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Einstieg in die Politik
Wo ist die Tür für Migranten?

Der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der Politik ist besonders gering. Viele Migranten bleiben auch nur kurz. Zu den Gründen gehört - neben klassischer Diskriminierung -, dass Themen und Habitus nicht passen. Für einen Einstieg Richtung Landtag oder Bundestag braucht es Unterstützung durch "Gatekeeper".

Von Luise Sammann |
Ayten Dogan von der SPD fordert die aktive Unterstützung von Kandidaten mit Migrationshintergrund in allen Parteien.
Ayten Dogan von der SPD fordert die aktive Unterstützung von Kandidaten mit Migrationshintergrund in allen Parteien. (Deutschladradio / Luise Sammann)
Sener Sahins politische Karriere währte nur kurz. Vor einem halben Jahr bat der CSU-Ortsvorstand im bayerischen Wallerstein den türkischstämmigen Unternehmer, als Bürgermeisterkandidat anzutreten. Sahin sagte zu. Doch seine Unterstützer hatten die Empörung unterschätzt, die die Idee an der Parteibasis auslöste. Sahin zog sich zurück, bevor er überhaupt richtig angetreten war.
"Natürlich tut das alles weh. Im Nachhinein noch mehr. Weil: Immer wieder stelle ich mir die Frage, hab ich irgendwas falsch gemacht oder so."
Sener Sahin ist in der Nähe von Wallerstein aufgewachsen und zur Schule gegangen. Nach dem Studium gründete er einen Werkzeug- und Maschinenhandel im Ort, trainierte zehn Jahre lang die Fußballjugend, heiratete eine Deutsche. Mehr Integration geht nicht, sagt er selbst. Dennoch drohten gleich mehrere Mitglieder der Wallersteiner CSU sowie 3 Gemeinderatskandidaten mit ihrem Rückzug, falls der bekennende Moslem für das Bürgermeisteramt antreten würde.
"Jedes Mal haben sie gesagt, nix gegen ihn persönlich, im Gegenteil. Aber das C bei der Partei und das M also als Moslem, das passt überhaupt nicht zusammen. Ich hab immer unseren Vorstandsvorsitzenden gefragt. Ich hab gehofft echt, dass er zu mir sagt: Du, die sagen du bist nicht kompetent, du hast keine Erfahrung, du bist unsympathisch oder irgendwas. Aber diese Worte sind nie gefallen. Es ging nur eigentlich um meinen Glauben."
Die Abwehr ist nicht auf die CSU beschränkt
Sahin ist nicht nachtragend, sagt sogar, er habe Verständnis für die Leute, die gegen ihn waren. In Wallerstein denke man nun mal traditionell.
Typisch CSU, spöttelte mancher, als die Geschichte damals auch überregional Schlagzeilen machte. Ayten Dogan, kurdischstämmige SPD-Politikerin aus Berlin, ist anderer Meinung.
"Ich denke, das hätte in jeder Partei passieren können", so die 39-Jährige trocken. "Wenn Vielfalt innerhalb einer Partei bedeutet, beim Grillen im Sommer haben wir kein Schweinefleisch, und wir haben ein vielfältiges Büffet… Dann ade! Dann funktioniert das einfach nicht. Und das sehe ich in allen Parteien. Dass man da krampfhaft versucht, an seiner Macht hängen zu bleiben, nicht zu öffnen, nicht auf die Themen einzugehen."
Vier Prozent Migranten in den Landtagen
Politikwissenschaftler Damir Softic untersuchte die Karrierewege von Bundestagsabgeordneten mit Zuwanderungsgeschichte.
Politikwissenschaftler Damir Softic untersuchte die Karrierewege von Bundestagsabgeordneten mit Zuwanderungsgeschichte. (Deutschlandradio / Luise Sammann)
Tatsächlich hinken die deutschen Parteien in Sachen Vielfalt deutlich hinterher. Während laut statistischem Bundesamt jeder vierte Bundesbürger einen sogenannten Migrationshintergrund hat, gilt das für gerade mal acht Prozent der Bundestagsabgeordneten. In den Landtagen sind es nur vier Prozent.
"Unsere Untersuchungen zeigen, dass es zwei Kriterien gibt, oder zwei Faktoren, die Migranten den Zugang zur Politik erleichtern oder eben erschweren", so der Politikwissenschaftler Damir Softic, der zwischen 2009 und 2013 in einer Studie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster die Karrierewege von Bundestagspolitikern mit Zuwanderungsgeschichte untersuchte.
"Das eine ist sicher die Tradition der Parteien, die als Gatekeeper – die etablierten Akteure dort – neue Akteure zulassen oder eben nicht. Und dann gibt es sowas wie den Habitus der Person mit Migrationshintergrund selbst, der sie manchmal dazu verleitet, sich selber vielleicht auch nicht wohlzufühlen oder direkt Berührungspunkte zu finden mit den Parteien."
"Nur weiße Themen"
Das Ergebnis: Überdurchschnittlich viele Deutsche mit Zuwanderungsgeschichte kehren der Politik trotz anfänglichem Interesse schnell wieder den Rücken. Auch Ayten Dogan von der SPD – die sich selbst als POC, also Person of Color, bezeichnet – versuchte zunächst vergeblich, parteipolitisch anzudocken.
"Man muss sich das auch so vorstellen, man kommt in einen Raum, also jetzt als Frau, und da sind nur Männer. Dann fühlt man sich doch auch – also ich fühle mich komisch. Und so war das auch mit dem, dass man irgendwo hinkommt, wo es einfach mehrheitlich weiße Menschen sind oder zu 100 Prozent, wo über weiße Themen gesprochen wird."
Dass Dogan schließlich doch bei der SPD landete, lag an einem anderen POC dort, der sie ansprach und in die neue Welt einführte. Ein so genannter Gatekeeper, wie er gerade Menschen mit Zuwanderungsgeschichte häufig fehlt.
Die Pioniere brauchen ein dickes Fell
"Kevin Kühnert, der, glaub ich, schon mit 14 oder 15 in die Partei geboren wurde, aus einer SPD-Familie glaube ich auch kommt, für den ist das natürlich ganz anders, dieses politische Leben. Der ist mit den Jusos groß geworden und der kann jetzt gut mitmischen. Also diese Netzwerke habe ich nicht, wie viele andere auch nicht."
Als Pioniere bezeichnet Wissenschaftler Softic Ayten Dogan und ihre Mitstreiter deswegen. Fast immer brauchen sie einen längeren Atem und vor allem ein dickeres Fell als ihre weißdeutschen Genossen.
"Natürlich machen diese Akteure dann auch diskriminierende Erfahrungen in ihrer eigenen Partei. Da wird dann gesagt, naja du hast ja so einen Akzent und das ist ja sehr nachteilig. Ob man da nicht einen besseren Kandidaten für den Bundestagswahlkampf finden kann als den. Oder eine spannende Szene, die mal ein Bundestagsabgeordneter mit Migrationshintergrund geschildert hat, der auch noch eine andere Hautfarbe hat und dann mal auf einem großen Parteievent mit einem Kellner verwechselt worden ist, und ihm Trinkgeld, ein Euro in die Hand gedrückt worden ist."
Durchbrechen nur Quoten den Teufelskreis?
Einige POCs stecken solche Erfahrungen als Anekdote weg. Sie passen sich an, anstatt Rassismus und Diskriminierung in Partei und Gesellschaft zum Kern ihres Engagements zu machen. Wer das allerdings nicht tut, verbaut sich damit meist den eigenen Aufstieg, wie Softics Studie zeigt. So werden dann die Parteien in Deutschland weiter von weißen Akademikern dominiert, die den Nachwuchs aus ihren eigenen Reihen rekrutieren. Ein Teufelskreis, der – so glaubt Ayten Dogan – nur durch Quoten für Ämter und Listenplätze durchbrochen werden könnte.
"Man muss POCs auch die Mandate geben, Möglichkeiten schaffen, unterstützen, dass einfach auch andere sehen, 'da gibt es die Möglichkeit, ich werde gehört, ich darf gestalten'. Und durch diese Schlüsselpersonen werden Menschen schon nachziehen."
Empowerment-Initiativen wie das Netzwerk Bunt-Grün bei den Grünen zielen auf diese Effekte ab. Erfolgreich können sie allerdings nur sein, wenn diejenigen, die die Macht innehaben, sie auch zulassen.