Archiv

Einreiseverbot für Saisonarbeiter
Wenn die Erntehelfer in der Coronakrise fehlen

Frühlingzeit ist Spargelzeit. Doch in diesem Jahr steht die Ernte unter keinem guten Stern: Das Bundesinnenministerium hat kurzfristig ein Einreiseverbot für Saisonarbeiter aus Osteuropa angeordnet. Und Verbandsvertreter beklagen, dass viele einheimische Kräfte zu schnell aufgeben würden.

Von Nadine Lindner |
Ein rumänischer Feldarbeiter sticht in Beelitz (Brandenburg) Spargel.
Es besteht ein Einreiseverbot für Saisonarbeiter (picture alliance / Maurizio Gambarini/dpa/ZB)
Es ist vor allem die Spargelernte, die als erstes gefährdet ist. Aber auch den Rhabarber könnte es treffen. Barbara Otte-Kinast, CDU-Landwirtschaftsministerin in Niedersachsen sagte im NDR, dass die Einreisesperre für sie ein ganz bitterer Schritt ist:
"Das ist knallhart für unsere Betriebe und das hat sie auch gestern bis ins Mark getroffen, als diese Nachricht kam. Ob dieser Schritt richtig ist, muss sich noch zeigen, wir hören, die Infektionen steigen und steigen."
Allein in Niedersachsen würden ab März 40.000 Saisonarbeiter gebraucht. Vor allem beim Spargelstechen brauche es etwas Übung, so Otte-Kinast.
Einreiseverbot für Erntehelfer
Verbandsvertreter beklagen, dass viele einheimische Kräfte zu schnell aufgeben würden. Laut dem ostdeutschen Spargelverband seien das erfahrungsgemäß neun von zehn.
Coronavirus
Alle Beiträge zum Thema Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Die ausländischen Saisonkräfte, die hier seien, dürften nach einer Lockerung der sogenannten 70 Tage-Regel bis Oktober bleiben, das hat die Bundesregierung entschieden. Das sei ein richtiger Schritt, so die niedersächsische Landwirtschaftsministerin, aber es sei unklar, ob das reicht.
Gestern hatte das Bundesinnenministerium kurzfristig ein Einreiseverbot für Saisonarbeiter aus Osteuropa angeordnet. Ein Sprecher des Innenministeriums gestern in Berlin:
"Demzufolge wird Saisonarbeitern und Erntehelfern die Einreise im Rahmen von Grenzkontrollen nicht mehr gestattet. Und diese Festlegung gilt ab 17 Uhr am heutigen Tage."
Problem: Gemeinschaftsunterkünfte
Die Schwierigkeit: Erntehelfer aus dem Ausland kommen zwar mit Polen oder Rumänien nicht aus Risikogebieten, wohnen aber in der Saison oft in Gemeinschaftsunterkünften, das heißt in Mehrbettzimmern, fahren in Bussen von Feld zu Feld und arbeiten dicht beieinander an Ernte- und Sortiermaschinen.
Abstand halten zum Schutz vor Corona - schwierig. Die CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner gibt sich gestern in einer ersten Reaktion besorgt:
"Eine Ernte wartet nicht, eine Ernte, die nicht reingeholt wird, kann man nicht nachholen. Und das, was nicht gepflanzt wird, das kann man dann auch nicht ernten. Das bereitet uns große Sorge."
Keine Versorgungsengpässe erwartet
Versorgungsengpässe werde es nicht geben, so beteuerte Klöckner. Geprüft werde nun, wie der Ausfall durch Arbeitskraftpotenziale in Deutschland kompensiert werden könne, möglicherweise durch Asylbewerber oder durch Arbeitnehmer in Kurzarbeit. Andere, wie die brandenburgische SPD-Finanzministerin Katrin Lange, könnte sich vorstellen, dass Schüler oder Studenten in der freien Zeit helfen.
Die Gewerkschaften warnten bereits davor, soziale Standards zu schleifen. "In der Landwirtschaft rächt sich jetzt, dass das gesamte System seit Jahrzehnten auf Billiglohn und Sozialdumping osteuropäischer Arbeitskräfte ausgelegt ist", sagte DGB-Vorständin Annelie Buntenbach dem rbb.
Portal zur Vermittlung von Erntehelfern
Der Deutsche Bauernverband forderte, der Einreisestopp müsse so kurz wie möglich gehalten werden. Für den deutschen Raiffeisenverband, der Obst, Gemüse und Weinbauern vertritt, ist es ein herber Schlag. Die Jungpflanzen müssten raus, damit die Versorgung mit frischen Lebensmitteln gesichert bleibe. Die Natur lasse sich nicht verschieben, so der Raiffeisenverband gegenüber dem Deutschlandfunk.
Bei einem neuen Portal, das Erntehelfer vermitteln soll, fällt die erste Bilanz positiv aus. Laut Landwirtschaftsministerium haben sich bis gestern Abend 16.000 Menschen registriert. Der Raiffeisenverband sagte gegenüber dem Deutschlandfunk, dass es schwierig sei, über diese Plattform auch erfahrene und qualifizierte Erntehelfer zu rekrutieren.
Bundesweit fehlen nach offiziellen Angaben im ganzen Jahr aufgrund der Coronavirus-Krise etwa 300.000 Saisonkräfte.