Thielko Grieß: Erich Schmidt-Eenboom ist Geheimdienstfachmann, hat Etliches publiziert vor allem über den Bundesnachrichtendienst, und ihn haben wir vor dieser Sendung angerufen, und ich habe ihn gefragt: Wie wichtig, wie nützlich sind denn solche Blankopässe für den sogenannten Islamischen Staat und dessen Operationen?
Erich Schmidt-Eenboom: Für Nachrichtendienste sind die immens wertvoll. Vorausschicken muss man, dass diese Terrormiliz einen hoch professionellen Nachrichtendienst hat, ehemalige Geheimdienstoffiziere aus dem Bereich von Saddam Hussein, die sowohl beim KGB wie beim CIA wie vom Bundesnachrichtendienst ausgebildet worden sind. Und weiterhin muss man vorausschicken, dass es zu den Grundzügen nachrichtendienstlichen Handelns gehört, Flüchtlingsströme operativ zu nutzen. Wir haben das in Deutschland sehr deutlich in der Nachkriegszeit erlebt, als die polnischen und russischen Nachrichtendienste Tausende von Agenten in die Ströme der Displaced persons gestreut haben, als der tschechische Nachrichtendienst bei den vertriebenen Sudetendeutschen nachhaltig viele Agentenpositionen hatte, und wir haben später erlebt, dass auch die DDR die Fluchtbewegungen aus der Ostzone, der DDR, ausgenutzt hat, um Agenten nach Westdeutschland zu bringen. Von daher besteht eine reale Gefahr, dass auch der IS Flüchtlingsströme in dieser Weise nutzt, das heißt versucht, Schläferagenten in Deutschland unterzubringen.
Grieß: Da möchte ich doch noch mal nachfragen, Herr Schmidt-Eenboom. Für Geld kriegt man ja alles und in Fälscherwerkstätten natürlich auch Pässe. Da ist es doch irrelevant, ob ich dann als Terrororganisation noch einige Blankopässe erbeute, oder ob ich die in irgendwelchen Hinterhöfen nachmachen lasse.
Schmidt-Eenboom: Nein. Mit Blankopässen arbeiten Nachrichtendienste. Auch der BND hat immer aus der Bundesdruckerei echte Passformulare angefordert, weil man die natürlich sehr viel professioneller fälschen kann. Erbeutet wurden ja nicht nur 5.000 syrische Pässe, sondern auch 10.000 irakische, und damit hat man ein breit gestreutes Potenzial, um jede Menge junger Männer mit solchen Pässen auszustatten. Es ist bei dieser Menge aber nicht unwahrscheinlich, dass der sehr stark auf Finanzen fixierte IS einen Teil auch an Schleusungsoperationen verkauft.
Nur Nachrichtendienste können falsche Pässe checken
Grieß: Ziel ist es bei diesen Operationen auch in der Geschichte - Sie haben ja einige historische Beispiele genannt -, diese Pässe zu nehmen, um ganz legal als Geschäftsmann getarnt oder als Tourist getarnt einzureisen, in dem Fall von Syrien oder vom Irak aus nach Europa.
Schmidt-Eenboom: Die Tarnung war auch in den 40er-, 50er-, 60er- und 70er-Jahren immer die, ein Flüchtling zu sein. Das galt für die Menschen, die aus Polen kamen, angebliche Insassen von Konzentrationslagern, aber in Wirklichkeit mit falschen Identitäten von russischen und polnischen Diensten ausgestattet, und das galt für die Sudetendeutschen, die natürlich ihre sudetendeutschen Pässe hatten, aber vom STB geworben worden waren, unter Druck gesetzt, teilweise mit Familienverhältnissen in der Heimat...
Grieß: STB steht für?
Schmidt-Eenboom: Tschechischer Nachrichtendienst. - Wir haben diese historische Erfahrung, dass gegnerische Nachrichtendienste in Flüchtlingsströmen eine ganze Menge von Schläferagenten platzieren. Man hört oft das Argument, dass der IS ja auf die Balkan-Route gar nicht angewiesen sei, sondern mit gefälschten Pässen auch Flugreisende überall in Europa bewegen könnte, aber Nachrichtendienste fahren erfahrungsgemäß zweigleisig. Das heißt, die Balkan-Route muss nicht der Hauptweg sein, aber ein möglicher Nebenweg immerhin. Und allein das Aufgreifen eines Montenegriners durch die bayerische Landespolizei, der einen Wagen voller Waffen auf dem Weg nach Paris hatte, zeigt, dass auch die Balkan-Route genutzt wird vom IS, zwar nicht massiv, aber bei 500.000 syrischen Flüchtlingen, die Europa erreicht haben, reicht ja ein Promille von potenziellen Attentätern.
Grieß: Wenn diese Instrumente der Nachrichtendienste so bewährt sind, sage ich einmal, und so häufig genutzt werden, was hilft dagegen?
Schmidt-Eenboom: Die westlichen Nachrichtendienste haben sich dagegen immer gewappnet mit ihren Befragerteams in den Flüchtlingslagern, in den sogenannten Befragungsstellen. Das haben sämtliche alliierten Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland getan, die Organisation Gehlen und der BND. Und der Bundesnachrichtendienst hat 2014 seine letzten fünf Befragungsstellen geschlossen.
Grieß: Wo waren die zuletzt?
Schmidt-Eenboom: Die letzten waren in Berlin, in München, in Stuttgart, in Mainz.
Grieß: Und was ist da getan worden in diesen Stellen?
Schmidt-Eenboom: Da wurden Flüchtlinge befragt, und klassischerweise gehörten diese Befragungsdienststellen immer zum Bereich der Spionageabwehr. Das heißt, die hatten nicht nur die Aufgabe, Informationen aus den Flüchtlingen herauszulocken, sondern sie sollten auch checken, ob das ein potenzielles Agentenrisiko ist, das da an Flüchtlingen herankam. Meines Erachtens müsste man eine solche Struktur wieder aufbauen, weil nur Nachrichtendienste mit ihrem ganz detaillierten Wissen checken können, ob jemand einen falschen Pass hat oder nicht. Ein Beispiel: Die können sagen, dieser Pass ist in Rakka ausgestellt, angeblich hast Du in dieser und jener Straße gewohnt, dann nenne uns mal die nächstgelegene Moschee, den Bürgermeister. Dann haben wir in anderen Lagern Menschen mit einer ähnlichen Wohnadresse, mit denen können wir Dich konfrontieren. Nur Nachrichtendienste haben dieses Handlungswissen, um die Echtheit einer Identität überprüfen zu können.
Befragung wurde für verzichtbar gehalten
Grieß: Das ist bis 2014 gemacht worden mit Flüchtlingen, bei denen man einen bestimmten Verdacht hatte, oder mit jedem?
Schmidt-Eenboom: Das wurde in den Vorprüfstellen erst mal abgecheckt, nicht mit jedem, sondern man guckte zunächst mal, ist der nachrichtendienstlich interessant und gibt es Hinweise darauf, dass er auch möglicherweise geschickt worden ist. Wenn man heute screent, muss man natürlich sagen, dass alleine reisende junge Männer aus den Bezirken, wo die Pässe abhandengekommen sind, die erste Priorität bei einer solchen Überprüfung genießen müssten.
Grieß: Können Sie erklären, warum diese Befragung abgeschafft worden ist?
Schmidt-Eenboom: Der Bundesnachrichtendienst hat sich auf andere Bereiche stärker konfiguriert, mehr Geld für die funkelektronische Aufklärung ausgegeben, angeblich auch stärker im operativen Agenteneinsatz im Ausland gearbeitet. Man hat dieses Instrument für verzichtbar gehalten, gerade in einer Phase 2013, als die Briten überlegt haben, ob die ein ähnliches Instrument für Großbritannien zur Kontrolle von Flüchtlingsströmen und Asylsuchenden sich beschaffen sollten.
Grieß: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann reicht die sogenannte Einzelfallprüfung, die ja nun von Sicherheitspolitikern zumindest wieder gefordert wird, nicht aus, denn das ist ja eine ganz andere Befragung?
Schmidt-Eenboom: Ja, eine Einzelfallprüfung muss es schon sein. Aber sie muss mit nachrichtendienstlichem Hintergrundwissen unterfüttert sein. Denn ein Bundespolizist, der einen Syrer befragt, wenn er überhaupt die sprachliche Kompetenz dazu hat, der hat ja nicht diese Anhaltspunkte festzustellen, kommt der wirklich daher, wo er behauptet herzukommen, stammt er aus dem Bereich, familiär, religiös und dergleichen, den er angibt. Das kann man eigentlich nur mit diesem über Jahre gewachsenen nachrichtendienstlichen Hintergrundwissen. Das heißt, für mein Empfinden müssten Landesämter und Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst in ihrem Personal sehr schnell umschichten und wieder gerade bei kritischen Gruppen auf diese Einzelfallüberprüfung eingehen. Das heißt, die, nicht Polizeikräfte müssten die machen, weil Polizeikräfte mit solchen Angelegenheiten überfordert sind.
Grieß: Müssten es auch darüber hinaus und daneben sämtliche Schengen-Staaten tun, um das Netz engmaschiger zu stricken?
Schmidt-Eenboom: Selbstverständlich, denn die machen ja vor den Grenzen nicht Halt. Die Grenzübertritte innerhalb Europas sind ja spielend einfach. Wir haben ja schon erlebt, dass es nicht reicht, dass jeder Staat seine Syrien-Heimkehrer, also die, die da gekämpft haben, kontrolliert, weil es ist ja nicht auszuschließen, dass Syrien-Heimkehrer aus Belgien in Frankreich Anschläge verüben, solche aus Dänemark Anschläge in Deutschland und dergleichen. Auch da brauchen wir unbedingt und dringend ein nachrichtendienstliches Verbundsystem, wo alle Nachrichtendienste die Informationen über ehemalige Syrien-Kämpfer untereinander austauschen.
Grieß: Der Geheimdienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom heute Abend bei uns im Deutschlandfunk. Herr Schmidt-Eenboom, ich bedanke mich für das Gespräch.
Schmidt-Eenboom: Gern geschehen.
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