Eins und Eins macht Eins: So könnte das Motto von Mark Gisbornes Buch über ein relativ junges Phänomen in der Kunstwelt lauten, das dem zelebrierten Individualismus zuwider läuft: das Auftreten von Künstlerpaaren. Bezeichnet es einen kunstgeschichtlichen Rückschritt?
Das Bewusstwerden des schöpferischen Individuums und die Wertschätzung künstlerischer Einzelleistungen ist ein neuzeitlicher Prozess, der viele Jahrhunderte gedauert hat. Mittelalterliche Künstler blieben aus ihrem Selbstverständnis heraus oftmals anonym. Und noch im 17. Jahrhundert war der Werkstattgedanke mit der gemeinschaftlichen Arbeitsteilung an einem Bild selbstverständlich: Ein hervorragender Landschaftsmaler, der sich mit Figuren schwer tat, ließ sich die Staffage für seine Gebirgsansicht eben von einem geübten Kollegen auf die Leinwand setzen.
Die Hände voneinander zu scheiden, wie es in der kunstwissenschaftlichen Fachsprache heißt, also die Partien in einem Gemälde verschiedenen Künstlern zuzuordnen, war damals nicht von Interesse und wurde erst Gegenstand der Stilkritik und neuer Möglichkeiten der Materialanalyse.
Das Movens hierfür war der Gedanke des Originalgenies und die Frage nach der Authentizität eines Werkes, die für dessen Marktwert heute relevant ist. Kunst als Manifestation subjektiver Wirklichkeitswahrnehmung und Weltsicht, als Ausdruck innerer Seelenklänge und starker Gefühle: Das war für Generationen von Künstlern und Kunstenthusiasten ein Wert an sich.
Wenn das nun von einem zeitgenössischen Künstlerduo als "Pseudoexpressionismus" abgetan wird, der auf der irrigen Annahme beruhe, "dass sich hinter jedem menschlichen Individuum eine kohärente Seele verbirgt", so lässt das aufhorchen.
Clegg und Guttmann haben diese Schmähworte im Juni 2007 zu Papier gebracht, in einem polemischen Rundumschlag gegen die seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufeinanderfolgenden Avantgarden. Für sie ist Identität ein abendländisches moralisch-metaphysisches Konstrukt, das im künstlerischen Schaffen durchaus eine doppelte Autorschaft zulässt, wie sie von ihnen und anderen prominenten Künstlerpaaren vorgeführt wird.
Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das sich in den 60er, 70er Jahren mit Performances anbahnte. So fallen einem auch am ehesten die Namen von Gilbert und George oder Eva und Adele ein, die sich selbst als Kunstwerke inszenieren, obwohl das nur ein und ein spezieller, selbstgefälliger Aspekt künstlerischer Zusammenarbeit ist.
Das macht Mark Gisborne in seinem Buch Künstlerpaare - Double Act deutlich. Vierzehn Duos der vergangenen zwanzig Jahre hat er nach Themenschwerpunkten wie Geschlecht und Begierde, Macht und soziale Skulptur oder Geschichte, Erinnerung und Nostalgie versammelt.
Die Begriffsdoppelung im Buchtitel führt auf die Spur von Komikerduos (engl. double act), die uns vom Volkstheater oder Kabarett schon lange bekannt sind, wie Laurel und Hardy. Was sie mit den Künstlerpaaren im vorliegenden Band teilen, ist die gegenseitige schöpferische Abhängigkeit bei der kontinuierlichen Arbeit mit einem gemeinsamen Ausdrucksmittel.
"Zwei Menschen ergeben einen Künstler. Wir glauben, dass wir ein Künstler sind. Und: Aus zwei Visionen wird eine Vision", so Gilbert und George. Wie weit sich die Gemeinsamkeit auf den privaten Bereich ausdehnt, ist selten so offenkundig wie bei Marina Abramovic und Ulay, die ihre Liebesbeziehung in der Kunst zu einer völligen Verschmelzung von Mann und Frau bringen wollten und - an zu viel Nähe scheiterten.
"Es gibt keine Arbeitsteilung der Art, dass einer immer nur für den einen Aspekt oder eine Phase der Arbeit zuständig wäre. Jeder macht alles, mal der eine dies und der andere das, und dann wieder umgekehrt", diese Feststellung Bernd und Hilla Bechers, die sich auf die Fotografie von Industriearchitektur spezialisiert haben, gilt allgemein.
Die Zusammenarbeit heutiger Künstlerpaare ist eben keine Arbeitsteilung im Sinne von Spezialisierung früherer Zeiten. Sie ergibt sich aus persönlicher Übereinstimmung oder als eine bewusste Strategie in einem bestimmten gesellschaftspolitischen Umfeld, wie es bei den russischen Blue Noses der Fall war.
Blättert man den hervorragend bebilderten Kunstband durch, so sticht eine Gemeinsamkeit bei allen Künstlerpaaren ins Auge: Ihre Werke sind von großer Intensität, manchmal von beklemmender Brutalität, wie bei den Brüdern Chapman. Sie sind äußerst vital und originell, fast immer provokativ und packend. Es steckt viel Emotionalität, Lust, Begierde, Albtraumhaftes, aber auch Komisches darin. Eben so viel, wie ein einzelner Künstler wohl nicht zu bieten hat. Also macht Eins und Eins doch mehr als Eins.
Mark Gisborne, Eva Karcher: Künstlerpaare - Double Act
Prestel Verlag, 192 Seiten, 150 Farbabbildungen, 39,95 Euro.
Das Bewusstwerden des schöpferischen Individuums und die Wertschätzung künstlerischer Einzelleistungen ist ein neuzeitlicher Prozess, der viele Jahrhunderte gedauert hat. Mittelalterliche Künstler blieben aus ihrem Selbstverständnis heraus oftmals anonym. Und noch im 17. Jahrhundert war der Werkstattgedanke mit der gemeinschaftlichen Arbeitsteilung an einem Bild selbstverständlich: Ein hervorragender Landschaftsmaler, der sich mit Figuren schwer tat, ließ sich die Staffage für seine Gebirgsansicht eben von einem geübten Kollegen auf die Leinwand setzen.
Die Hände voneinander zu scheiden, wie es in der kunstwissenschaftlichen Fachsprache heißt, also die Partien in einem Gemälde verschiedenen Künstlern zuzuordnen, war damals nicht von Interesse und wurde erst Gegenstand der Stilkritik und neuer Möglichkeiten der Materialanalyse.
Das Movens hierfür war der Gedanke des Originalgenies und die Frage nach der Authentizität eines Werkes, die für dessen Marktwert heute relevant ist. Kunst als Manifestation subjektiver Wirklichkeitswahrnehmung und Weltsicht, als Ausdruck innerer Seelenklänge und starker Gefühle: Das war für Generationen von Künstlern und Kunstenthusiasten ein Wert an sich.
Wenn das nun von einem zeitgenössischen Künstlerduo als "Pseudoexpressionismus" abgetan wird, der auf der irrigen Annahme beruhe, "dass sich hinter jedem menschlichen Individuum eine kohärente Seele verbirgt", so lässt das aufhorchen.
Clegg und Guttmann haben diese Schmähworte im Juni 2007 zu Papier gebracht, in einem polemischen Rundumschlag gegen die seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufeinanderfolgenden Avantgarden. Für sie ist Identität ein abendländisches moralisch-metaphysisches Konstrukt, das im künstlerischen Schaffen durchaus eine doppelte Autorschaft zulässt, wie sie von ihnen und anderen prominenten Künstlerpaaren vorgeführt wird.
Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das sich in den 60er, 70er Jahren mit Performances anbahnte. So fallen einem auch am ehesten die Namen von Gilbert und George oder Eva und Adele ein, die sich selbst als Kunstwerke inszenieren, obwohl das nur ein und ein spezieller, selbstgefälliger Aspekt künstlerischer Zusammenarbeit ist.
Das macht Mark Gisborne in seinem Buch Künstlerpaare - Double Act deutlich. Vierzehn Duos der vergangenen zwanzig Jahre hat er nach Themenschwerpunkten wie Geschlecht und Begierde, Macht und soziale Skulptur oder Geschichte, Erinnerung und Nostalgie versammelt.
Die Begriffsdoppelung im Buchtitel führt auf die Spur von Komikerduos (engl. double act), die uns vom Volkstheater oder Kabarett schon lange bekannt sind, wie Laurel und Hardy. Was sie mit den Künstlerpaaren im vorliegenden Band teilen, ist die gegenseitige schöpferische Abhängigkeit bei der kontinuierlichen Arbeit mit einem gemeinsamen Ausdrucksmittel.
"Zwei Menschen ergeben einen Künstler. Wir glauben, dass wir ein Künstler sind. Und: Aus zwei Visionen wird eine Vision", so Gilbert und George. Wie weit sich die Gemeinsamkeit auf den privaten Bereich ausdehnt, ist selten so offenkundig wie bei Marina Abramovic und Ulay, die ihre Liebesbeziehung in der Kunst zu einer völligen Verschmelzung von Mann und Frau bringen wollten und - an zu viel Nähe scheiterten.
"Es gibt keine Arbeitsteilung der Art, dass einer immer nur für den einen Aspekt oder eine Phase der Arbeit zuständig wäre. Jeder macht alles, mal der eine dies und der andere das, und dann wieder umgekehrt", diese Feststellung Bernd und Hilla Bechers, die sich auf die Fotografie von Industriearchitektur spezialisiert haben, gilt allgemein.
Die Zusammenarbeit heutiger Künstlerpaare ist eben keine Arbeitsteilung im Sinne von Spezialisierung früherer Zeiten. Sie ergibt sich aus persönlicher Übereinstimmung oder als eine bewusste Strategie in einem bestimmten gesellschaftspolitischen Umfeld, wie es bei den russischen Blue Noses der Fall war.
Blättert man den hervorragend bebilderten Kunstband durch, so sticht eine Gemeinsamkeit bei allen Künstlerpaaren ins Auge: Ihre Werke sind von großer Intensität, manchmal von beklemmender Brutalität, wie bei den Brüdern Chapman. Sie sind äußerst vital und originell, fast immer provokativ und packend. Es steckt viel Emotionalität, Lust, Begierde, Albtraumhaftes, aber auch Komisches darin. Eben so viel, wie ein einzelner Künstler wohl nicht zu bieten hat. Also macht Eins und Eins doch mehr als Eins.
Mark Gisborne, Eva Karcher: Künstlerpaare - Double Act
Prestel Verlag, 192 Seiten, 150 Farbabbildungen, 39,95 Euro.