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Einstein auf dem Prüfstand (14)
Mit Einstein zum Saturn

Einer der genauesten Tests von Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie fand weit draußen im All zwischen Jupiter und Saturn statt. Auf ihrem langen Weg zum Ringplaneten hatte die ESA-Raumsonde Cassini im Jahr 2002 etwas Freizeit. Die haben Physiker für präzise Messungen genutzt.

Von Dirk Lorenzen |
    Die Raumsonde Cassini-Huygens auf dem Weg zum Saturn (Grafik)
    Die Raumsonde Cassini-Huygens hatte auf dem Weg zum Saturn noch Zeit für etwas Einstein. (NASA / ESA)
    Start der Raumsonde Cassini 1997:
    "T minus 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 and lift-off of the Cassini spacecraft on a billion-mile trek to Saturn ..."
    Vor fast zwei Jahrzehnten, am 15. Oktober 1997, ist die Raumsonde Cassini zu ihrer mehr als anderthalb Milliarden Kilometer langen Reise zum Saturn gestartet. Luciano Iess, Raumfahrtingenieur an der Universität La Sapienza in Rom, hat sich beim Abheben der Rakete noch nicht vorstellen können, mit dieser Raumsonde mal die allgemeine Relativitätstheorie zu testen:
    "Während Cassini unterwegs zum Saturn war, hat sich letztlich niemand dafür interessiert, was die Raumsonde macht. Mein Doktorvater Bruno Bertotti hat daraufhin dem Cassini-Team vorgeschlagen, Einsteins Theorie zu überprüfen. An sich wird bei Weltraummissionen alles viele Jahre im Voraus bis ins kleinste Detail geplant, aber hier war es anders - die Raumsonde war ja irgendwo im Niemandsland zwischen den Planeten. So hatten wir die anderthalb Milliarden Dollar teure Raumsonde einen Monat lang ganz für uns."
    Funken im Gravitationsfeld
    Im Jahr 2002 befand sich Cassini zwischen Jupiter und Saturn. Die Ingenieure nutzen sie genau zu der Zeit, als die Raumsonde von der Erde aus gesehen ganz knapp neben der Sonne stand. Die Funksignale Cassinis mussten auf dem Weg zur Erde also sehr dicht an der Sonne vorbei.
    "Wenn ein Radiostrahl durch das starke Gravitationsfeld der Sonne läuft, verzögert sich zum einen das Signal ein wenig, weil der Laufweg zwischen Raumsonde und Erde etwas länger wird. Zum anderen verändert die Schwerkraft minimal die Frequenz der Radiowellen. Die Messungen waren äußerst aufwendig, weil wir die Störeffekte der Korona, der elektrisch geladenen Sonnenatmosphäre, herausfiltern mussten. Wir haben dann aber die allgemeine Relativitätstheorie wunderschön bestätigt."
    Die Forscher wussten, mit welcher Frequenz sich die Funksignale von Cassini weit hinter der Sonne auf den Weg gemacht hatten. Doch in den Empfängern auf der Erde war die Frequenz minimal geringer - als Folge mehrerer relativistischer Effekte. Luciano Iess und sein Team haben dies auf 0,02 Promille genau gemessen. Der Cassini-Test war etwa 50-mal besser als alle anderen Tests zuvor.
    Große Erleichterung nach dem Experiment
    Erstaunlicherweise war der Raumfahrtingenieur über die Bestätigung der einsteinschen Theorie alles andere als enttäuscht:
    "Ich war wirklich erleichtert! Man stelle sich vor, wir hätten eine Abweichung von der Relativitätstheorie gemessen. Das wäre zwar eine Riesensache gewesen, aber wir hätten große Probleme gehabt, unsere Arbeit zu veröffentlichen. Denn natürlich hätte eine andere Forschergruppe dies bestätigen müssen. Uns hätte doch zunächst niemand geglaubt."
    Das ist schon fast absurd: Da mühen sich Physiker seit fast hundert Jahren, Messungen zu machen, die zeigen, dass das einsteinsche Gedankengebäude nicht der Weisheit letzter Schluss ist - aber die Forscher haben fast schon Angst vor der Entdeckung und freuen sich, wenn der große Coup nicht gelingt. Dabei weiß auch Luciano Iess, dass die Physik dringend neue Ideen benötigt:
    "Die allgemeine Relativitätstheorie ist nicht vereinbar mit der Quantenmechanik, der wohl erfolgreichsten naturwissenschaftlichen Theorie überhaupt. Wir müssen Albert Einsteins Theorie der Schwerkraft verändern oder ergänzen: Die Theorie ist falsch, aber wir wissen nicht, an welcher Nachkommastelle sich die Abweichungen zeigen."
    Bei künftigen Raumfahrtmissionen werden die Einstein-Tests von Anfang an mit geplant. Vielleicht gelingt auf diese Weise in einigen Jahren den Forschern die epochale Messung - und womöglich freuen sie sich dann sogar darüber.