Im Jahr 1687 hat Isaac Newton sein Gravitationsgesetz veröffentlicht - es erklärt, wie ein Apfel vom Baum fällt und ein Planet um die Sonne kreist. Die Astronomen wähnten sich seitdem in der komfortablen Lage, den Lauf der Gestirne präzise berechnen zu können. Doch im 19. Jahrhundert offenbarten immer bessere Teleskope, dass der Planet Merkur nicht ganz dem Newtonschen Gesetz folgt, erklärt Benjamin Knispel vom Albert-Einstein-Institut für Gravitationsphysik in Hannover:
"Die Merkurbahn ist eine Ellipse. Normalerweise, wenn ich jetzt annehme, die Gravitation wäre so einfach wie bei Newton, wie man es in der Schule lernt, sollte diese Ellipse raumfest stehen. Das tut sie aber nicht: Sie dreht sich ein bisschen. Das liegt zum einen daran, dass die anderen Planeten mit ihrer Schwerkraft da herum ziehen. Aber wenn ich das alles weg rechne, dann bleibt immer noch so ein kleiner Rest, ganz wenig, 43 Bogensekunden pro Jahrhundert, aber man konnte das messen, auch schon Ende des 19. Jahrhunderts, und hatte keine Ahnung woran es liegt."
Warum ändert sich Merkurs Bahn?
Dass sich die Merkurbahn ständig verändert - Fachleute sprechen von der Periheldrehung -, brachte die Astronomen in Erklärungsnot. Als Lösungsvorschläge kursierten Staub in der Nähe der Sonne, ein hypothetischer Planet noch innerhalb der Merkurbahn oder die Abplattung der Sonne. Doch keiner dieser Effekte konnte erklären, warum sich die Merkurbahn pro Jahrhundert um 43 Bogensekunden oder gerade mal gut 10.000 Kilometer verschiebt - dies gelang erst, als sich Albert Einstein des Problems annahm, erklärt Knispel:
"Das ist genau, was sich letztendlich durch die allgemeine Relativitätstheorie ergibt. Es geht gar nicht anders. Es ist eine Unvollständigkeit der Newtonschen Gravitationstheorie. Und bei der allgemeinen Relativitätstheorie kommt direkt der richtige Wert heraus, also diese 43 Bogensekunden. ... Das Gravitationsfeld der Sonne ist ein starkes Gravitationsfeld oder eben stark genug, weil der Merkur relativ nah dran ist, und ist eben nicht durch diese Newtonsche Näherung beschrieben. Das bedeutet, da kommt noch ein zusätzlicher Term hinzu, der das Gravitationsfeld etwas anders macht. Diese Abweichung sehe ich dann eben."
In unserem Alltag fallen die Unterschiede zwischen dem Newtonschen und dem Einsteinschen Regelwerk zumeist nicht auf. Erst wenn es um große Massen und äußerste Präzision geht, sind auch die relativistischen Effekte zu berücksichtigen. Für Albert Einstein war die Merkurbahn ein ganz wichtiges Erfolgserlebnis bei der Entwicklung seiner Theorie, betont Benjamin Knispel:
"Das war natürlich schon ein wichtiger Punkt, der ihn eben bekannt gemacht hat in der Wissenschaftsgeschichte, wo man gesagt: OK, diese Theorie ist nicht ein rein mathematisches Konstrukt, sondern da scheint wirklich etwas dran zu sein, wenn es dieses damals schon lange bestehende Problem löst."
Kleiner Planet brachte große Anerkennung für Einstein
Die elegante Erklärung der Merkurbahn brachte der allgemeinen Relativitätstheorie gleich nach ihrer Veröffentlichung 1915 große Akzeptanz unter Wissenschaftlern ein. Dagegen nahm die breite Öffentlichkeit von Albert Einsteins neuer Idee zunächst kaum Notiz. Zum Popstar wurde der Physiker erst, als wenige Jahre später ein von seiner Theorie vorhergesagter, bis dahin aber noch unbekannter Effekt beobachtet worden war. Der Kosmologe Michael Turner von der Universität von Chicago staunt auch hundert Jahre nach Einstein noch darüber, welche Rolle der kleine Planet Merkur gespielt hat - ein Objekt, das Forscher, die sich mit dem Aufbau der Welt beschäftigen, an sich für völlig unbedeutend halten:
"Die Theorie, die die Bewegung Merkurs erklärt, war nicht einfach Newton und etwas mehr. Es war etwas völlig Neues: die Einsteinsche Relativitätstheorie! Diese Lehre der Wissenschaftsgeschichte sollten wir immer im Kopf haben, wenn wir uns heute mit großen Theorien über Dunkle Materie oder den Urknall beschäftigen. Auch wenn diese nur bei kleinen, vermeintlich unwichtigen Aspekten nicht stimmig sind, so könnte das stets ein Menetekel sein. Vielleicht erwartet uns bald wieder eine viel größere Revolution, als wir uns heute vorstellen."