Deutschland habe nach den USA die größte Einwanderung weltweit, sagte Spahn. Deshalb müsse man den Menschen besser erklären, dass wir Migranten brauchten - auch wegen des großen Fachkräftemangels. Nötig sei endlich eine breite gesellschaftliche Debatte über das Thema.
Dabei helfe aber kein Punktesystem, wie es die SPD fordere, so Spahn. Denn dieses lasse die Frage außer acht, ob der Einwanderer eine Stelle in Deutschland habe. Die Menschen, die hierher kämen, müssten aber zum Arbeitsmarkt passen. Es dürfe keine Entwicklung wie in Kanada geben, wo Ingenieure als Taxifahrer arbeiteten.
"Höchstqualifizierte als Bittsteller"
Nach Ansicht des CDU-Präsidiumsmitglied reicht es aus, die bestehenden Regeln und Bestimmungen zu verbessern. So müsse mehr darauf geachtet werden, in welchen Berufen es einen wirklichen Bedarf gebe. Dies treffe etwa für die IT-Branche zu, so Spahn. Nötig sei auch, die Integration der Zuwanderer zu erleichtern, etwa indem man mehr Kurse zum Erlernen der deutschen Sprache anbiete. Spahn sprach sich auch dafür aus, die Einwanderung attraktiver zu gestalten und die Konsulate zu Werbezentren für Deutschland zu machen. "Derzeit werden Höchstqualifizierte eher als Bittsteller behandelt."
Eine ungesteuerte Einwanderung durch den Missbrauch des Asylrechts müsse verhindert werden, betonte Spahn. Dies gelte derzeit vor allem für die Zuwanderung aus den Balkan-Staaten. Hier müsse konsequent abgeschoben werden. Man müsse den Menschen sagen: "Wer von euch qualifiziert ist, wer von euch kommen möchte, um eine Ausbildung in Deutschland zu machen, der hat auch legale Möglichkeiten zu kommen, geht doch lieber diesen Weg, bevor ihr den Schleusern und Schleppern Tausende von Euros hinterherwerft."
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hatte gestern ein Positionspapier für ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild präsentiert, um mehr Menschen aus Nicht-EU-Ländern für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Die Wirtschaft ist dafür. CSU und führende Politiker der CDU sehen keinen Bedarf für eine Neuregelung.
Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: Früher einmal stritten sich die Parteien darüber, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht. Das ist aber lange her. Es kommen viele Ausländer nach Deutschland und die meisten bleiben. Deutschland ist also ein Einwanderungsland und zu dem, findet die SPD, gehört jetzt auch ein Einwanderungsgesetz. Gestern hat Fraktionschef Thomas Oppermann die Details erläutert. Den Sozialdemokraten schwebt ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild vor. Bewerber würden dann nach Beruf, Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnissen eingestuft. Wer viele Punkte erzielt, hat Vorrang.
Über Einwanderungsgesetze und Punktesysteme möchte ich jetzt mit Jens Spahn von der CDU sprechen. Er ist Präsidiumsmitglied seiner Partei und Mitglied in der Gruppe "CDU 2017", in der sich junge Christdemokraten versammelt haben, die offenbar viel verändern möchten, zum Beispiel die Haltung ihrer Partei zum Einwanderungsgesetz. Die CDU-Spitze sagt ja nein dazu, oder wenigstens jetzt erst mal nicht. Die "CDU 2017" ist eher dafür. Guten Morgen, Jens Spahn!
Jens Spahn: Schönen guten Morgen, Frau Heuer.
Heuer: Volker Kauder, Ihr Fraktionsvorsitzender, hat gestern gesagt, die SPD macht ihre Sache und wir unsere. Machen Sie jetzt gemeinsame Sache mit der SPD, Herr Spahn, gegen die CDU?
Spahn: Nein. Wir machen eine breite Debatte auch in der CDU. Das wünschen sich viele Menschen, übrigens auch außerhalb der CDU vor Ort. Die spüren ja, Deutschland ist im Moment nach den USA das zweitbeliebteste Einwanderungsland der Welt. Wir hatten noch nie so viel Einwanderung brutto wie netto. Knapp 500.000 netto kommen jedes Jahr im Moment dazu, und darüber wollen die Menschen schon reden: Was heißt das für Deutschland, was heißt das für die Integration, wie verändert das unsere Gesellschaft? Und ich finde, wir müssen noch besser auch erklären, dass wir in einer älter werdenden Gesellschaft Zuwanderer brauchen. Wir haben heute schon einen großen Fachkräftemangel. Es geht übrigens nicht nur um Ingenieure. Viele Handwerksberufe suchen Nachwuchs und deswegen braucht es diese Debatte in der CDU, in der SPD, aber in der Gesellschaft insgesamt.
"Eine Willkommensoffensive machen"
Heuer: Und innerhalb der CDU, innerhalb Ihrer Partei ist es so, dass Kauder und Co. Sagen, wir brauchen kein Einwanderungsgesetz, und Sie sagen, doch, wir brauchen eins. Das ist ein klarer Gegensatz, Herr Spahn.
Spahn: Jetzt müssen wir einfach ein bisschen mal wieder runterzoomen, glaube ich, die Debatte in den Überschriften und mal gucken, worum geht es denn. Ich glaube, wir brauchen vor allem ein Einwanderungs-Transparenzgesetz oder eine Transparenzoffensive, dass wir mal besser erklären, welche Regelung gibt es heute schon, dass wir aus den Botschaften, aus den Konsulaten im Ausland wirkliche Werbezentren für Deutschland machen. Heute fühlen sich selbst Höchstqualifizierte oft eher als Bittsteller, wenn sie sagen, ich würde gerne meinen Weg in Deutschland machen, ich würde gern nach Deutschland kommen, obwohl wir sie hier brauchen. Ich kam gerade vor zwei Wochen aus Indien zurück. Da erfahren wir, dass Hunderte abgewiesen werden, die eigentlich Deutsch lernen wollen, um ihren Weg zu machen als Gutqualifizierte, und wir bringen denen nicht deutsch bei. Das ist doch schade, das ist doch Verschwendung, wenn es Menschen auf der Welt gibt, die sagen, ich will deutsche Sprache, deutsche Kultur lernen, und wir sagen, im Moment gibt es leider keinen Kurs dafür. Da eine wirkliche Transparenzoffensive, eine Willkommensoffensive zu machen, glaube ich, ist schon ein erster wichtiger Schritt. Und zum Zweiten muss man dann auch schauen, wo gibt es den Dissens. Die SPD will vor allem Arbeitskräfte. Das ist ja die ganze Argumentation.
Heuer: Sie nicht?
Spahn: Wir sagen, wir wollen auch Arbeitskräfte, aber nicht nur. Wir dürfen doch nicht den gleichen Fehler machen, den wir gemacht haben, als die Gastarbeiter kamen, zu denken, die meisten gehen irgendwann wieder. Es geht doch darum, dass nicht nur Arbeitskräfte kommen, sondern dass wir uns um Integration bemühen, dass wir auch einfordern, aber auch es attraktiv machen, sich mit Deutschland zu identifizieren, unsere Rechtsordnung anzuerkennen, Staatsbürger zu werden, und das ist ein Schritt mehr als nur Arbeitskräfte.
"Riesenbedarf im Bereich von IT-Fachleuten und Biotechnologen"
Heuer: Und das wollen Sie auch in ein Einwanderungsgesetz schreiben, Integrationsbemühungen, Werteverständnis von Zuwanderern und Ähnliches?
Spahn: Es geht ja zuerst nicht immer nur um ein Gesetz - wir sind da immer ganz schnell alle in der Technik -, sondern vor allem geht es um eine gesellschaftliche Debatte, um Verständnis, um eine geistige Haltung, mit der wir Einwanderung diskutieren und Einwanderung angehen.
Heuer: Herr Spahn, jetzt muss ich aber mal dazwischen gehen, denn da würden Ihre Parteikollegen, zum Beispiel der Bundesinnenminister sagen, das ist alles richtig, aber das geltende Recht reicht aus und wir brauchen kein neues Einwanderungsgesetz. Darum geht jetzt der Streit!
Spahn: Nein. Der Streit geht ja erst mal darum, ob man die bestehenden Regelungen verbessern kann. Ich glaube, ja, dass man etwa schaut, welche Einkommensgrenzen sind nötig, in welchen Berufen haben wir tatsächlich Bedarf. Wir haben Riesenbedarf auch im Bereich von IT-Fachleuten und Biotechnologen. Aber das sind ja am Ende Weiterentwicklungen des Bestehenden. Ich stimme dem Innenminister zu, wir haben heute schon deutlich bessere Regeln als viele wissen, als scheinbar auch viele im politischen Betrieb wissen. Umso wichtiger ist die Debatte, die führt ja auch zur Erkenntnis. Und natürlich muss man dann auch schauen, wie kann man Integration verbessern, wie können wir mehr Sprachkurse, Integrationskurse anbieten, wie kann man übrigens auch Einbürgerungsfeiern anders gestalten, dass tatsächlich da was Feierliches ist, dass deutlich wird, es ist was Schönes, was Besonderes, dann auch Deutscher zu werden. Deswegen komme ich immer wieder dahin zurück: Die Debatte für das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt wie Deutschland, das über Jahrzehnte kein Einwanderungsland sein wollte, diese Debatte ist dringend mal nötig.
"Wer in Kanada keinen Job findet, der schläft unter der Brücke"
Heuer: Und ich komme jetzt immer wieder zurück auf das Gesetz, über das wir reden. Sind Sie für ein Punktesystem wie die SPD?
Spahn: Nein. Ein Punktesystem, wie Kanada es ja erfunden hat, heißt, ich muss bestimmte Kriterien erfüllen und dann kann ich nach Deutschland kommen, egal ob ich einen Arbeitsplatz habe oder nicht. Das wird zurecht auch vom Innenminister kritisiert. Es muss schon dazugehören, dass man hier auch eine berufliche Perspektive hat, oder zumindest nur einen begrenzten Zeitraum sich auch hier einen Job zu suchen als Hochqualifizierter. Es kann nicht sein, dass ich bestimmte Kriterien erfülle, dann hier bin und nachher als Ingenieur Taxi fahre. Das ist nämlich das, was Kanada erlebt. Und unser großer Unterschied zu Kanada und den USA ist: Wir haben ein Sozialsystem mit hohen Sozialleistungen. Wer in Kanada keinen Job findet, der schläft unter der Brücke! Da wollen wir aber nicht hin. Wir haben da gute Sozialleistungen. Umso wichtiger ist schon, dass wir schauen, dass die Menschen, die kommen, auch in den Arbeitsmarkt passen. Und wir sind auch ein bisschen anders gelagert als Kanada. Kanada ist umgeben von Meer und den USA nach Süden. Wir sind mitten in Europa. Wir sind umgeben von Ländern, wo viele, viele Menschen leben. Wir haben eine ganz, ganz andere Situation als Kanada und deswegen finde ich immer diesen Vergleich, diese Fixierung auf Kanada ziemlich falsch.
Heuer: Sie sind gegen eine Einwanderung in die Sozialsysteme. Wer muss denn dann künftig draußen bleiben, Herr Spahn?
Spahn: Wir haben im Moment ja eigentlich - und das treibt die Menschen ja um - ungesteuerte Zuwanderung insbesondere über den Missbrauch des Asylrechts. Es kommen im Moment viele, viele Menschen, etwa aus dem Balkan, aus dem ehemaligen Jugoslawien, die zu über 99 Prozent, obwohl sie einen Asylantrag stellen, kein Asyl bekommen, weil sie als Armutsflüchtlinge kommen, nicht, weil sie vor politischer Verfolgung oder Krieg fliehen, und da müssen wir jetzt schon schauen, wie gehen wir damit um, wie zeigen wir auch, dass wir keine Zuwanderung in die Sozialsysteme wollen. Heißt also, dass man da, wo abgelehnt wurde, wo derjenige ausreisepflichtig ist, auch konsequent sagt, Du musst zurück, und gleichzeitig in diesen Ländern deutlicher macht: Wer von euch qualifiziert ist, wer von euch kommen möchte, um eine Ausbildung in Deutschland zu machen, der hat auch legale Möglichkeiten zu kommen, geht doch lieber diesen Weg, bevor ihr den Schleusern und Schleppern Tausende von Euros hinterherwerft.
"Ich finde eine Perspektive, die den Soli absenkt, durchaus eine gute"
Heuer: Und die Nichtqualifizierten bleiben dann draußen?
Spahn: Die Nichtqualifizierten, die nicht Flüchtlinge sind, die nicht vor Krieg fliehen, bleiben dann draußen. Wir können ja nicht am Ende in Deutschland die Probleme, die es gibt mit Armut, die es gibt mit sozialer Ungleichheit, lösen, indem wir sagen, jetzt können alle nach Deutschland zuwandern. Wir sehen doch, dass das auch Akzeptanz kaputt macht. Wir sehen doch, wie die Städte jetzt schon überfordert sind, für alle Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, eine Perspektive zu bieten, und ich finde, wenn wir Akzeptanz wollen für die, die wirklich Hilfe brauchen, dann müssen wir schon auch sagen, dass nicht jeder in Deutschland bleiben kann.
Heuer: Herr Spahn, kurz zum Schluss ein anderes Thema. Wir hören heute, die Union ist dafür, den Soli abzusenken. Sind Sie auch dafür?
Spahn: Man muss sich jetzt grundsätzlich die Vorschläge, die heute Morgen öffentlich geworden sind, anschauen. Aber ich kenne viele Kollegen, die schon in den 90er-Jahren im Bundestag waren, die sagen, wir haben damals den Deutschen hoch und heilig versprochen, der Soli, der bleibt nur vorübergehend, der wird irgendwann wieder abgeschafft, wenn die deutsche Einheit ein ganzes Stück weiter ist, wenn wir geholfen haben, wieder aufzubauen. Ich glaube, jetzt ist bald die Zeit soweit, und deswegen finde ich eine Perspektive, die den Soli absenkt, durchaus eine gute.
Heuer: Jens Spahn, Mitglied im CDU-Präsidium. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.