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Eintrittskarte zum Mikrokosmos

Wissenschaftler schätzen, dass sich überhaupt nur ein Prozent aller Bakterienarten im Labor züchten lässt. Mit der so genannten Metagenomik haben Forscher nun ein Werkzeug gefunden, Licht ins Dunkel der Mikroben-Gemeinschaften zu bringen.

Von Verena von Keitz |
    "Die meisten Leute, die im Meer schwimmen, sehen eben die Bakterien nicht. Das heißt, die meisten meinen, es gibt sie gar nicht. Wenn man mal wissenschaftlich drüber nachdenkt, ist es so, dass wenn man ins Wasser geht, ist man umringt von einer Bakterienbrühe geradezu. Nur man sieht sie eben nicht."

    Ein paar hundert Meter vom Hafen der Hochseeinsel Helgoland entfernt. Das kleine Forschungsschiff "Diker" tuckert zur Probenahme. Die Forscher an Bord haben heute eine besondere Reise vor – eine Reise in den Mikrokosmos. Wind pfeift ihnen um die Ohren; meterhohe Wellen schaukeln das Boot hin und her.

    "Dadurch, dass hier eine starke Strömung ist, schwankt es hier schon öfter mal."

    Eingepackt in Regenhose, Regenjacke und gelbe Gummistiefel überprüft Christine Klockow per GPS-Gerät die Koordinaten der Probenstelle. Der Kapitän und ein Mitarbeiter schöpfen währenddessen eimerweise Wasser in große, weiße Plastikkannen. Klockow:

    "Wir nehmen jetzt Seewasserproben, Oberflächenwasser, aus etwa ein Meter Tiefe, wir nehmen jetzt fünf mal 35 Liter, die wir dann im Labor filtrieren und untersuchen werden."

    Gemeinsam mit Forschern der Biologischen Anstalt Helgoland untersucht Christine Klockow vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie die Vielfalt der Mikroorganismen vor der Insel. Klockow:

    "Ich hab jetzt mal einen kleinen Eimer abfüllen lassen, damit man sieht: Das Wasser ist sehr klar – hier sieht es wirklich sehr klar aus, und enthält eben ganz, ganz viele Mikroorganismen, obwohl man die gar nicht erkennen kann."

    Zurück im Hafen lädt Christine Klockow gemeinsam mit der Doktorandin Basak Öztürk die Fässer auf einen Handkarren – auf Helgoland das beliebteste Transportmittel. Die Proben müssen schnell ins Labor. Denn Mikroorganismen reagieren äußerst rasch auf veränderte Umweltbedingungen. Klockow:

    "Sobald sich die Zellen in irgendwas, was nicht ihre natürliche Umgebung ist, befinden - zum Beispiel ein Plastikeimer - können sie halt schon andere Gene ein- oder ausschalten, und das möchten wir natürlich nicht. Wir möchten natürlich den Zustand untersuchen, wie sie sind, wenn sie in der Nordsee schwimmen, und nicht wie es ist, wenn sie im Eimer rumstehen."

    "Man hat zwar immer nur das Bild, dass da draußen die Wale schwimmen und die Fische und das ist alles schön und gut. Aber ehrlich – am Ende werden sie von Mikroorganismen abgebaut."

    Frank-Oliver Glöckner vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen. Er will Licht in die dunkle Mikrobenwelt der Nordsee bringen. Denn Bakterien sind in der Natur extrem wichtig. Glöckner:

    "Die bauen aktiv jede Art von organischer Substanz ab, bauen für sich wiederum organische Substanz auf, die dann wiederum als Nahrung dient für kleine einzellige Tiere. Und die bauen wieder Biomasse auf, die dann von Fischen gefressen werden, und dann vom nächsten Fisch und so weiter. Es ist also Nahrung für die nächste Stufe der Fraßfeinde, aber er ist auch derjenige, der am Ende den toten Wal abbaut. Deswegen sind Mikroorganismen eigentlich so die Hauptakteure in einem marinen System."

    Bisher blieb den Forschern aber verborgen, was genau im Meerwasser herumwimmelt. Denn die Einzeller lassen sich aufgrund ihres Äußeren nicht gut voneinander unterscheiden. Frank Oliver Glöckner:

    "Ich sag immer zu meinen Studenten: Jeder kann ein Zebra von einem Elefanten unterscheiden, allein morphologisch. Bei Bakterien ist das hinfällig, weil, das Aussehen der Bakterien ist sehr einheitlich. Man hat da mal Kokken, mal Stäbchen, mal irgendwelche geringelten Dinger, aber wenn man die anschaut – rein zum Sehen ist nicht wirklich viel."

    Vor knapp 350 Jahren entdeckte der Holländer Antonie van Leeuwenhoek mit einem simplen, selbstgebauten Mikroskop, dass es die winzigen Lebewesen – Tierchen, wie er meinte – überhaupt gibt. Seitdem haben sich Forscher vor allem mit Mikroorganismen beschäftigt, die krank machen. Und mit solchen, die sich im Labor züchten lassen. Doch die sind nur ein winziger Teil des Mikrobenreiches.

    "In der Realität ist eben es so, dass wir im Moment davon ausgehen, dass nur zwischen ein und zehn Prozent der tatsächlich vorhandenen Organismen in der Umwelt auch kultivierbar sind, also, [wir] sie aus der Umwelt herausnehmen können und dann auf einem Nährmedium im Labor wachsen lassen können."

    Alle anderen Bakterienarten sterben außerhalb ihrer natürlichen Umgebung ab und entziehen sich damit dem menschlichen Forscherdrang. Bakterien leben in der Umwelt in komplexen Gemeinschaften und sind aufeinander angewiesen. Diese Lebensbedingungen lassen sich im Labor schwer nachstellen. Glöckner:

    "Aber was man in den letzten Jahren versucht, die Organismen gar nicht erst aus ihrer Umwelt herauszureißen, sondern man versucht direkt die Erbinformation in der Umwelt zu bestimmen – also eine Probe zu nehmen, daraus die Erbinformation zu bestimmen und dann zu sehen, was ist denn da alles drin? Was für Gene sind denn in diesen Wasserproben drin?"

    Mit Hilfe der so genannten Metagenomik wird die komplette Erbinformation aus einer Umweltprobe untersucht – ohne dass die Mikroorganismen im Labor gezüchtet und vereinzelt werden müssen. Glöckner:

    "Man hat sozusagen das gemeinschaftliche Genom, das Metagenom der ganzen Gemeinschaft, und das ist auch die Idee dahinter: Man kümmert sich nicht mehr um den einzelnen, man trennt auch nicht mehr die einzelnen Organismen aus, sondern um die Gesamtheit. Also, man nimmt sich einfach, ich sag mal, 100 Liter Wasser, filtriert die und anschließend wird daraus die DNA, also die Erbinformation, extrahiert."

    Im Labor lässt Christine Klockow die 170 Liter Meerwasser, die sie am Vormittag vor der Helgoländer Küste gesammelt hat, durch eine Filtrationsanlage laufen.

    "Das viele Wasser zu filtrieren dauert seine Zeit, und damit sich möglichst wenig ändert in der bakteriellen Gemeinschaft - da gibt es ja auch Fressen und Gefressenwerden - stellen wir das kalt bei vier Grad, damit möglichst alle Aktivitäten der Mikroorganismen zum Erliegen kommen."

    Im ersten Filtrationsschritt werden größere Partikel wie Algen weggefangen, die für die Forscherin uninteressant sind. Bakterien kommen aber durch. Klockow:

    "Wir wollen möglichst nur die Prokaryonten, das sind die Mikroorganismen ohne Zellkern, die recht einfach aufgebaut sind, ... und deswegen durch die Vorfiltration werden die größeren Organismen rausgeholt."

    Der Vorfilter ist beige-braun verfärbt – auf ihm kleben auch Sandkörnchen und andere Schwebteilchen aus dem Meerwasser. Klockow:

    "Wir hatten ja heute auch etwas Wind, als wir die Probe genommen haben, und dann gibt es natürlich Bewegung im Wasser und obwohl das Wasser hier recht klar aussieht, ist trotzdem noch Sand drin."

    Erst im zweiten Filtrationsschritt bleiben die Organismen hängen, auf die Christine Klockow es abgesehen hat:

    "Das ist also der Filter mit 0,2 Mikrometer also 0,2 Tausendstel Millimeter Porendurchmesser und da sind die Bakterien, die wir untersuchen wollen, drauf haften geblieben."

    Was mit bloßem Auge allerdings nicht zu erkennen ist. Der Filter sieht immer noch sauber und weiß aus. In einem abgedunkelten Raum ohne Fenster steht hinter einem schwarzen Vorhang ein großes Fluoreszenz-Mikroskop. Basak Öztürk legt einen Objektträger unter das Objektiv und versucht scharf zu stellen.

    "Wir werden jetzt gleich Zellen sehen – falls noch jemand glaubt, in der Probe seien keine Bakterien, weil man sie nicht sieht."

    Dafür hat Basak Öztürk einige Milliliter der ursprünglichen Meerwasserprobe mit einem speziellen Farbstoff behandelt, der DNA anfärbt und unter dem Fluoreszenz-Mikroskop blaues Licht abstrahlt. Sehr langsam bewegt die Biologin den Schärferegler.

    "Das sind wirklich viele Zellen – viele leuchtend blaue Pünktchen auf einer grauen Oberfläche, hübsch ist das! Einige bilden Klümpchen - man sieht, dass sie nicht allein sein wollen."

    Währenddessen schiebt Christine Klockow den Filter mit den unsichtbaren Mikroben mit einer sterilen Pinzette vorsichtig in ein kleines Plastikröhrchen.

    "Obwohl das ja auch ganz, ganz viele sind pro Liter, sind sie halt auch sehr, sehr klein und haben noch viel weniger DNA und RNA da drin,das heißt, am Ende bleiben vielleicht fünf Filter übrig. Da werden dann die Mikroorganismen aufgeschlossen, das heißt, die Zellwand wird aufgebrochen und dann kann die DNA und die RNA da rausfließen, die uns interessiert, und am Ende bleiben dann wenige Mikrogramm, das ist dann die Endprobe aus den 170 Litern Wasser, die wir mal hatten."

    Frank Oliver Glöckner:

    "Die DNA ist ja ein Gemisch - wenn man die einfach aus der Umwelt holt und dann in Schnipsel haut, dann ist das im Prinzip ein Gemisch aus jeder Art von Fragmenten von verschiedenen Organismen."

    Für den Bioinformatiker Frank Oliver Glöckner am Max-Planck-Institut in Bremen geht die Arbeit erst richtig los, wenn das genetische Material aus einer Umweltprobe isoliert ist. Dann versucht er herauszufinden, was für Gene in der Probe enthalten sind und welche Gene zu welcher Mikrobe gehören. Dafür werden die DNA-Stückchen sequenziert - also auf die Abfolge ihrer Bausteine hin untersucht - und anschließend mit bereits bekannten Gensequenzen verglichen. Glöckner:

    "Das ist eine ziemliche Stückelarbeit und auch sehr computeraufwändig, weil letztlich Referenzdatenbanken da sein müssen, gegen die man diese Informationen laufen lässt, und es ist immer noch ein ziemlicher Aufwand."

    Die Forscher fahnden nach Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten in den Gensequenzen – denn die geben Aufschluss über mögliche Verwandtschaftsbeziehungen. Weil die Umweltproben aber zum überwiegenden Teil unbekannte Mikroorganismen enthalten, stoßen die Forscher immer wieder auf völlig unbekannte Gene. Glöckner:

    "Das ist speziell in der Umwelt ein großes Problem, weil ich sag mal, im Durchschnitt ist 40 bis 50 Prozent der Gene, die wir finden, im Moment noch keine Funktion zuzuordnen. Wir wissen nicht, für was sie wirklich codieren."

    Auch wollen die Forscher des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie herausfinden, welche Gene die Mikroorganismen überhaupt benutzen. Glöckner:

    "Die Natur ist da sehr ökonomisch: Wenn ich auch 5000 Gene habe, schalte ich die nicht alle zum gleichen Zeitpunkt ein. Das wäre genauso, wenn Sie in die Küche gehen und Sie wollen jetzt einen Kuchen backen, dann brauchen Sie nicht alle Küchengeräte. Dann brauchen Sie nur den Mixer und den Herd, aber wahrscheinlich nicht die Saftpresse oder den elektrischen Dosenöffner."

    Welche Gene in den Zellen gerade benutzt werden, zeigt eine Analyse der RNA-Moleküle der Proben. Denn sie sind die Kopien, die beim Ablesen der aktiven Gene entstehen. Glöckner:

    "Was wir jetzt versuchen, ist, dass wir möglichst viel Information zusammenziehen, Informationen über den Standort, über die Temperatur, den Salzgehalt, wann diese Gene auftreten. Und dann ist die Idee: Wenn jetzt diese Gene zu bestimmten Umweltparametern eingeschaltet werden, dann sollten die ja auch irgendwas damit zu tun haben. "

    Drei Jahre lang wollen die Forscher beobachten, wie sich die Mikroorganismen vor Helgoland über das Jahr hinweg verändern – wie Wassertemperatur, Salzgehalt, Sauerstoffkonzentration und andere Umweltfaktoren die Gemeinschaft beeinflussen. Ihre Erkenntnisse sollen als Grundlage für weiterführende Prognosen dienen: zum Beispiel darüber, wie sich steigende Wassertemperaturen auf die bakterielle Gemeinschaft auswirken.

    Etwa zwei Autostunden entfernt von Wien liegt die Paulinenhöhle im bergigen Karstgestein. In der ehemaligen Schauhöhle herrscht das ganze Jahr die gleiche Temperatur von etwa sechs Grad Celsius.

    "Also hier hängt jetzt noch ein Vertreter der Fledermäuse, an der Decke, mitten im Gang. Da ist jetzt auch eine Höhlenspinne unterwegs, guckt mal, wahrscheinlich ist die blind. Seht Ihr das? Eine ganz kleine durchsichtige Höhlenspinne ohne Pigmente."

    "Oh ja!"

    Mit vorsichtigen Schritten tastet sich der Höhlenforscher Jens Achten durch den Gang des Stollens. An seinem Helm trägt er eine Karbidlampe, die mit offener Flamme brennt und die Wände der Höhle hell erleuchtet.

    "Is your lamp good enough Maria?"

    "Not really, but it is okay."

    Hinter ihm her klettern Professorin Christa Schleper vom Institut für Ökogenetik der Universität Wien und ihre Mitarbeiterin Maria Tourna. Auch sie mit Bauhelmen geschützt und Kopflampen ausgerüstet. Schleper:

    "Wir suchen nach Mikroorganismen, nach Biofilmen, nennt man das, also eine Anhäufung von Mikroorganismen, so was wie Bakterienschleim, und wir suchen speziell Mikroorganismen, die man Archaea nennt, und diese Archaea setzen normalerweise Stickstoffverbindungen um, und erst vor kurzem wurde entdeckt, unter anderem von uns, dass sie auch sehr gern in Höhlen vorkommen, und deswegen sind wir heute hier in der Paulinenhöhle."

    Archäen sind wie Bakterien einzellige Lebewesen ohne Zellkern. Und genau wie Bakterien können sie auf festem, feuchtem Untergrund schleimige Biofilme bilden. Schleper:

    "Archaea, die kennt man noch nicht so gut. Sie sind aber in großen Zahlen in bestimmten Höhlen gefunden worden und wir wollen schauen, wie weit sie verbreitet sind."

    Suchend lässt Christa Schleper ihren Blick über die Höhlenwand gleiten.

    "Das sieht auch sehr interessant aus hier, so wie kleine Flechtenspots auf dem Gestein, so ein schwarzer Untergrund und dann viele weiße Flecken, also es sieht sehr feucht aus, das ist auch eine tolle Stelle für Mikroorganismen. Mal gucken, ob ich das abkratzen kann. Oh ja, hier ist schon gut Biofilm drauf."

    Mit einem Metallspatel schabt sie graue Bakterienmasse ab und streift sie in ein steriles Plastikröhrchen.

    "Jetzt versuchen wir mal den pH-Wert zu bestimmen von dieser Probe, denn es gibt ja Hinweise auf spezielle Physiologie und unsere Archaea die mögen es auch gern sauer. "

    Archäen gelten als besonders urtümliche Mikroben. Viele Arten können in heißen Quellen wachsen, in Salzlaken oder auch in säurehaltiger Umgebung.

    "It looks sour, very sour!"

    "Yes! Interesting”"

    ""Archaeen wurden jetzt auch entdeckt in Raumfahrzeugen, die zum Mond fahren oder auf den Mars, und wo man untersucht hat, welche Bakterien oder Mikroorganismen wir womöglich auf andere Planeten bringen mit unseren Missionen, und auch da wurde sogar diese Archaeen gefunden in den Raumfahrzeugen, von denen man dachte dass sie steril sind."

    Der kleine Trupp kraxelt weiter ins Höhleninnere. Als sich der niedrige Gang der Höhle etwas öffnet, streifen die Lichtkegel der Kopflampen einen schwarzen Fleck auf dem Gestein. Schleper:

    "Ja, das ist toller Biofilm – so was such ich! Hier haben wir richtig gut Biomasse. Siehst du hier, ganz dicke fette schleimige Schicht. Und das ist auch so in dem Ton, wie wir schon vorher gesehen haben. Oh danke, so habe ich mehr Licht. Hier können wir eine große Probe nehmen."

    Der Biofilm ist nicht vom Gang aus zu erreichen. Deshalb klettert Höhlenforscher Jens Achten über einen großen Fels zu dem Fleck. Achten:

    "Jetzt ziehen wir hier mal so ein bisschen Biofilm ab, vielleicht noch ein bisschen mehr hier oben? Hier, das tiefschwarze, das sieht schön fies aus."

    Schleper:

    "So etwas kratzen wir in der anderen Höhle von Bad Gastein!"

    Achten:

    "Echt? So etwas kratz ich mir immer vom Anzug runter. Vielleicht solltest du dann immer meinen Anzug untersuchen."

    Schleper:

    "Ja."

    Jens Achten hat schon in mehreren Höhlen für Christa Schleper Proben genommen. Dank seiner Erfahrung und Ausrüstung kann er auch Proben von Biofilmen nehmen, die schwieriger zu erreichen sind. Achten:

    "Ich glaube, das reicht."

    Schleper:

    "Wie würdest Du das jetzt nennen hier, Jens, wie sollen wir diese Probe nennen?"

    Achten:

    "Also, wenn man sich diesen hübschen Tropfstein hier drüben anguckt, könnte man ja denken, das wären zwei große Ohren mit einem Rüssel dazwischen, also würde ich den Spot nennen: Elefantenstein."

    Schleper:

    "Elephant Stone."

    Maria Tourna:

    "Big elephant stone!"

    Montag Vormittag im Souterrain der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien. Hier leitet Christa Schleper das neugegründete Department für Ökogenetik. Die Höhlen-Proben vom Tag zuvor lagern jetzt in einem der vielen Eisschränke.

    "Es gibt natürlich sehr, sehr viele Mikroorganismen, die wichtigste Rollen spielen in den Zyklen von Kohlenstoff und Stickstoff auf der Erde, oder Phosphor oder Schwefel, also die spielen eine ganz essentielle Rolle. Also, die meisten Bakterien und Mikroorganismen sind Gute. Und wir wollen prinzipiell verstehen, was die Rolle der Mikroorganismen in der Umwelt ist. Dass es viele sind, das wissen wir, das haben wir in den vergangenen 20 Jahren durch molekularbiologische Techniken gelernt, und jetzt wollen wir wissen, welches sind die wichtigen Spieler, im Wechselspiel miteinander und bei den wichtigen Umsetzungen."

    Auch Christa Schleper und ihre Mitarbeiter nutzen die Methoden der Metagenomik, um Einblick in die verborgene Mikroben-Gemeinschaft zu bekommen. Schleper:

    "Das Interessante ist eben in der Mikrobiologie, dass wir die allermeisten dieser Mikroorganismen noch gar nicht kennen. Weil wir sie nicht kultivieren können - also dass wir sie aus der Umwelt holen, so wie das die ersten Mikrobiologen vor über 100 Jahren gemacht haben, dass wir sie isolieren und dann im Labor zu großen Mengen heranwachsen lassen, sodass wir sie vernünftig biochemisch, physiologisch analysieren können. Das können wir mit den meisten gar nicht und deswegen sind meistens so 99 Prozent noch ganz unbekannt. Und die wenigen Organismen, die also beschrieben sind, und die so in den Lehrbüchern stehen, von denen man denkt die sind also ganz wichtig, die sind eigentlich eine Minorität – das sind womöglich gar nicht die wichtigen ökologischen Spieler in der Umwelt. Und wenn man sich vorstellt: Wir schlucken Antibiotika, oder wir geben Hemmstoffe in die Umwelt, und wir denken, wir hemmen die richtigen Organismen, aber wir kennen sie noch gar nicht, das ist natürlich schlecht. Also, je mehr Wissen wir darüber haben, umso besser können wir uns einmischen – wenn wir das denn wollen."

    Besonders interessiert sich Christa Schleper für die Nitrifizierer. Diese Mikroorganismen leben im Boden und sind wichtig für die Landwirtschaft. Denn sie wandeln die Stickstoffverbindung Ammonium, die etwa in Gülle enthalten ist, zu Nitrit und Nitrat um.

    "Wenn man jetzt also das Maisfeld düngt, dann ist es wichtig, dass die Ammoniumoxidierer das Ammonium oxidieren, damit die Pflanzen das leichter aufnehmen können, weil das Nitrat kann besser von den Pflanzen aufgenommen werden. Wenn es dann aber ausgerechnet stark regnet, dann wird das ins Grundwasser gespült, das ist auch wieder nicht gut. Jetzt hat man also Hemmstoffe entwickelt gegen bestimmte Ammoniumoxidierer, von denen man dachte, dass das die wichtigen Organismen im Ackerboden sind. Und jetzt haben wir aber zum Beispiel festgestellt, dass es eine ganz andere Gruppe gibt von Archaea, die auch Ammonium oxidieren können. Und jetzt ist es schon sehr wichtig herauszubekommen: Wer sind denn eigentlich die Organismen, die wirklich zum Beispiel im Ackerbau eine Rolle spielen, um Ammonium zu oxidieren, um entsprechende Düngemittel oder Hemmstoff sinnvoll einzusetzen."

    Dass Archäen auch im ganz normalen Ackerboden vorkommen, ist eine recht neue Erkenntnis. Schleper:

    "Man dachte ja: die sind nur in heißen Quellen und an anderen verrückten Orten zu finden, ja da hat die Metagenomik sehr viel dazu beigetragen. Sowohl quantitativ, dass sie in großer Zahl vorkommen können, auch im Meerwasser, oder im Boden, und auch ihre Diversität haben wir dadurch gelernt."

    Archäen sind wie die Bakterien weit verbreitet und an die unterschiedlichsten Lebensbedingungen angepasst. Dies blieb jedoch lange unbemerkt, weil Archäen im Labor nicht überleben. Mit der Metagenomik lässt sich ihre Anwesenheit seit wenigen Jahren nachweisen.

    An der Durchfahrtsstraße des Ortes Zwingenberg an der Bergstraße erhebt sich ein weißgetünchtes Gebäude im Bauhaus-Stil – Firmensitz des Biotechnologie-Unternehmens Brain.

    "Wenn Sie auf Bakterien blicken, blicken Sie auf 3,5 Milliarden Jahre Evolution","

    sagt Jürgen Eck, Mitbegründer der Firma,

    ""in diesen 3,5 Milliarden Jahren haben sich die Bakterien jeglichen Lebensraum erschlossen, den Sie nur denken können: von kalt bis heiß, von wenigen Zuckersubstraten bis hin zu ganz merkwürdigen Substraten - Sie finden Organismen, die können mit nichts als CO2, also Kohlendioxid und etwas Schwefel leben. Also, ein Organismus, der aus CO2 und Schwefel jegliche Aminosäuren, jegliche Bausteine des Lebens synthetisieren kann, dann sehen Sie wie weit die Mikroorganismen der herkömmlichen Chemie einfach überlegen sind."

    Diese Fähigkeit der Mikroben nutzt die Brain AG, um umweltschonende Produktionsverfahren zu entwickeln – zum Beispiel für die Herstellung von Chemikalien. Eck:

    "Mit den Ressourcen der Natur basteln wir uns kleine Minifabriken, die dann in der Lage sind, zum Beispiel aufbauend auf Zucker Chemikalien herzustellen. Also kleine nanometergroße Minifabriken, die dann auch große Mengen herstellen können."

    Für ihre Umweltproben müssen die Mitarbeiter der Firma nicht weit gehen. Schon ein paar Handvoll Erde aus dem Boden des nahe gelegenen Weinberges enthalten Tausende, bislang nie beschriebene Mikroben. In einem Labor im Erdgeschoss lagern die Proben, die nach interessanten Enzymen durchsucht werden. Jürgen Eck geht zu eine Reihe mannshoher Tiefkühlschränke.

    "Wir stehen jetzt hier vor den Schatztruhen der Brain, das heißt, hier sind die ganzen Genbanken gelagert, die aus den nichtkultivierten Mikroorganismen erstellt werden und die uns als Quelle dienen für die Suche nach neuen Enzymen, um zum Beispiel neue Chemikalien herzustellen."

    Bei minus 80 Grad lagern hier unzählige Platten mit Hunderten von kleinen Löchern. Jedes der Löcher enthält einen Stamm von Laborbakterien, der jeweils ein Bruchstück DNA aus einer Umweltprobe aufgenommen hat. Die Genbank einer Bodenprobe enthält Millionen Bruchstücke von DNA. Denn in einem Gramm Erdboden tummeln sich schätzungsweise zwischen 8000 und 10.000 verschiedene Mikroorganismen. Die tragen wiederum jeweils Tausende Gene in sich, die Baupläne für Enzyme. Eck:

    "Das heißt, Sie haben allein in einem Kubikzentimeter Erdboden, den man hier aus dem Weinberg nehmen kann, 10.000 verschiedene Proteasen – also ein unglaubliches Potenzial an neuen Enzymen, neuen Synthesewegen, und das gilt es einfach zu heben mit diesen Technologien der Metagenomik."

    Den Heuhaufen unbekannter Gene müssen die Biotechnologen durchstöbern, wenn sie nach bestimmten Stoffen suchen. Eck:

    "Wir gehen zu unseren Gefrierschränken, nehmen diese Genbanken heraus und fahnden dann in gewissen Testsystemen nach den gewünschten Aktivitäten, nach den gesuchten Enzymen, zum Beispiel nach Enzymen mit Waschleistung oder Enzymen, die eine Synthese von Chemikalien eben zulassen."

    Und so haben die Biotechnologen bereits ein spezielles Wasch-Enzym aufgespürt: Es baut Eiweiße, die in den meisten Schmutzflecken enthalten sind, schon bei geringen Temperaturen ab. Neuartige Waschmittel, die dieses Enzym enthalten, stehen bereits in den Supermarktregalen. Auf ihrem Etikett werben sie mit guter Waschleistung schon bei 20 Grad. Ein anderes Projekt: Mit einem Gen aus einer Umweltprobe können Laborbakterien ein Enteisungsmittel herstellen. Man muss die Bakterien dafür nur mit Zucker füttern. Bisher wurde das Enteisungsmittel, das bei Flugzeugen eingesetzt wird oder im Wischwasser von Autos, chemisch auf der Basis von Erdöl produziert. Eck:

    "Es gelingt, Prozesse, zu etablieren mit der Nutzung von Enzymen, die weniger Abfall generieren, die bei niedrigen Temperaturen funktionieren, die weniger Energie verbrauchen, all das bietet dieses Potenzial die Vielfalt der Mikroorganismen. Und unser Konzept ist es, dieses Potenzial zu erschließen und für die Produktion bereitzustellen."

    Für ihre Arbeit ist die Brain AG mit dem Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ausgezeichnet worden. Jürgen Eck hat durch seine Arbeit eine regelrechte Hochachtung vor den Stoffwechselleistungen der Mikroorganismen entwickelt. Denn seiner Erfahrung nach gibt es eigentlich nichts, was Bakterien nicht können.

    "In der Tat ist es so, dass man normalerweise gewohnt ist, diese anthropozentrischen Stammbäume zu sehen: wo der Mensch ganz oben steht, und dann kommt irgendwann der Wurm und dann wird es schon langsam dumpf und doof, denkt man. Aber die wahre Synthesekreativität, die entdeckt man mitnichten nur in den Pflanzen, wo man ja schon soweit ist, dass man mit Sonnenlicht was produzieren kann; die wahre Diversität, die wahre synthetische Kreativität, die findet man in Mikroorganismen. Die Leistung, aus CO2 und etwas Schwefel alles mögliche synthetisieren zu können, auch Biopolymere bauen zu können, das können nur die Bakterien, und da sind wir nur reine Konsumenten, der Mensch ist da ein reiner Konsument, der nicht sehr kreativ ist in seiner Stoffwechselleistung."

    Vielfalt an Stoffwechselwegen kommt auch anderen Lebewesen zugute. So sind Termiten nur dank der Bakteriengemeinschaft in ihrem Darm in der Lage, sich von Holz zu ernähren. Genauso können Kühe nur aufgrund der Mikroflora im Pansen von Gras leben. Und auch der Mensch wäre ohne seine unsichtbaren Mitbewohner gar nicht lebensfähig, meint Mikrobiologin Christa Schleper.

    "Die Mikroorganismen im Darm sind wichtig, um uns zu schützen vor Pathogenen und sind aber auch ganz wichtig für die Essensverwertung, für den Abbau von Material, und auch synthetisieren sie Vitamine. Ohne die könnten wir gar nicht."

    Und die Metagenomik trägt immer stärker dazu bei, die unsichtbare Welt der Mikroorganismen zu erhellen. Ihre Ergebnisse könnten auf lange Sicht das Selbstbild der Menschen verändern. Christa Schleper:

    "Es gab eine Studie, da wurden also in großem Maßstab mit kurzen Sequenzanalysen die Diversität angeschaut von Mikroorganismen, und dabei ist rausgekommen, dass wir in unserem und an unserem Körper 100 Mal mehr Gene von Mikroorganismen tragen, als wir eigentlich selber in unserem menschlichen Genom haben. Wenn man so will, sind wir eigentlich mehr Mikrobe als Mensch. Ganz provokativ gesprochen."