Daniel Heinrich: Ich spreche mit Alexander Neu, Obmann der Fraktion Die Linke im Verteidigungsausschuss. Herr Neu, Sie wären mitgeflogen in die Türkei. Freuen Sie sich über die neu gewonnene Freizeit?
Alexander Neu: Na ja, Freizeit habe ich deswegen nicht. Wir werden morgen noch mal Fraktionssitzung haben und Arbeitskreissitzungen und die sonstigen Sitzungen, die anstehen in einer Sitzungswoche. Insofern ist es kein Freizeitgewinn.
"Wenn das die Spannung nicht vertieft, dann weiß ich es nicht"
Heinrich: Asyl für türkische Soldaten in Deutschland, das war vergangene Woche. War es nicht klar, dass die türkische Regierung reagieren würde?
Neu: Natürlich. Ich habe das auch schon vorige Woche auf Facebook gebracht. Ich habe das geschrieben. Auf der einen Seite wird syrischen Soldaten, die geflohen sind, das Asylrecht verweigert und auf der anderen Seite türkischen Soldaten das Asylrecht gewährt. Wenn das keine Spannung mit der Türkei schafft, die ohnehin das Verhältnis sehr belastet, wenn das die Spannung nicht vertieft, dann weiß ich es nicht.
Heinrich: Sie sagen, das war eigentlich klar, dass das jetzt passiert?
Neu: Das war nahezu alternativlos, diese Entwicklung.
Heinrich: Wenn wir jetzt mal Ihre Kollegen anschauen in Berlin. Frau Merkel sagt, das ist "misslich". Aus dem Auswärtigen Amt kommt die Aussage, das ist "inakzeptabel". Jetzt wird darüber diskutiert, ob die Bundeswehr nach Jordanien verlegt werden soll. Ist das das richtige Signal?
Neu: Zumindest das richtige Signal an den türkischen Partner. Die Türkei ist NATO-Partner, Deutschland ist NATO-Partner, wir sind also über eine Militärallianz miteinander verbündet. Ob ich das Signal gut heiße, ist eine andere Frage, aber zunächst mal ist das Fakt. Und wenn militärische Verbündete auf diese Art und Weise miteinander kommunizieren, wie es derzeit läuft, dann stimmt etwas auch im Bündnis nicht.
Heinrich: Das heißt, Sie stimmen damit durchaus überein, dass die Bundeswehr ab jetzt oder ab bald von Jordanien aus den IS bekämpfen darf?
Neu: Nein, das nicht. Wir fordern schon seit Langem den Abzug der Bundeswehr aus der Türkei, vor dem Hintergrund, dass wir das Mandat rechtswidrig, völkerrechtswidrig und verfassungsrechtlich sehr bedenklich erachten und politisch auch falsch.
Hinzu kommt die angespannte Situation in der Türkei mit Herrn Erdogan und vor dem Hintergrund fordern wir den Rückzug der Bundeswehr aus der Türkei, aber keine alternative Verlegung nach Jordanien, Kuwait oder Zypern.
"Die Türkei fährt da ein gewissermaßen doppeltes Spiel"
Heinrich: Wie wollen Sie denn den IS dann bekämpfen?
Neu: Na ja, das ist eine Debatte, die immer wieder auf uns zukommt. Wir sehen bislang vorwiegend eine eindimensionale Bekämpfung des IS, nämlich über militärische Maßnahmen. Dabei gibt es auch viele andere Maßnahmen, die ergänzend wirken können, nämlich zum Beispiel, dass die Finanzströme endlich abgeschnitten werden, dass der personelle und materielle Ressourcenzufluss eingeengt wird oder gestoppt wird. All diese Dinge müssen angegangen werden und zwar ernsthaft angegangen werden, auch von der Türkei, auch von Saudi-Arabien, die nämlich in dieser Frage ein doppeltes Spiel spielen.
Heinrich: Was meinen Sie damit?
Neu: Na ja. Es ist allgemein bekannt, dass die Türkei bis vor wenigen Wochen zumindest den IS immer noch unterstützt hat. IS-Kämpfer wurden in türkischen Krankenhäusern wiederhergestellt. IS-Kämpfer konnten die türkisch-syrische Grenze in beide Richtungen frei passieren, im Gegensatz zu kurdischen Kämpfern. Das ist allgemein bekannt.
Seit wenigen Wochen oder wenigen Monaten scheint, die Türkei in dieser Frage umzudenken. Wie weit das aber tatsächlich schon zu einem Handeln gegen den IS beiträgt, sei dahingestellt. Die Türkei fährt da ein gewissermaßen doppeltes Spiel. Sie kämpft einerseits gegen den IS vordergründig, de facto eher gegen die Kurden, und auf der anderen Seite hat sie zumindest bis vor kurzem den IS noch unterstützt.
Heinrich: Die Türkei fliegt Angriffe gegen den IS. Das müssen wir an dieser Stelle natürlich auch festhalten. Die Türkei ist schon länger in der NATO als Deutschland. Sie stellt die zweitgrößte Armee der NATO. Wie wollen Sie denn mit der Türkei weiter kooperieren?
Neu: Das ist natürlich schwierig. Die Bundesregierung hat sich in eine Situation gegenüber dem türkischen Partner gebracht, die man als eine Unterwerfungssituation bezeichnen kann – angefangen mit dem Deal EU-Türkei zur Flüchtlingsregelung, dann mit der Frage, wir können auf die Türkei als geostrategischer Partner nicht verzichten. Die Türkei ist geografisch in einer Region, die geostrategisch für die NATO extrem wichtig ist und somit auch für die deutsche Einflusspolitik. Das sind Joker, mit denen Erdogan ganz geschickt spielt. Aber ich glaube, er hat jetzt den Bogen überspannt. Auch eine Frau Merkel weiß, dass sie das nicht weiter tolerieren kann.
Heinrich: Und was würde Die Linke da machen?
Neu: Wir haben ja gesagt, schon vor geraumer Zeit: Abzug der Bundeswehr aus der Türkei und die diplomatischen Beziehungen wahrscheinlich einfrieren wie auch keine Veranstaltungen von türkischen Politikern auf deutschem Territorium, wie es in der Vergangenheit stattgefunden hat.
"Eredogan wird sich auch von dem amerikanischen Druck nicht sonderlich beeindrucken lassen"
Heinrich: Herr Neu, Sigmar Gabriel, der Außenminister, der ist am Mittwoch beim wichtigsten NATO-Partner. Der fliegt in die USA. Was würden Sie ihm denn auf den Zettel schreiben?
Neu: Ich gehe davon aus, das wurde auch heute so deutlich in der Obleute-Unterrichtung, dass Sigmar Gabriel das Problem der Beziehungen mit der Türkei zu Deutschland thematisieren wird bei dem amerikanischen Partner, vor dem Hintergrund, dass Deutschland Teil der Anti-IS-Koalition ist, und damit der deutsche Beitrag in der Anti-IS-Koalition im Rahmen der Verlegung erschwert werden wird, zumindest temporär erschwert werden wird. Man wird versuchen, auf die US-Amerikaner einzuwirken, dass diese wiederum auf die Türken einwirken. Aber die Amerikaner haben derzeit auch ein angespanntes Verhältnis mit den Türken, angesichts der Unterstützung der UPG, also der Kurden in Syrien, die wiederum gegen den IS sehr effektiv kämpfen. Das heißt, Erdogan wird sich auch von dem amerikanischen Druck nicht sonderlich beeindrucken lassen.
Heinrich: Herr Neu, jetzt haben Sie meine Frage noch nicht ganz beantwortet. Was würden Sie Sigmar Gabriel denn auf den Zettel schreiben?
Neu: Ich würde ihm auf den Zettel schreiben, dass er den amerikanischen Partnern deutlich machen soll, dass sie ganz ernsthaft mit der Türkei reden müssen.
Heinrich: Ernsthaft mit der Türkei reden müssen, das klingt immer ein bisschen schwammig. Was wäre denn ein konkreter Vorschlag?
Neu: Ernsthaft mit der Türkei reden müssen, die Islamisten in Syrien nicht weiter zu unterstützen und zwar ernsthaft nicht weiter zu unterstützen. Das findet bislang statt. Nicht nur der IS, sondern auch andere islamistische Gruppierungen, die in Syrien kämpfen, werden nach wie vor von der Türkei unterstützt, und das muss definitiv ein Ende finden.
"Menschen, die hier leben, sollten sich auch zu unserem Land bekennen"
Heinrich: Und Frau Merkel, nächste Woche beim NATO-Gipfel im vielleicht direkten Gespräch mit Herrn Erdogan, sollte ihm was sagen?
Neu: Frau Merkel sollte auch deutlich machen, dass wir nahezu drei Millionen türkischstämmige Menschen in diesem Land haben und dass es nicht angehen kann, dass in Deutschland die Gesellschaft gespalten wird. Wir sehen ja schon bei den türkischstämmigen Menschen anhand der Wahlergebnisse zum Referendum, dass es eine sehr starke Unterstützung für Erdogan aus Deutschland von diesen türkischstämmigen Menschen gibt, und das trägt zu einer Spaltung der Gesellschaft bei und das darf nicht passieren. Menschen, die hier leben, sollten sich auch zu unserem Land bekennen und Erdogan gießt aber Benzin ins Feuer, wenn er mit seiner Politik noch einmal die Integration dieser Menschen gewissermaßen untergräbt.
Heinrich: ... sagt und meint Alexander Neu, Obmann der Fraktion Die Linke im Verteidigungsausschuss. Herr Neu, vielen Dank für das Gespräch.
Neu: Ja, bitte. Auf Wiederhören!
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