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Einwanderung und Pflegeberufe
"Würden uns sehr freuen, wenn wir qualifizierte Personen bekämen"

Wenn Asylsuchende oder Flüchtlinge, die bereits über eine Ausbildung in der Pflege verfügten, integriert werden könnten, wäre das gut, sagte Christel Bienstein vom Berufsverband für Pflegeberufe im Dlf. Die vorgeschlagenen Eckpunkte für ein Einwanderungsgesetz seien dazu ein Schritt in die richtige Richtung.

Christel Bienstein im Gespräch mit Peter Sawicki |
    Zwei Pflegerinnen bereiten ein frisches Bett vor
    Krankenpflegerinnen bei der Arbeit (dpa/Britta Pedersen)
    Peter Sawicki: Horst Seehofer, der Bundesinnenminister, hat zuletzt ja viel Prügel bezogen für seine Asylpolitik. Jetzt hat er aber auf einem anderen Gebiet die Initiative ergriffen und erste Eckpunkte für ein Einwanderungsgesetz vorgestellt. Die Detailarbeit kommt noch im Lauf der Zeit, der nächsten Monate, aber schon jetzt ist klar, dass künftig gezielt Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden sollen und das zum ersten Mal im Rahmen eben eines solchen Gesetzes. Einen großen Bedarf meldet dabei der Pflegesektor an, der händeringend nach Arbeitskräften sucht. Helfen die jetzt vorgestellten Eckpunkte dahingehend? Das fragen wir jetzt Christel Bienstein. Sie ist Vorsitzende des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe. Guten Morgen, Frau Bienstein!
    Christel Bienstein: Guten Morgen, Herr Sawicki!
    Sawicki: Hat Horst Seehofer geliefert?
    Bienstein: Er hat zumindest einen Schritt in die Richtung gemacht, die viele Menschen, glaube ich, unterstützen werden, vor allen Dingen diejenigen, die bereits hier bei uns im Land sind und einen Flüchtlingshintergrund haben.
    Sawicki: Lassen Sie uns darüber gleich noch mal sprechen. Was das Thema Einwanderung und qualifizierte Einwanderung angeht, Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland – ist Deutschland da auf dem richtigen Weg?
    Wichtig ist eine Clearing-Stelle für Berufsabschlüsse
    Bienstein: Was sicherlich wichtig ist, es sind einige Punkte festgeschrieben worden, die vor allen Dingen die berufliche Qualifikation, die Sprache, das ist sicherlich richtig, und auch, dass diejenigen, die bereits hier sind und sich in Ausbildung befinden, ein Bleiberecht erhalten müssen.
    Sawicki: Sagen Sie mal konkret, was finden Sie gut an den Vorschlägen von Horst Seehofer?
    Bienstein: Sehr gut finde ich natürlich, dass die sprachliche Qualifikation gefordert wird, eine berufliche Qualifikation, die schon vorliegt und die auch geprüft werden soll. Was sicherlich auch sehr hilfreich ist, dass eine Clearing-Stelle eingerichtet werden soll, die zentral Berufsabschlüsse prüft, weil jetzt ist das sehr verteilt in ganz Deutschland. Teilweise machen das die Regierungsbezirke, teilweise wird das in den verschiedenen Ministerien gemacht. Und es gibt dort keine klaren Kriterien, die man im Vorfeld abrufen kann, um zu sagen, ich bin qualifiziert, um auch wirklich in Deutschland diese Arbeit ausführen zu können.
    Sawicki: Sind Sie auch zuversichtlich, dass diese zentrale Stelle dann in Zukunft effektiv genug, schnell genug arbeitet?
    Brauchen 50.000 bis 150.000 Pflegekräfte in den nächsten Jahren
    Bienstein: Sicherlich schneller, als es jetzt der Fall war. Es wurde schon seit vielen Jahren darüber gesprochen, dass in Koblenz eine zentrale Stelle eingerichtet werden sollte, was nie erfolgt ist. Und von daher sind auch viele Arbeitgeber völlig verunsichert, gerade die Kliniken, wenn sie jemanden einstellen und nicht genau wissen, ist derjenige wirklich, kommt er mit dieser beruflichen Qualifikation, die wir auch hier brauchen.
    Sawicki: Dann schauen wir mal auf den Bereich Pflege und das Thema Einwanderung, Einwanderungsgesetz. Inwieweit würde es dem Pflegesektor helfen?
    Bienstein: Sobald beruflich Qualifizierte zu uns kommen, würden wir das sehr begrüßen, das muss man wirklich sagen. Wir haben gute Erfahrungen mit Personen, die bereits hier im Land auch sind oder die eben im Ausland eine umfängliche berufliche Qualifikation erworben haben. Wir freuen uns über jeden, der auch freiwillig zu uns kommt und wirklich sich bereit erklärt, in unserem Sozialsystem wirklich mitzuwirken und auch qualifiziert mitzuwirken.
    Sawicki: Wie groß ist denn der Bedarf in Zahlen, ausländische Fachkräfte im Pflegebereich nach Deutschland zu holen?
    Bienstein: Wie viel ausländische Fachkräfte wir holen müssen, das steht sicherlich nicht fest. Aber wir wissen, dass wir natürlich einen umfänglichen Bedarf haben. Es geht um unterschiedliche Zahlen. Wir haben dazu keine klaren Aussagen. Es geht von 50.000 Pflegefachpersonen aus bis zu 150.000, die wir in den nächsten Jahren benötigen würden. Und von daher ist es natürlich sehr schön, wenn jetzt Asylsuchende oder Flüchtlinge, die bereits über eine solche Ausbildung, also Pflegefachperson, verfügen, bei uns integriert werden können. Das erfolgt ja auch in vielen Kliniken bereits, teilweise sogar mit ganz speziellen Programmen, und auch in Altenpflegeeinrichtungen gibt man sich eine ganz große Mühe.
    Sawicki: Trotzdem haben Studien in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, dass sehr wenige Einrichtungen tatsächlich direkt, wie Sie gerade geschildert haben, Personal im Ausland angeworben haben. Müssen sich da die Pflegeeinrichtungen, die Arbeitgeber da nicht zum Teil den Schuh selbst anziehen, dass sie unter Fachkräftemangel leiden?
    "Wir müssen im eigenen Land wesentlich mehr ausbilden"
    Bienstein: Nein, das würde ich nicht so sehen. Erst mal gibt es von der WHO einen Kodex, der natürlich auch darauf hinweist, dass wir gegenseitig uns keine Fachkräfte abwerben, vor allen Dingen aus Ländern, wo bereits ein Mangel besteht. Das ist zum Beispiel in Polen so, das ist natürlich in vielen anderen osteuropäischen Ländern so, dass dort auch ein Pflegemangel besteht und man sich verpflichtet hat, nicht dort auch noch versucht, Personen abzugreifen, damit dort der Pflegemangel im Grunde erhöht wird. Wir müssen im eigenen Land wesentlich mehr ausbilden, und wir haben natürlich auch viele Ausgebildete, die aber in Teilzeit arbeiten. 50 Prozent der Kolleginnen und Kollegen, die in Kliniken arbeiten, arbeiten in Teilzeit, und 70 Prozent, die in der Altenpflege arbeiten. Das ist die höchste Teilzeitquote, die wir in sonst kaum einer anderen Branche in Deutschland haben. Das hat vor allen Dingen mit den Arbeitsbedingungen zu tun. Es sind viel zu wenige Pflegende, die auch finanziert werden über die Krankenkassen, in den Krankenhäusern, das heißt, in der Nacht sind sie mit 28 Patienten allein, im Altenheim sogar im Durchschnitt mit 52 Bewohnern alleine. Und das ermutigt natürlich nicht, seine Arbeitszeit wieder aufzustocken, sondern viele Kollegen arbeiten in anderen Jobs nebenher.
    Sawicki: Wieso sollten diese Arbeitsbedingungen dann attraktiv sein für ausländische Kräfte, nach Deutschland zu kommen?
    Bienstein: Die sind sicherlich attraktiv, weil die Vergütung hier in Deutschland günstiger und besser ist, als es sicherlich im Ausland ist, vor allen Dingen bei denjenigen, die aus Flüchtlingsländern kommen. Aber wir haben dort nicht genügend ausgebildete Pflegende, die nach Deutschland kommen, um diese zu integrieren. Wir müssen natürlich gucken, wo finden wir jemanden, der jetzt bereits schon hier im Land ist und gut integriert werden könnte. Wir haben ja die Situation, dass es sogar passiert ist, dass gerade in einigen Altenpflegeeinrichtungen Personen, die sich bereits in der Altenpflegeausbildung befanden, wieder ausgewiesen wurden, weil eben gesagt wurde, sie hätten kein Aufenthaltsrecht. Und das ist natürlich ein Drama, wenn jemand schon die Sprache beherrscht, inzwischen sich in der Ausbildung befindet und sehr gut mitarbeiten kann und auch eine Zukunft besteht, dass sie die Ausbildung erfolgreich abschließt.
    Sawicki: Ja, dann gehen wir doch mal rüber zu dem anderen Thema, zum sogenannten Spurwechsel, den Sie jetzt angesprochen haben. Man kann davon ausgehen, wenn man Ihnen so zuhört, dass Sie ihn befürworten würden?
    "Nicht jeder, der in der Pflege arbeitet, ist hoch motiviert"
    Bienstein: Wir würden uns sehr freuen, wenn es zu ganz konkreten Maßnahmen kommt. Was wir uns nicht wünschen, und das sieht ja dieses Gesetz auch vor, dass es nicht nur um beruflich Qualifizierte geht, sondern dass man auch Personen im Grunde animieren will, in die Pflege zu kommen, die über keine berufliche Qualifikation verfügen, sondern nur über berufspraktische Erfahrungen. Das wäre eine furchtbare Belastung der Kollegen, die zurzeit die Verantwortung in den verschiedenen Einrichtungen haben, weil sie gar nicht mehr sicherstellen können, dass genügend Begleitung erfolgen kann. Und wir brauchen natürlich Personen, die bereit sind, auch die theoretische Ausbildung zu belegen und zu durchlaufen.
    Sawicki: Sind so viele Menschen tatsächlich Asylbewerber, deren Zukunft vielleicht ungeklärt ist, bereit, in der Pflege zu arbeiten, also wirklich auch motiviert im engeren Sinn?
    Bienstein: Darüber haben wir nicht genügend Zahlen, aber es sind sicherlich Personen bereit, bei uns die Ausbildung in Deutschland zu machen, und das sollte man auch wirklich nutzen.
    Sawicki: Wie kann man denn da sicherstellen, dass dann auch wirklich die richtige Motivation dahinter ist und es nicht nur, um das vielleicht ein bisschen zynisch zu formulieren, nur ein Ausweg gesucht wird, um in Deutschland zu bleiben?
    Bienstein: Da muss man ja ganz ehrlich sein: Nicht jeder, der in der Pflege arbeitet, ist hoch motiviert. Und das kann man jetzt den ausländischen Kollegen nicht unterstellen, dass sie nur, um ein Bleiberecht hier in Deutschland zu erreichen, in die Pflege gehen. Dazu gibt es viele andere Möglichkeiten, in welche Berufe man wechseln könnte oder in welchen Berufen man sich ausbilden lassen wollte.
    Sawicki: Aber das sind ja genau die Sachen, das sind ja die eventuellen Gefahren, auf die ja die CDU zum Teil hinweist, dass ein Spurwechsel eben falsche Anreize setzen würde.
    Bienstein: Wir würden uns sehr freuen, wenn wir qualifizierte Personen bekämen. Man muss jetzt allerdings wissen, dieses Gesetz zielt ja vor allen Dingen auf beruflich Qualifizierte ohne Hochschulabschluss ab. Und natürlich, in vielen europäischen Ländern, auch außereuropäischen Ländern verfügen die Pflegenden über einen Hochschulabschluss. Das ist in Deutschland ja noch nicht der Fall, sondern wir sind ja erst gerade zu Beginn auf dem Weg. Und natürlich muss man bei der Auswahl der Personen, die in die Pflege gehen möchten, genau das gleiche Aufnahmeverfahren durchlaufen lassen, wie es eben auch für deutsche Bewerber der Fall ist.
    Sawicki: Also kurz noch mal zusammengefasst: Ist man auf einem richtigen Weg?
    Bienstein: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung.
    Sawicki: Vielen Dank! Sagt Christel Bienstein, die Vorsitzende des Deutschen Bundesverbands für Pflegeberufe. Ihnen ein schönes Wochenende!
    Bienstein: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.