kommerz und anderen Dingen zu geben."
Budapest als Alternative zu London
Das dürfte aber unwahrscheinlich sein. Denn die UEFA hat Alternativen zu London. Der Verband droht damit die drei Paarungen nach Budapest zu verlegen. Victor Orban, der im Moment Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um seine Wiederwahl im nächsten Jahr zu sichern, verspricht, zu jedem der Spiele 60.000 Leute ins Stadion zu lassen. Allerdings gibt es auch andernorts Politiker, die gern Corona-Krisengewinnler wären: "München ist für alles bereit. Wir würden uns jederzeit freuen, noch ein Spiel zu nehmen", so der bayrische Ministerpräsident Markus Söder.