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TV-Einschaltquote
Heute zählen auch Klickzahlen

Welche TV-Sendungen abgesetzt werden und welche weiterlaufen, entscheidet sich immer noch anhand der Einschaltquote. Aber in Zeiten von Mediatheken und Online-Streaming wird die akkurate Messung zur Herausforderung.

Von Michael Borgers | 24.03.2022
"Wetten, dass..?" am 09.02.1985 mit Dieter Hallervorden, Jürgen von der Lippe und Frank Elstner
"Wetten dass" 1985: Damals war die Quotenmessung um einiges einfacher (imago images/United Archives)
Gut ein halbes Jahr ist es her, da wurde aus „Bild“ auch ein Fernsehsender. Ein Format der ersten Sendestunde auf „Bild TV“: „Viertel nach Acht“.
„Herzlich Willkommen, meine Damen und Herren, zu einer Spezialausgabe von ‚Viertel nach Acht“, fünf Köpfe, fünf Meinungen", begrüßt die Moderatorin zu dem Polittalk, der parallel zu klassischen TV-Vertriebswegen wie Kabel oder Satellit auch auf Youtube gezeigt wird, live und dann als Stream.
Im TV erzielt „Bild TV“ bislang mäßige Einschaltquoten. Der Monatsmarktanteil liegt derzeit bei 0,1 Prozent, wie ein Sprecher des Springer-Verlags auf Nachfrage des Deutschlandfunk mitteilte, „mit steigender Tendenz“. Um dann aber auch zu betonen, auf Youtube erreichten Sendungen wie „Viertel nach Acht“ regelmäßig zusätzlich „über eine Million Abrufe“.

Nettroreichweite statt Fernsehquote

Das Beispiel zeigt: Es ist nicht mehr die Quote alleine, die zählt. Medienwissenschaftler Christian Richter spricht von einem „Paradigmenwechsel“:
„Nämlich zu sagen, uns interessieren eher Nettoreichweiten oder Abrufzahlen. Dadurch entstehen natürlich erst mal Werte, die erfreulich sind. Aber auch da kann ‚Bild‘ auch nur bedingt ablesen, wie gut das befunden wurde oder ob die Menschen nur zufällig reingeklickt haben.“

Jeder sekundenlange Abrufe zählen schon

Christian Richter hat untersucht, wie viel Fernsehen in On-Demand-Angeboten wie Netflix und Youtube steckt. Und dabei festgestellt: Auch das Streaming verändert das Fernsehgeschäft – etwa bei der Erfassung der Einschaltquoten. Denn Teil dieser Zahlen sind zwar nicht Abrufe auf Youtube, dafür aber die in den Mediatheken der Sender. Und dort zählt am Ende nur – genau wie bei Netflix und Co – ob ein Inhalt angeklickt wurde.

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„Es spielt also keine Rolle, ob man die gesamte Folge gesehen hat, ob man die Hälfte gesehen hat oder ob man tatsächlich einfach nur mal angeklickt, aus Versehen reingerutscht ist, sich verklickt hat, das alles spielt keine Rolle. Und dann werden sozusagen diese absoluten Zahlen errechnet.“ 
Beispielsweise freute sich die ARD jüngst über den Erfolg von „Eldorado KaDeWe“, eine historische Serie mit sechs Folgen, die man im Ersten am Stück gezeigt hatte. Die am Tag darauf veröffentlichte klassische lineare TV-Quote fiel zunächst unterdurchschnittlich aus, gut 1,6 Millionen Zuschauer pro Folge.

Mehr Vergleichbarkeit mit Netflix und Co.

Doch drei Wochen später war diese dann deutlich angewachsen, um fast 900.000 Zuschauer pro Folge – dank der Abrufe in der ARD-Mediathek. Ein „Streaming-Hit“, wie andere Medien deshalb schrieben. Und damit das Ergebnis einer Zählweise, die einer zeitgemäßen Nutzung entspreche, wie Christian Richter feststellt.
„Diese Veränderung, die wir im deutschen Fernsehmarkt erleben, mehr zu Nettoreichweiten zu tendieren, hat etwas damit zu tun, um auch eine Vergleichbarkeit zu anderen ausländischen Playern herzustellen. Also auch bei Anbietern wir Netflix oder Amazon Prime oder Youtube geht es ja vor allem um Nettoreichweiten oder um Abrufe.“

Zweifel an der Aussagekraft

Allerdings stelle sich eine Frage, so der Medienwissenschaftler: „Das sieht natürlich gut aus und freut die Programmverantwortlichen. Aber die Frage stellt sich umso mehr: Was können wir am Ende von diesen Zahlen ableiten?“
Bedenken, die Kerstin Niederauer-Kopf grundsätzlich teilt. Als Geschäftsführerin der AGF-Videoforschung ist sie für die Quotenmessung in Deutschland verantwortlich – und findet ebenfalls:
„Kontakt ist eben nicht Kontakt, und ich glaube schon, dass man da sagen muss, es ist ein Unterschied, ob ich einfach halt was angeklickt hab, war da zwei Sekunden drin, oder ob ich mir einen Komplettbeitrag wirklich 16 Minuten angeguckt hab. Und das hat natürlich noch mal ne ganz andere Aussagekraft.“

"Panels" zählen auch mobile Abrufe

Und technisch möglich wäre es der AGF, das so zu messen und dann genau so auszuweisen: „Wir könnten genauso gut sagen: 60 Sekunden, 180 Sekunden. Die Möglichkeit wäre in unserem Messuniversum gegeben", sagt Niederauer Kopf.
Ein Universum, das nicht mehr, so wie früher noch, nur aus ausgewählten Haushalten besteht, deren klassisches TV-Verhalten mit Boxen erfasst wird. Seit einigen Jahren gibt es weitere repräsentative Gruppen für die Online-Welt, sogenannte „Panels“, bei denen auch Desktop- und mobile Abrufe gezählt werden.

Änderung des Messverfahrens möglich

Ein Verfahren, das sich ständig verändert und versucht, den Anforderungen des Marktes gerecht zu werden, wie Kerstin Niederauer-Kopf betont. Doch diesen Markt hätten die großen US-Plattformen mit ihrer Messung eben verändert. Deshalb könne man nun nicht den eigenen TV-Markt nach eigenen Vorstellungen und Kriterien messen: 
"Wir versuchen wirklich, eine gute vergleichbare Kennzahl in den Markt zu geben, weil wir glauben schon, dass der Markt es lernen muss, mit diesen unterschiedlichen Metriken umzugehen.“
Grundsätzlich sei die AGF offen, ihr Messverfahren wieder zu ändern und in den Mittelpunkt zu stellen, wie lange ein Video geschaut wurde. Doch noch gehe es eben auch darum, Vergleichbarkeit herzustellen. Vergleichbarkeit also zwischen einem Klickerfolg wie etwa dem auf Youtube, auf den „Bild TV“ verweisen kann – und den Abrufen von Formaten anderer Sender in deren eigenen Mediatheken.