Ein Söldner aus dem 30-jährigen Krieg klagt, hier liegt des Hundes Rücken begraben. Eine angeblich raue, vielleicht auch spröde Hunsrück Landschaft. Wir treffen sie hier in den bunten Farben des Herbstes.
Und so suchen wir hier in unmittelbarer Nähe von Simmern nach einem Schlüssel, der uns den Hunsrück öffnen kann. Wir betreten die kleine "Nunkirche". "Nun" ist Dialekt, Nun heißt Nonne. Also eine frühere Nonnen-Kloster-Kirche. Und hier kann man Fresken aus dem späten Mittelalter entdecken. Harald Kosub:
"Die Nunkirche liegt auf einem ganz historischen Gelände, wo auch Gericht gehalten wurde. Den Schlüssel für die Fresken in diesem wunderbaren Turm aus dem 13. Jahrhundert, den muss man sich beim Küster in Sargenroth holen. Praktisch sind die Bilder Predigten über biblische Themen. Dieses hier, circa 60 x 80 Zentimeter groß. Die klugen Jungfrauen und die törichten Jungfrauen. Die einen, die ihre Lampen mit Öl gefüllt haben und warten, bis der Bräutigam kommt. Und die anderen, die es vergessen haben ..."
Das ist ja ein sehr populäres Jesusgleichnis. Die klugen und die törichten Jungfrauen kenne ich auch in großen gotischen Skulpturen, beispielsweise am Eingang des Magdeburger Doms. Und hier in der kleinen Nun-Kirch, da reichte es halt nicht für teure Steinfiguren, eben nur für aufgetragene Fresken. Und wenn ich diese töricht-blöden Jungfrauen sehe, die also ihr Ersatz-Ölkännchen vergessen haben ... ihr fragender, ratloser Blick. Gebt uns doch etwas von eurem Öl ab, sonst gehen bei uns die Lichter aus. Hört sich so aktuell an, auch jetzt in der Eurokrise. Vielleicht ist es ja auch eine Parabel vom sparsamen Ölverbrauch? Alte Fresken können sehr interessante Stichwortgeber sein ...
Und dann treffen wir beim Sonntagsspaziergang einen Sonntagsmaler. Otto Prochnow. Er malt mit feiner Aquarelltechnik ein kleines Bauernhaus mit Fachwerk, mit Birken umstanden. Was haben Sie für eine Beziehung zu ihrem Bild?
"Für mich ist dieses kleine Bauernhaus mit dem kleinen Wirtschaftstrakt in Fachwerk das Sinnbild für den Hunsrück schlechthin. Das war eine arme Region. Nicht geprägt von großen starken Bauernhöfen, sondern eben halt von kleinen Anwesen, die vielleicht zwei Kühe und fünf Hektar zu bewirtschaften hatten. Und deswegen ziehen mich diese Motive immer wieder an. Dann beginne ich also, auch hier mit diesem kleinen Bauernhaus zu reden. Und dann denke ich auch, wie viel Kühe mag dieser kleine Stall wohl beherbergt haben? "
Auch die soziale Situation von so einem armen Bäuerchen ..., wie viele Leute haben davon leben können? Vier, acht Kinder? Mussten welche früh weggeschickt werden, weil es der Hof nicht trägt?
"So gehen dann die Gedanken sogar bis zu einem guten Bekannten, nämlich zu dem Regisseur Edgar Reitz, der jetzt im Moment wieder auf dem Hunsrück einen Film dreht, zum Titel "Die andere Heimat". Dieser Film nimmt sich ja grade der schlimmen armen Zeit um 1840 an, in der viele Hunsrücker ihr Heil in Brasilien gesucht haben. Sie hatten nur die Wahl, neue Heimat, andere Heimat oder hier Hungers sterben? In dem Ort, in dem Edgar dreht, sind um 1840 neun Kinder an Diphtherie gestorben. Kleinkinder. Diphtherie, eine Krankheit der Armut. Als er um 1982 in Schabbach bei dem Hunsrückerdorf Woppenroth, seine Heimatserie begann, da hat er mir auch über sein Filmthema ... den Blick für die Heimat geöffnet. Und auch in mir die Fragen aufgeworfen, was ist eigentlich Heimat? Im Schatten der Nunkirche, zum Beispiel, liegen einige Filmgräber aus der Serie Heimat. Weil diese Nunkirche ein ganz reizvolles Motiv darstellt. Umrahmt von über tausendjährigen Bäumen, die alle faszinierende Gesichter haben. Jeder Baum für sich."
Jeder Baum für sich ein Baum der Erkenntnis. Und der Filmemacher Edgar Reitz kennt hier jeden Baum. Reitz ist selber 1940 in Simmern, wie man so sagt, aufs Gymnasium gegangen und von seinem Deutschlehrer damals für das Denken und Bebildern infiziert worden.
1957 wird im Hunsrück auch ein anderer Film gedreht. Ich habe eine postkartengroße Kopie des Filmplakates dabei. Ein Film von Helmut Käutner. Unter anderem mit Curd Jürgens. Der Haudegen Jürgens spielt darin mit schon 43 Jahren einen 20-Jährigen. Einen Ganoven, den Straßenräuber Schinderhannes. Und Maria Schell, damals 32, spielt seine junge Räuberbraut Julchen. Das Drehbuch ist aus der Vorlage von Carl Zuckmayer. Er kommt auch hier aus der Nähe. Hier vom Rhein. Und er schreibt den Räuber Hannes mit teilweise derb-drastischer Komik auf dramatische Sozialromantik um. Ähnlich wie Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick", den er ja auch sozial veredelt hat.
Und während ich Ihnen das so erzähle, suchen wir nun in Simmern nach dem Schlüssel für den Schinderhannesturm, vor dem wir stehen. Und wir denken uns zurück in das Jahr 1799. Dr. Andreas Nikolay, der Bürgermeister:
"Das war der sicherste Turm der Stadtbefestigung. Früher der sogenannte Pulverturm, der zu Schinderhannes Zeiten zum sogenannten Gefängnisturm umfunktioniert wurde. Und der damals berüchtigte Räuberhauptmann Schinderhannes wurde in diesem Gefängnis gefangen gehalten."
Und das Überkriminelle ist ja, dass er sich irgendwann hier wieder absetzen konnte, also bei Nacht und Nebel ...
"Das ist die große Frage, die auch zu der legendären Schinderhannes Figur ihren Beitrag leistet. Wie kam Schinderhannes aus dem ausbruchsicheren Turm raus? War es List, war es Gewalt, war es Bestechung, war es Liebe? Es ranken sich mehrere Geschichten. Einerseits wird gesagt, er hat eine Liaison mit der Frau des Turmwächters angefangen. Zweite Variante, ein Kumpan hat die Außeneisengitter angesägt. Das andere war Bestechung durch französische Soldaten. Aber das ist so ein bisschen das, was den legendären Räuberhauptmann Schinderhannes so geheimnisumwoben macht."
Es ist teilweise natürlich dann auch die Verzuckerung von Zuckmayer mit drin. So ganz unschuldig war der Hannes nicht. Juristen, heute, würden sagen, jawohl, der gehörte in den Knast.
"Zweifelsfrei war Schinderhannes ein Schwerkrimineller. Für die Bevölkerung war er phasenweise ein Guter, aber auch ein Gefürchteter. Aber im Rückblick wird er auch verklärt. Und er hat in Simmern eben einen Schweinediebstahl vollzogen. Und darauf stand die Todesstrafe."
Also, 1799 hat der Hannes hier in Simmern Schwein. Er kann ausbüxen und seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Helmut Käutner hat aus dem Zuckmayer-Stoff einen erfolgreichen Film gemacht. Das Kreisstädtchen Simmern, mit seinen knapp 8.000 Einwohnern hat auch ein gewaltiges Ding gestemmt. Rund 150 theaterbesessene Kreativmenschen haben als Texter, als Komponist, als Musiker, Sänger, Darsteller und Kulissenschieber Zuckmayers Sozialdrama Schinderhannes in ein Musical umgesetzt. Und das hat man hier im Sommer Open Air unten am Schloss aufgeführt. Der Schinderhannes hatte hier in Simmern viereinhalbtausend Besucher in 12 Vorstellungen. Nur in Mainz hatte der Schinderhannes noch mehr Zulauf, allerdings bei freiem Eintritt. Sein großer Auftritt ist am Nachmittag des 21. Novembers 1803. Es ist ein Einakter. Da verliert der 24-jährige Räuber auf einem hohen Podest, damit es alle besser erleben können, da verliert er seinen Kopf und sein verfuschtes Leben unter der Guillotine. Zusammen mit dem Hannes werden damals weitere 19 Mittäter seiner Bande geköpft. Das Schauspiel dauert knapp 25 Minuten und hatte angeblich 30.000 Besucher und Gaffer.
Und so treffen wir heute in Simmern den Juristen Michel Becker. Er ist Simmener, er ist der Autor und der "Macher" dieses Musicals. Schinderhannes, ein Schinder ... die waren Abschaum, waren Abdecker, die in fürchterlichem Gestank den geschlachteten oder verreckten Pferden und Kühen das Fell über die Ohren zogen und auch als Scharfrichter mit Schwert und Beil umgehen konnten. Und aus diesem Berufsprofil stammte der Hannes. Urahn, Großvater, Vater und Sohn, Schinder seit Generationen. Kein Job für Ethiker und Weicheier.
"Da fängt doch schon der Mythos an, den der Schinderhannes selbst ja auch schon frühzeitig mitbegründet hat. Er kam aus der untersten sozialen Schicht. Die Schinder durften damals nicht auf derselben Straßenseite gehen, wie die anderen Leute. Die Schinder waren gezwungen, einen roten Hut zu tragen. Und in dieser Zeit wird der Johannes Bückler geboren und hatte als junger-, er war sicher kein Dummer, hatte er einfach keine Chance. Hier auf dem Hunsrück gab es Krieg. Seit 1795 hatte hier fünf Mal die Front gewechselt. Französische Revolutionstruppen, dann die Österreicher, dann die Franzosen wieder, dann die Preußen, dann wieder Franzosen. Und dann war hier die letzte Kuh aufgefressen, das letzte Schwein geschlachtet. Er war, das weiß man heute, ganz sicher ein großer Motivator und ein Kommunikator. Ich sage immer, so etwas flapsig, der Schinderhannes würde heute nicht auf der Guillotine enden, sondern er hätte eine Abendsendung, so wie Stefan Raab."
Es waren damals im zerrissenen "Teutschland" schlimmerliche Verhältnisse. Andererseits hatte deswegen keiner einen Freibrief für 130 Straftaten, Raubüberfälle, Erpressungen und Bandenkriminalität.
"Es gibt einmal die reale Person. Der Schinderhannes, der 1779 geboren ist, und letztendlich wegen seiner Räuberei auf der Guillotine endet. Und dann gibt es eben den Mythos Schinderhannes. Das ist einer, den das Volk geschaffen hat."
Nicht der Zuckmayer hat sich den geschaffen?
"Der erste Roman, es war ein erfundener Roman über den Gutmenschen Schinderhannes, erschien 1802. Da saß der Hannes in Mainz im Holzturm gefangen. Da erschien der erste Roman. Schillers "Räuber" sind 15 Jahre vorher uraufgeführt worden. Die Leute kamen ja nicht irgendwie aufs Räuberleben. Sondern es war der Drang nach Demokratie, nach Freiheit. Und die Räuber nahmen sich die Freiheit. Deswegen kam die Romantik auf die Figur des Räubers, weil der Räuber sich außerhalb der absolutistischen Gesellschaft gestellt hat. Und das hat der Schinderhannes zum Teil selbst gelebt. Er selber hat dafür gesorgt, dass andere an dem Haken, den er an die Wand eingeschlagen hat, auch dann ihren Mythosmantel aufhängen konnten. Nicht zuletzt Carl Zuckmayer. Und dann ist er mit 24 Jahren enthauptet worden."
Eine nachdenkenswerte Schinderhannes Parabel. Und es sei auch noch einmal erinnert, wie am Mannheimer Nationaltheater bei Friedrich Schillers Uraufführung seiner Räuber das Publikum enthusiastisch aufgesprungen ist und heiser den Räubern und dem Autor zugejubelt hat. .
Und nun suchen wir den Schlüssel zu "Liselotte von der Pfalz", geboren 1652. Sie kommt aus der Fürstenlinie Pfalz-Simmern. Ihr Vater regiert als Jäger von Kurpfalz im Heidelberger Schloss. Aus Quellen zusammengefasst.
Liselotte wird als Titular Pfalzgräfin an den französischen Königshof verheiratet. Und damit wird sie Herzogin von Orleans und Gemahlin des Bruders des Sonnenkönigs, Ludwig XIV.. Anfangs soll das Verhältnis zwischen Ludwig. und seiner Schwägerin aus der Pfalz angenehm gewesen sein. Es trübte sich wegen Schwierigkeiten zwischen Liselotte und der Madame de Maintenon, der heimlich angetrauten letzten Mätresse des Sonnenkönigs. Die Pfälzerin wird gemobbt. Als diese Wittelsbacher Linie "Pfalz-Simmern" in Heidelberg ohne männlichen Erben erlischt, erheben die Franzosen Erbansprüche wegen der Schwägerin aus der Pfalz.
Ludwig XIV. lässt im Pfälzischen Erbfolgekrieg das Heidelberger Schloss und auch Simmern plündern und zerstören und die Pfalz verwüsten. Lieselotte erwirbt sich, -lese ich-, literarischen Rang wegen der geschätzten 60.000 Briefe, die sie verfasste. Diese zeitgenössischen Dokumente schildern unverblümt das Leben am Hofe des Sonnenkönigs. Später werden die Briefe eine Fundgrube für Historiker. Und Liselotte resümiert in einem ihrer Briefe
"Madame sein ist ein elendes Handwerk"
Vielleicht darf man sagen, Liselotte gehört zu den "sehr klugen Jungfrauen" aus dem Hause Pfalz-Simmern.
Und so suchen wir hier in unmittelbarer Nähe von Simmern nach einem Schlüssel, der uns den Hunsrück öffnen kann. Wir betreten die kleine "Nunkirche". "Nun" ist Dialekt, Nun heißt Nonne. Also eine frühere Nonnen-Kloster-Kirche. Und hier kann man Fresken aus dem späten Mittelalter entdecken. Harald Kosub:
"Die Nunkirche liegt auf einem ganz historischen Gelände, wo auch Gericht gehalten wurde. Den Schlüssel für die Fresken in diesem wunderbaren Turm aus dem 13. Jahrhundert, den muss man sich beim Küster in Sargenroth holen. Praktisch sind die Bilder Predigten über biblische Themen. Dieses hier, circa 60 x 80 Zentimeter groß. Die klugen Jungfrauen und die törichten Jungfrauen. Die einen, die ihre Lampen mit Öl gefüllt haben und warten, bis der Bräutigam kommt. Und die anderen, die es vergessen haben ..."
Das ist ja ein sehr populäres Jesusgleichnis. Die klugen und die törichten Jungfrauen kenne ich auch in großen gotischen Skulpturen, beispielsweise am Eingang des Magdeburger Doms. Und hier in der kleinen Nun-Kirch, da reichte es halt nicht für teure Steinfiguren, eben nur für aufgetragene Fresken. Und wenn ich diese töricht-blöden Jungfrauen sehe, die also ihr Ersatz-Ölkännchen vergessen haben ... ihr fragender, ratloser Blick. Gebt uns doch etwas von eurem Öl ab, sonst gehen bei uns die Lichter aus. Hört sich so aktuell an, auch jetzt in der Eurokrise. Vielleicht ist es ja auch eine Parabel vom sparsamen Ölverbrauch? Alte Fresken können sehr interessante Stichwortgeber sein ...
Und dann treffen wir beim Sonntagsspaziergang einen Sonntagsmaler. Otto Prochnow. Er malt mit feiner Aquarelltechnik ein kleines Bauernhaus mit Fachwerk, mit Birken umstanden. Was haben Sie für eine Beziehung zu ihrem Bild?
"Für mich ist dieses kleine Bauernhaus mit dem kleinen Wirtschaftstrakt in Fachwerk das Sinnbild für den Hunsrück schlechthin. Das war eine arme Region. Nicht geprägt von großen starken Bauernhöfen, sondern eben halt von kleinen Anwesen, die vielleicht zwei Kühe und fünf Hektar zu bewirtschaften hatten. Und deswegen ziehen mich diese Motive immer wieder an. Dann beginne ich also, auch hier mit diesem kleinen Bauernhaus zu reden. Und dann denke ich auch, wie viel Kühe mag dieser kleine Stall wohl beherbergt haben? "
Auch die soziale Situation von so einem armen Bäuerchen ..., wie viele Leute haben davon leben können? Vier, acht Kinder? Mussten welche früh weggeschickt werden, weil es der Hof nicht trägt?
"So gehen dann die Gedanken sogar bis zu einem guten Bekannten, nämlich zu dem Regisseur Edgar Reitz, der jetzt im Moment wieder auf dem Hunsrück einen Film dreht, zum Titel "Die andere Heimat". Dieser Film nimmt sich ja grade der schlimmen armen Zeit um 1840 an, in der viele Hunsrücker ihr Heil in Brasilien gesucht haben. Sie hatten nur die Wahl, neue Heimat, andere Heimat oder hier Hungers sterben? In dem Ort, in dem Edgar dreht, sind um 1840 neun Kinder an Diphtherie gestorben. Kleinkinder. Diphtherie, eine Krankheit der Armut. Als er um 1982 in Schabbach bei dem Hunsrückerdorf Woppenroth, seine Heimatserie begann, da hat er mir auch über sein Filmthema ... den Blick für die Heimat geöffnet. Und auch in mir die Fragen aufgeworfen, was ist eigentlich Heimat? Im Schatten der Nunkirche, zum Beispiel, liegen einige Filmgräber aus der Serie Heimat. Weil diese Nunkirche ein ganz reizvolles Motiv darstellt. Umrahmt von über tausendjährigen Bäumen, die alle faszinierende Gesichter haben. Jeder Baum für sich."
Jeder Baum für sich ein Baum der Erkenntnis. Und der Filmemacher Edgar Reitz kennt hier jeden Baum. Reitz ist selber 1940 in Simmern, wie man so sagt, aufs Gymnasium gegangen und von seinem Deutschlehrer damals für das Denken und Bebildern infiziert worden.
1957 wird im Hunsrück auch ein anderer Film gedreht. Ich habe eine postkartengroße Kopie des Filmplakates dabei. Ein Film von Helmut Käutner. Unter anderem mit Curd Jürgens. Der Haudegen Jürgens spielt darin mit schon 43 Jahren einen 20-Jährigen. Einen Ganoven, den Straßenräuber Schinderhannes. Und Maria Schell, damals 32, spielt seine junge Räuberbraut Julchen. Das Drehbuch ist aus der Vorlage von Carl Zuckmayer. Er kommt auch hier aus der Nähe. Hier vom Rhein. Und er schreibt den Räuber Hannes mit teilweise derb-drastischer Komik auf dramatische Sozialromantik um. Ähnlich wie Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick", den er ja auch sozial veredelt hat.
Und während ich Ihnen das so erzähle, suchen wir nun in Simmern nach dem Schlüssel für den Schinderhannesturm, vor dem wir stehen. Und wir denken uns zurück in das Jahr 1799. Dr. Andreas Nikolay, der Bürgermeister:
"Das war der sicherste Turm der Stadtbefestigung. Früher der sogenannte Pulverturm, der zu Schinderhannes Zeiten zum sogenannten Gefängnisturm umfunktioniert wurde. Und der damals berüchtigte Räuberhauptmann Schinderhannes wurde in diesem Gefängnis gefangen gehalten."
Und das Überkriminelle ist ja, dass er sich irgendwann hier wieder absetzen konnte, also bei Nacht und Nebel ...
"Das ist die große Frage, die auch zu der legendären Schinderhannes Figur ihren Beitrag leistet. Wie kam Schinderhannes aus dem ausbruchsicheren Turm raus? War es List, war es Gewalt, war es Bestechung, war es Liebe? Es ranken sich mehrere Geschichten. Einerseits wird gesagt, er hat eine Liaison mit der Frau des Turmwächters angefangen. Zweite Variante, ein Kumpan hat die Außeneisengitter angesägt. Das andere war Bestechung durch französische Soldaten. Aber das ist so ein bisschen das, was den legendären Räuberhauptmann Schinderhannes so geheimnisumwoben macht."
Es ist teilweise natürlich dann auch die Verzuckerung von Zuckmayer mit drin. So ganz unschuldig war der Hannes nicht. Juristen, heute, würden sagen, jawohl, der gehörte in den Knast.
"Zweifelsfrei war Schinderhannes ein Schwerkrimineller. Für die Bevölkerung war er phasenweise ein Guter, aber auch ein Gefürchteter. Aber im Rückblick wird er auch verklärt. Und er hat in Simmern eben einen Schweinediebstahl vollzogen. Und darauf stand die Todesstrafe."
Also, 1799 hat der Hannes hier in Simmern Schwein. Er kann ausbüxen und seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Helmut Käutner hat aus dem Zuckmayer-Stoff einen erfolgreichen Film gemacht. Das Kreisstädtchen Simmern, mit seinen knapp 8.000 Einwohnern hat auch ein gewaltiges Ding gestemmt. Rund 150 theaterbesessene Kreativmenschen haben als Texter, als Komponist, als Musiker, Sänger, Darsteller und Kulissenschieber Zuckmayers Sozialdrama Schinderhannes in ein Musical umgesetzt. Und das hat man hier im Sommer Open Air unten am Schloss aufgeführt. Der Schinderhannes hatte hier in Simmern viereinhalbtausend Besucher in 12 Vorstellungen. Nur in Mainz hatte der Schinderhannes noch mehr Zulauf, allerdings bei freiem Eintritt. Sein großer Auftritt ist am Nachmittag des 21. Novembers 1803. Es ist ein Einakter. Da verliert der 24-jährige Räuber auf einem hohen Podest, damit es alle besser erleben können, da verliert er seinen Kopf und sein verfuschtes Leben unter der Guillotine. Zusammen mit dem Hannes werden damals weitere 19 Mittäter seiner Bande geköpft. Das Schauspiel dauert knapp 25 Minuten und hatte angeblich 30.000 Besucher und Gaffer.
Und so treffen wir heute in Simmern den Juristen Michel Becker. Er ist Simmener, er ist der Autor und der "Macher" dieses Musicals. Schinderhannes, ein Schinder ... die waren Abschaum, waren Abdecker, die in fürchterlichem Gestank den geschlachteten oder verreckten Pferden und Kühen das Fell über die Ohren zogen und auch als Scharfrichter mit Schwert und Beil umgehen konnten. Und aus diesem Berufsprofil stammte der Hannes. Urahn, Großvater, Vater und Sohn, Schinder seit Generationen. Kein Job für Ethiker und Weicheier.
"Da fängt doch schon der Mythos an, den der Schinderhannes selbst ja auch schon frühzeitig mitbegründet hat. Er kam aus der untersten sozialen Schicht. Die Schinder durften damals nicht auf derselben Straßenseite gehen, wie die anderen Leute. Die Schinder waren gezwungen, einen roten Hut zu tragen. Und in dieser Zeit wird der Johannes Bückler geboren und hatte als junger-, er war sicher kein Dummer, hatte er einfach keine Chance. Hier auf dem Hunsrück gab es Krieg. Seit 1795 hatte hier fünf Mal die Front gewechselt. Französische Revolutionstruppen, dann die Österreicher, dann die Franzosen wieder, dann die Preußen, dann wieder Franzosen. Und dann war hier die letzte Kuh aufgefressen, das letzte Schwein geschlachtet. Er war, das weiß man heute, ganz sicher ein großer Motivator und ein Kommunikator. Ich sage immer, so etwas flapsig, der Schinderhannes würde heute nicht auf der Guillotine enden, sondern er hätte eine Abendsendung, so wie Stefan Raab."
Es waren damals im zerrissenen "Teutschland" schlimmerliche Verhältnisse. Andererseits hatte deswegen keiner einen Freibrief für 130 Straftaten, Raubüberfälle, Erpressungen und Bandenkriminalität.
"Es gibt einmal die reale Person. Der Schinderhannes, der 1779 geboren ist, und letztendlich wegen seiner Räuberei auf der Guillotine endet. Und dann gibt es eben den Mythos Schinderhannes. Das ist einer, den das Volk geschaffen hat."
Nicht der Zuckmayer hat sich den geschaffen?
"Der erste Roman, es war ein erfundener Roman über den Gutmenschen Schinderhannes, erschien 1802. Da saß der Hannes in Mainz im Holzturm gefangen. Da erschien der erste Roman. Schillers "Räuber" sind 15 Jahre vorher uraufgeführt worden. Die Leute kamen ja nicht irgendwie aufs Räuberleben. Sondern es war der Drang nach Demokratie, nach Freiheit. Und die Räuber nahmen sich die Freiheit. Deswegen kam die Romantik auf die Figur des Räubers, weil der Räuber sich außerhalb der absolutistischen Gesellschaft gestellt hat. Und das hat der Schinderhannes zum Teil selbst gelebt. Er selber hat dafür gesorgt, dass andere an dem Haken, den er an die Wand eingeschlagen hat, auch dann ihren Mythosmantel aufhängen konnten. Nicht zuletzt Carl Zuckmayer. Und dann ist er mit 24 Jahren enthauptet worden."
Eine nachdenkenswerte Schinderhannes Parabel. Und es sei auch noch einmal erinnert, wie am Mannheimer Nationaltheater bei Friedrich Schillers Uraufführung seiner Räuber das Publikum enthusiastisch aufgesprungen ist und heiser den Räubern und dem Autor zugejubelt hat. .
Und nun suchen wir den Schlüssel zu "Liselotte von der Pfalz", geboren 1652. Sie kommt aus der Fürstenlinie Pfalz-Simmern. Ihr Vater regiert als Jäger von Kurpfalz im Heidelberger Schloss. Aus Quellen zusammengefasst.
Liselotte wird als Titular Pfalzgräfin an den französischen Königshof verheiratet. Und damit wird sie Herzogin von Orleans und Gemahlin des Bruders des Sonnenkönigs, Ludwig XIV.. Anfangs soll das Verhältnis zwischen Ludwig. und seiner Schwägerin aus der Pfalz angenehm gewesen sein. Es trübte sich wegen Schwierigkeiten zwischen Liselotte und der Madame de Maintenon, der heimlich angetrauten letzten Mätresse des Sonnenkönigs. Die Pfälzerin wird gemobbt. Als diese Wittelsbacher Linie "Pfalz-Simmern" in Heidelberg ohne männlichen Erben erlischt, erheben die Franzosen Erbansprüche wegen der Schwägerin aus der Pfalz.
Ludwig XIV. lässt im Pfälzischen Erbfolgekrieg das Heidelberger Schloss und auch Simmern plündern und zerstören und die Pfalz verwüsten. Lieselotte erwirbt sich, -lese ich-, literarischen Rang wegen der geschätzten 60.000 Briefe, die sie verfasste. Diese zeitgenössischen Dokumente schildern unverblümt das Leben am Hofe des Sonnenkönigs. Später werden die Briefe eine Fundgrube für Historiker. Und Liselotte resümiert in einem ihrer Briefe
"Madame sein ist ein elendes Handwerk"
Vielleicht darf man sagen, Liselotte gehört zu den "sehr klugen Jungfrauen" aus dem Hause Pfalz-Simmern.