Heino Lütjen beugt sich über das Heck und lässt den kleinen Außenbordmotor an. Am Rumpf des knapp zehn Meter langen schwarzen Bootes steht auf Plattdeutsch der Schiffsname: "De ole Törfkohn". Aber richtig alt ist das Boot nicht. Heino Lütjen ließ es vor acht Jahren auf einer Werft zimmern, die sich auf Nachbauten historischer Schiffe spezialisiert hat. Er trägt zur dunklen Hose ein blauweiß gestreiftes Hemd und ein blaues Halstuch. Schiffer im Teufelsmoor war er keineswegs von Kindesbeinen an.
"Ich war eigentlich immer Bauer, und wir hatten immer unsere kleine Gastwirtschaft dabei, nur, im Zuge, dass die Kinder das auch nicht mehr wollten, haben wir ´94 umgestellt auf ganz Gastronomie, und eben vor acht Jahren, kam mir durch Kumpel, die sagten dann: "Mensch Heino, mach doch mal mit Torfkähne!" Eigentlich fühlte ich mich gleich wieder zu Hause, weil, mein Opa ist Torfkahn gefahren, und hat diese Last nach Bremen gefahren, und dadurch bin ich wieder an diese Geschichte rangekommen, und macht mir auch unheimlich Spaß."
Wir starten unsere Reise durchs Teufelsmoor am Bootsanleger unterhalb von Heino Lütjens Gastwirtschaft "Zur Kreuzkuhle". Er liegt ziemlich einsam mitten im Moor. Die Könige von Hannover hatten das Gebäude ursprünglich als Zollstation errichten lassen.
"Das war für diese vorbeifahrenden Torfkähne, die ihren Torf nach Bremen brachten. Und am Ende des Oste-Hamme-Kanals, der hier nach 16 Kilometern endet, musste hier der Zollgroschen bezahlt werden, der abgeführt wurde im Hafenamt in Bremervörde zur Erhaltung vom Oste-Hamme-Kanal."
Heute ist Heino Lütjen mit seinem schwarzen Kahn unterwegs ins 15 Kilometer entfernte Worpswede. Dort will er Gäste abholen, die in seiner "Kreuzkuhle" feiern wollen. Die gemächliche Reise dauert rund zweieinhalb Stunden. Aber kein Vergleich zu früher! Vor hundert Jahren hatten die Kähne, schwer beladen mit 50 Korb Torf, für ihre Reise über Worpswede nach Bremen drei bis fünf Tage benötigt.
"Direkt an den Häusern waren die Moorstellen, jeder Hof hatte eine eigene Zufahrt zum Moor hin, ihren eigenen Graben, und da ist das Schiff beladen worden. Anschließend ist getreidelt worden, um das Schiff ins fließende Gewässer zu kriegen, und da wurde auch die Hilfe der Frau benötigt. Es wurde getreidelt, und die Frau hat das Schiff gezogen, und der Mann hat das Schiff gestakt. Im günstigsten Fall nachher ist gesegelt worden mit einem zehn Quadratmeter großen Segel, schwarze Segel."
"Gestern und heute malten wir in Südwede an einem ganz blauen Kanal. Am Abend stakten uns die drei Vogeler-Brüder auf der Hamme. In der Dämmerung leuchteten die saftigen Hammewiesen. Dann zogen von Zeit zu Zeit diese ernsten schwarzen Segel mit ihrem unbeweglichen Steuermann vorüber."
Mit diesen Worten beschrieb 1897 die Malerin Paula Becker die Torfschifffahrt. Die junge Künstlerin hatte sich über beide Ohren in die karge Landschaft des Teufelsmoores um Worpswede verliebt und schloss sich im Jahr darauf der Malerkolonie an.
"Worpswede, Worpswede, Worpswede! Versunkene-Glocke-Stimmung! Birken, Birken, Kiefern und alte Weiden. Schönes braunes Moor, köstliches Braun. Die Kanäle mit den schwarzen Spiegelungen, asphaltschwarz. Die Hamme mit ihren dunklen Segeln, es ist Wunderland, ein Götterland. "
In diesem Jahr gibt es einen besonderen Anlass, sich der Künstlerin zu erinnern: Sie starb von einhundert Jahren, und in Worpswede lassen sich noch viele Spuren ihres fruchtbaren Schaffens entdecken. Einigen Orten hat sie in Briefen, Tagebucheintragungen und Bildern ein Denkmal setzte, stehen überhaupt erstmals oder erst seit wenigen Jahren interessierten Besuchern offen. Unsere Kahnfahrt nach Worpswede soll also auch eine Reise zu Paula Modersohn-Becker sein.
Das Leben der Moorbauern war unendlich hart. Zwischen 1720 und 1850 hatten die hannoverschen Könige Siedler angeworben, die das lebensfeindliche, unzugängliche Ödland im Nordosten Bremens urbar machen sollten. Mit Schafzucht, vor allem aber mit Torfstechen, sollten die Kolonisten eine Existenz aufbauen. Die Plackerei in dem häufig von Seuchen heimgesuchten Gebiet bezahlten viele mit dem Leben. "Den Ersten sien Dod, den Tweeten sien Not, den Dritten sien Brot", heißt ein altes plattdeutsches Sprichwort im Teufelsmoor.
Die enorme Kulturleistung der Moorbauern kann man heute nur noch ahnen, wenn man mit dem Kahn durch die inzwischen abgetorften Gebiete tuckert. Bevor hier Torf gestochen wurde, was das Land bis zu acht Meter höher.
Das Wasser ist tiefbraun. Brennnesseln und Schilf wachsen an den niedrigen Uferböschungen. Die ehemaligen Treidelpfade sind zugewachsen. Schmale, schnurgrade Entwässerungsgräben zerteilen das Grünland und speisen den Fluss.
Bald sorgt die erste Schleuse für unfreiwilligen Aufenthalt. Einen Schleusenwärter gibt es nicht, der Schiffer muss selbst die Tore der kleinen gemauerten Kammer mit einer Handkurbel öffnen und schließen.
"Diese Torfkähne waren ja nicht nur da, Torf zu transportieren. Sie dienten dazu, Vieh übers Wasser zu bringen, Heu reinzuholen, Kinder mit zur Schule zu bringen, und auch Tote mit zur Kirche zu fahren."
Im Bug ist übrigens auch eine winzige fensterlose Kabine untergebracht, kaum größer als eine Kühltruhe. Durch eine Klappe kann der Schiffer von oben einsteigen.
"Da hatten sie auch ihren kleinen Ofen drin, wo sie sich ihren Buchweizenpfannkuchen, Buchweizen war ja damals das Hauptnahrungsmittel im Moor, ihren Buchweizenpfannkuchen gebacken haben, und da haben sie auch drin geschlafen, das war praktisch ihr Zuhause während dieser drei bis fünf Tage."
Die Hamme ist ein relativ breiter Fluss. Hier konnte, wenn die Windverhältnisse es zuließen, das schwarze Segel gesetzt werden. Aber Heino Lütjen verlässt sich lieber auf den Außenbordmotor.
Neu-Helgoland ist der weit draußen im Moor gelegene kleine "Hafen" von Worpswede. Eine schmale Straße führt ins Dorf, vorbei an der oft gemalten, weiß getünchten Holländer-Windmühle. Wir lassen die zahlreichen Cafés mit Seniorenteller und Sahnetorten-Kreationen links liegen und heben uns den Besuch der bekannten Museen und Galerien für ein andermal auf. Im Todesjahr der Paula Modersohn-Becker wollen wir ihre persönlichen Wirkungsstätten besuchen. Zum Beispiel ihr "Lilienatelier" bei Bauer Brünjes, benannt nach den tiefblauen Vorhängen mit goldenen Lilien darauf. Dort empfängt uns Hausherr Philipp Uphoff, ein Enkel des Worpsweder Malers Carl Emil Uphoff.
"Dieses ist der Brünjes-Hof, ein altes Armenbauernhaus von 1850, das durch den Bauern Brünjes bewirtschaftet wurde und zu späterer Zeit hat er dann seine Stube an Paula Modersohn-Becker vermietet."
Ein traditionelles, gedrungenes Niedersachsenhaus mit Fachwerk, Backstein, Sprossenfenstern und weit heruntergezogenem Reetdach liegt da inmitten eines Bauerngartens. Ein Haus wie viele in dieser Gegend - aber ein Detail fällt auf: Das Reetdach wurde über dem großen Sprossenfenster der Nordseite aufgeschnitten und ein Oberlicht eingesetzt.
"Dieser Aufschnitt ist ein Atelierfenster, das Otto Modersohn für Paula 1900 eingebaut hat, damit sie wesentlich besseres Licht in ihrem Atelier hatte. Das Atelier ist auch typisch nach Nordost ausgerichtet, so dass ein optimaler Lichteinfall gewährleistet ist, auch keine Sonne blenden kann."
Im Mai 1901 heiratete Paula Becker den Maler Otto Modersohn, der 1889 die Künstlerkolonie zusammen mit Fritz Mackensen, Hans am Ende und Heinrich Vogeler gegründet hatte.
Paula teilt die Begeisterung der "alten Worpsweder" für die Gegend um Worpswede. Aber sie will über die reine Landschaftsmalerei hinaus. Birken und Moorgräben sind ihr nur Malanlässe. Sie wählt ungewöhnliche Ausschnitte, schert sich nicht um die Regeln einer "klassisch schönen" Komposition. Am stärksten aber ist sie, wenn sie porträtiert. Mütter mit ihren Kindern und Kinder alleine gehören bald zu ihren bevorzugten Motiven.
"Heute habe ich mein erstes Pleinairporträt in der Lehmkuhle gemacht. Ein kleines, blondes, blauäugiges Dingelchen. Es stand zu schön auf dem gelben Sand. Es war ein Leuchten und Flimmern. Mir hüpfte das Herz. Menschen malen geht doch über eine Landschaft."
Paula ist anders und sie malt anders. Da ist es nur folgerichtig, dass sie auf einem eigenen Atelier besteht, in dem sie ungestört arbeiten kann.
"Ich sitze in meinem kleinen Atelier bei Brünjes mit den grünen Wänden und unten hellblau... Dies ist für mich die liebste Stube aus meinem Leben..."
... schrieb sie ihrem vertrauten Seelenfreund, dem Dichter Rainer Maria Rilke. Rilke hatte selber eine Zeitlang in Worpswede gelebt und war wenige Jahre mit Paulas bester Freundin, der Bildhauerin Clara Westhoff, verheiratet.
"Bei der Farbgestaltung haben wir versucht, die alten Farbtöne zu rekonstruieren. Wir haben uns letztes Jahr entschlossen, dieses Atelier wieder herzurichten und dann als Ferienwohnung zur Verfügung zu stellen, und jetzt stehen eben diese Räume für Gäste zur Verfügung, die hier übernachten wollen."
Gelebt hat sie mit Otto Modersohn in dessen auffälligem, skandinavisch anmutenden Haus im Zentrum Worpswedes. In einem lichten Anbau ist heute die Sammlung Worpsweder Künstler zu sehen, die Bernhard Kaufmann zusammen getragen hat. Im alten Gebäudeteil jedoch ist die ehemalige "gute Stube" mit einigen originalen Möbelstücken dem Andenken an Paula Modersohn-Becker gewidmet.
"Wir sind ganz froh und dankbar, dass wir zumindest den Schreibtisch haben, wo Paula geschrieben hat oder ihre Tagebuchblätter in Ordnung gebracht hat ..."
... erzählt Hausherrin Sigrun Kaufmann.
"Wir haben den Stuhl dazu. Wir haben den Vorhang, diesen zauberhaften, der ja sehr an Persien erinnert mit den vielen kleinen Spiegelchen."
Das Wohnzimmer ist auch das Sterbezimmer von Paula Modersohn-Becker. Hier brachte sie nach einer schweren Geburt ihre Tochter Mathilde zur Welt. Ihr Bruder, ein Arzt, verordnet Bettruhe. Am 18. Tag nach der Geburt will sie aufstehen, sich im festlich geschmückten Wohnzimmer in einem bequemen Sessel niederlassen. Aus dem Atelier bei Bauer Brünjes hatte man ihr jüngstes Gemälde "Tonkrug mit Bauernblumen" geholt.
"Sie ist dann aufgestanden, ihr Bruder und ihr Mann liefen neben ihr, sie freute sich darauf, dass man ihr ihre Mathilde bringen sollte, und sie war noch nicht auf dem Sessel, auf dem Wege dahin ist sie zusammengesunken und hat gesagt: "Wie schade!""
Mit erst 31 Jahren stirbt die Malerin in ihrem geliebten Dorf im Teufelsmoor an einer Lungenembolie.
"Ich war eigentlich immer Bauer, und wir hatten immer unsere kleine Gastwirtschaft dabei, nur, im Zuge, dass die Kinder das auch nicht mehr wollten, haben wir ´94 umgestellt auf ganz Gastronomie, und eben vor acht Jahren, kam mir durch Kumpel, die sagten dann: "Mensch Heino, mach doch mal mit Torfkähne!" Eigentlich fühlte ich mich gleich wieder zu Hause, weil, mein Opa ist Torfkahn gefahren, und hat diese Last nach Bremen gefahren, und dadurch bin ich wieder an diese Geschichte rangekommen, und macht mir auch unheimlich Spaß."
Wir starten unsere Reise durchs Teufelsmoor am Bootsanleger unterhalb von Heino Lütjens Gastwirtschaft "Zur Kreuzkuhle". Er liegt ziemlich einsam mitten im Moor. Die Könige von Hannover hatten das Gebäude ursprünglich als Zollstation errichten lassen.
"Das war für diese vorbeifahrenden Torfkähne, die ihren Torf nach Bremen brachten. Und am Ende des Oste-Hamme-Kanals, der hier nach 16 Kilometern endet, musste hier der Zollgroschen bezahlt werden, der abgeführt wurde im Hafenamt in Bremervörde zur Erhaltung vom Oste-Hamme-Kanal."
Heute ist Heino Lütjen mit seinem schwarzen Kahn unterwegs ins 15 Kilometer entfernte Worpswede. Dort will er Gäste abholen, die in seiner "Kreuzkuhle" feiern wollen. Die gemächliche Reise dauert rund zweieinhalb Stunden. Aber kein Vergleich zu früher! Vor hundert Jahren hatten die Kähne, schwer beladen mit 50 Korb Torf, für ihre Reise über Worpswede nach Bremen drei bis fünf Tage benötigt.
"Direkt an den Häusern waren die Moorstellen, jeder Hof hatte eine eigene Zufahrt zum Moor hin, ihren eigenen Graben, und da ist das Schiff beladen worden. Anschließend ist getreidelt worden, um das Schiff ins fließende Gewässer zu kriegen, und da wurde auch die Hilfe der Frau benötigt. Es wurde getreidelt, und die Frau hat das Schiff gezogen, und der Mann hat das Schiff gestakt. Im günstigsten Fall nachher ist gesegelt worden mit einem zehn Quadratmeter großen Segel, schwarze Segel."
"Gestern und heute malten wir in Südwede an einem ganz blauen Kanal. Am Abend stakten uns die drei Vogeler-Brüder auf der Hamme. In der Dämmerung leuchteten die saftigen Hammewiesen. Dann zogen von Zeit zu Zeit diese ernsten schwarzen Segel mit ihrem unbeweglichen Steuermann vorüber."
Mit diesen Worten beschrieb 1897 die Malerin Paula Becker die Torfschifffahrt. Die junge Künstlerin hatte sich über beide Ohren in die karge Landschaft des Teufelsmoores um Worpswede verliebt und schloss sich im Jahr darauf der Malerkolonie an.
"Worpswede, Worpswede, Worpswede! Versunkene-Glocke-Stimmung! Birken, Birken, Kiefern und alte Weiden. Schönes braunes Moor, köstliches Braun. Die Kanäle mit den schwarzen Spiegelungen, asphaltschwarz. Die Hamme mit ihren dunklen Segeln, es ist Wunderland, ein Götterland. "
In diesem Jahr gibt es einen besonderen Anlass, sich der Künstlerin zu erinnern: Sie starb von einhundert Jahren, und in Worpswede lassen sich noch viele Spuren ihres fruchtbaren Schaffens entdecken. Einigen Orten hat sie in Briefen, Tagebucheintragungen und Bildern ein Denkmal setzte, stehen überhaupt erstmals oder erst seit wenigen Jahren interessierten Besuchern offen. Unsere Kahnfahrt nach Worpswede soll also auch eine Reise zu Paula Modersohn-Becker sein.
Das Leben der Moorbauern war unendlich hart. Zwischen 1720 und 1850 hatten die hannoverschen Könige Siedler angeworben, die das lebensfeindliche, unzugängliche Ödland im Nordosten Bremens urbar machen sollten. Mit Schafzucht, vor allem aber mit Torfstechen, sollten die Kolonisten eine Existenz aufbauen. Die Plackerei in dem häufig von Seuchen heimgesuchten Gebiet bezahlten viele mit dem Leben. "Den Ersten sien Dod, den Tweeten sien Not, den Dritten sien Brot", heißt ein altes plattdeutsches Sprichwort im Teufelsmoor.
Die enorme Kulturleistung der Moorbauern kann man heute nur noch ahnen, wenn man mit dem Kahn durch die inzwischen abgetorften Gebiete tuckert. Bevor hier Torf gestochen wurde, was das Land bis zu acht Meter höher.
Das Wasser ist tiefbraun. Brennnesseln und Schilf wachsen an den niedrigen Uferböschungen. Die ehemaligen Treidelpfade sind zugewachsen. Schmale, schnurgrade Entwässerungsgräben zerteilen das Grünland und speisen den Fluss.
Bald sorgt die erste Schleuse für unfreiwilligen Aufenthalt. Einen Schleusenwärter gibt es nicht, der Schiffer muss selbst die Tore der kleinen gemauerten Kammer mit einer Handkurbel öffnen und schließen.
"Diese Torfkähne waren ja nicht nur da, Torf zu transportieren. Sie dienten dazu, Vieh übers Wasser zu bringen, Heu reinzuholen, Kinder mit zur Schule zu bringen, und auch Tote mit zur Kirche zu fahren."
Im Bug ist übrigens auch eine winzige fensterlose Kabine untergebracht, kaum größer als eine Kühltruhe. Durch eine Klappe kann der Schiffer von oben einsteigen.
"Da hatten sie auch ihren kleinen Ofen drin, wo sie sich ihren Buchweizenpfannkuchen, Buchweizen war ja damals das Hauptnahrungsmittel im Moor, ihren Buchweizenpfannkuchen gebacken haben, und da haben sie auch drin geschlafen, das war praktisch ihr Zuhause während dieser drei bis fünf Tage."
Die Hamme ist ein relativ breiter Fluss. Hier konnte, wenn die Windverhältnisse es zuließen, das schwarze Segel gesetzt werden. Aber Heino Lütjen verlässt sich lieber auf den Außenbordmotor.
Neu-Helgoland ist der weit draußen im Moor gelegene kleine "Hafen" von Worpswede. Eine schmale Straße führt ins Dorf, vorbei an der oft gemalten, weiß getünchten Holländer-Windmühle. Wir lassen die zahlreichen Cafés mit Seniorenteller und Sahnetorten-Kreationen links liegen und heben uns den Besuch der bekannten Museen und Galerien für ein andermal auf. Im Todesjahr der Paula Modersohn-Becker wollen wir ihre persönlichen Wirkungsstätten besuchen. Zum Beispiel ihr "Lilienatelier" bei Bauer Brünjes, benannt nach den tiefblauen Vorhängen mit goldenen Lilien darauf. Dort empfängt uns Hausherr Philipp Uphoff, ein Enkel des Worpsweder Malers Carl Emil Uphoff.
"Dieses ist der Brünjes-Hof, ein altes Armenbauernhaus von 1850, das durch den Bauern Brünjes bewirtschaftet wurde und zu späterer Zeit hat er dann seine Stube an Paula Modersohn-Becker vermietet."
Ein traditionelles, gedrungenes Niedersachsenhaus mit Fachwerk, Backstein, Sprossenfenstern und weit heruntergezogenem Reetdach liegt da inmitten eines Bauerngartens. Ein Haus wie viele in dieser Gegend - aber ein Detail fällt auf: Das Reetdach wurde über dem großen Sprossenfenster der Nordseite aufgeschnitten und ein Oberlicht eingesetzt.
"Dieser Aufschnitt ist ein Atelierfenster, das Otto Modersohn für Paula 1900 eingebaut hat, damit sie wesentlich besseres Licht in ihrem Atelier hatte. Das Atelier ist auch typisch nach Nordost ausgerichtet, so dass ein optimaler Lichteinfall gewährleistet ist, auch keine Sonne blenden kann."
Im Mai 1901 heiratete Paula Becker den Maler Otto Modersohn, der 1889 die Künstlerkolonie zusammen mit Fritz Mackensen, Hans am Ende und Heinrich Vogeler gegründet hatte.
Paula teilt die Begeisterung der "alten Worpsweder" für die Gegend um Worpswede. Aber sie will über die reine Landschaftsmalerei hinaus. Birken und Moorgräben sind ihr nur Malanlässe. Sie wählt ungewöhnliche Ausschnitte, schert sich nicht um die Regeln einer "klassisch schönen" Komposition. Am stärksten aber ist sie, wenn sie porträtiert. Mütter mit ihren Kindern und Kinder alleine gehören bald zu ihren bevorzugten Motiven.
"Heute habe ich mein erstes Pleinairporträt in der Lehmkuhle gemacht. Ein kleines, blondes, blauäugiges Dingelchen. Es stand zu schön auf dem gelben Sand. Es war ein Leuchten und Flimmern. Mir hüpfte das Herz. Menschen malen geht doch über eine Landschaft."
Paula ist anders und sie malt anders. Da ist es nur folgerichtig, dass sie auf einem eigenen Atelier besteht, in dem sie ungestört arbeiten kann.
"Ich sitze in meinem kleinen Atelier bei Brünjes mit den grünen Wänden und unten hellblau... Dies ist für mich die liebste Stube aus meinem Leben..."
... schrieb sie ihrem vertrauten Seelenfreund, dem Dichter Rainer Maria Rilke. Rilke hatte selber eine Zeitlang in Worpswede gelebt und war wenige Jahre mit Paulas bester Freundin, der Bildhauerin Clara Westhoff, verheiratet.
"Bei der Farbgestaltung haben wir versucht, die alten Farbtöne zu rekonstruieren. Wir haben uns letztes Jahr entschlossen, dieses Atelier wieder herzurichten und dann als Ferienwohnung zur Verfügung zu stellen, und jetzt stehen eben diese Räume für Gäste zur Verfügung, die hier übernachten wollen."
Gelebt hat sie mit Otto Modersohn in dessen auffälligem, skandinavisch anmutenden Haus im Zentrum Worpswedes. In einem lichten Anbau ist heute die Sammlung Worpsweder Künstler zu sehen, die Bernhard Kaufmann zusammen getragen hat. Im alten Gebäudeteil jedoch ist die ehemalige "gute Stube" mit einigen originalen Möbelstücken dem Andenken an Paula Modersohn-Becker gewidmet.
"Wir sind ganz froh und dankbar, dass wir zumindest den Schreibtisch haben, wo Paula geschrieben hat oder ihre Tagebuchblätter in Ordnung gebracht hat ..."
... erzählt Hausherrin Sigrun Kaufmann.
"Wir haben den Stuhl dazu. Wir haben den Vorhang, diesen zauberhaften, der ja sehr an Persien erinnert mit den vielen kleinen Spiegelchen."
Das Wohnzimmer ist auch das Sterbezimmer von Paula Modersohn-Becker. Hier brachte sie nach einer schweren Geburt ihre Tochter Mathilde zur Welt. Ihr Bruder, ein Arzt, verordnet Bettruhe. Am 18. Tag nach der Geburt will sie aufstehen, sich im festlich geschmückten Wohnzimmer in einem bequemen Sessel niederlassen. Aus dem Atelier bei Bauer Brünjes hatte man ihr jüngstes Gemälde "Tonkrug mit Bauernblumen" geholt.
"Sie ist dann aufgestanden, ihr Bruder und ihr Mann liefen neben ihr, sie freute sich darauf, dass man ihr ihre Mathilde bringen sollte, und sie war noch nicht auf dem Sessel, auf dem Wege dahin ist sie zusammengesunken und hat gesagt: "Wie schade!""
Mit erst 31 Jahren stirbt die Malerin in ihrem geliebten Dorf im Teufelsmoor an einer Lungenembolie.