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Einwanderung sichtbar machen

In Berliner Stadtteilen wie Neukölln oder Kreuzberg stammen zwei Drittel aller Menschen unter 18 Jahren aus Einwandererfamilien. Grund genug für ein Netzwerk aus Migranten, Architekten, Studenten und Stadtforschern, eine "Route der Migration" zu inszenieren.

Von Mandy Schielke |
    Wie ein Raumschiff steht er dort mitten auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg. Ein knallroter, ausrangierter Schiffscontainer. Einer von vier in der ganzen Stadt. Drinnen hängen Fotografien von türkischen Arbeitsmigranten aus den 70er- und 80er-Jahren, die in einem Fotoatelier gleich um die Ecke in der Adalbertstraße aufgenommen wurden. Mp3-Player spielen Tondokumente ab, Erzählungen der ersten türkischen Gastarbeiter, die vor 50 Jahren nach Berlin gekommen sind.

    "Zu 90 haben wir im Wohnheim gewohnt, in der Stresemannstraße, alles Frauen zwischen 18 und 26 Jahren, alles Montiererinnen bei Telefunken 2,38 Mark war unser Stundenlohn."

    1961 lebten in Berlin 150 türkischstämmige Menschen, heute sind es 1000 Mal so viele. Der Stadtteil Kreuzberg ist zum Synonym und auch zum Klischee geworden für die Einwanderungsstadt Berlin. Die Architektin Cagla Ilk ist vor acht Jahren von Istanbul nach Berlin gezogen. Sie ist Mitglied des Netzwerkes, das die Route der Migration inszeniert hat, für nicht mehr als ein Taschengeld.

    "Städte sind von Migration geprägt. Und das muss man im Stadtbild auch sehen. Wir sehen das in Theaterstücken, wir hören davon in Konferenzen, wir lesen dazu. Aber im öffentlichen Raum? Im öffentlichen Raum stößt man kaum auf etwas, dass mit Migration zu tun hat."

    Der türkische oder vietnamesische Gemüsehändler ist in Berlin zum Sinnbild für Migration geworden, doch das ist zu einfach und oberflächlich, sagt Cagla Ilk. Museen beschäftigen sich mit dem Massenphänomen Migration und seiner Vielschichtigkeit wenn nur am Rande. Dabei ist Berlin nicht erst seit dem Anwerberabkommen mit der Türkei vor 50 Jahren von Einwanderern geprägt, sagt Martin Düspohl, Leiter des Kreuzberg Museums und ebenfalls Mitglied des Netzwerks Route der Migration:

    "Diese Wiese auf der wir jetzt stehen hat historische Bedeutung, obwohl man es ihr nicht ansieht, denn auf dieser Wiese haben vor knapp 300 Jahren böhmische Protestanten kampiert und zwar monatelang. Sie warteten am Halleschen Tor, das ja das Stadttor gewesen ist auf Einlass nach Berlin, um sich da eine neue Existenz aufzubauen."

    Martin Düspohl steht vor der zweiten rot lackierten Erinnerungsbox am Halleschen Tor. Migrationsgeschichten verdichten sich an diesem Ort. Denn nicht nur vor 300 Jahren, sondern auch in den 1970er-Jahren bildeten sich hier lange Schlangen. In einem Flachbau war das Büro für Besuchs- und Reiseangelegenheiten der DDR untergebracht und wer nach Ostberlin einreisen wollte, musste sich hier am Halleschen Tor einen Berechtigungsschein abholen.

    "Aber man hat dann auch nach dem Ende der DDR immer neue Verwendungs-möglichkeiten gefunden. Das war dann zunächst einmal die Anlaufstelle für jugoslawische, bosnische Kriegsflüchtlinge."

    Auf der Route der Migration soll man sich durch die Großstadt bewegen - von einem Container zum anderen. Das Flanieren, das Sightseeing als typische urbane Praktik wird aufgenommen. Doch gelangt man hier zunächst einmal an unspektakuläre Orte, die Touristen normalerweise gar nicht beachten. Die Container schreiben der Stadt Geschichte ein, sagt Cagla Ilk, die das Projekt mit konzipiert hat:

    "Sie sind nicht ganz nagelneu, die Container. Wir haben verbrauchte Container benutzt und man sieht immer noch diese Transportspuren und das ist ein Teil des Konzepts, dass Migration ohne Schmerzen und Wunden nicht erlebbar ist."

    Migration ist kein Randphänomen. Das sollen die knallroten Container den Berlinern wie Stolpersteine verdeutlichen. Aber auch wenn sie in einem Monat verschwunden sein werden, soll die urbane Erzählung weitergehen. Zunächst virtuell, aber vielleicht - so hoffen die Ausstellungsmacher - wird es irgendwann in der Stadt auch dauerhaft einen Ort geben, der Migrationgeschichten erzählt.

    "Einwanderung. Seit die Menschheit existiert, gibt es ja Einwanderung. Das wird nie ein Ende haben."