Zugegebenermaßen sei die Rechtsmaterie kompliziert, betonte Bosbach. Gegen eine Vereinfachung habe er nichts. Erfahrungsgemäß endeten zuwanderungspolitische Debatten aber mit einer Ausweitung der bestehenden Regelungen. Angesichts der bereits erreichten Kapazitätsgrenzen der Kommunen sehe er keinen weiteren Spielraum.
Schon jetzt habe man ausreichende Regelungen zur Zuwanderung aus humanitären Gründen und Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt. Von einer Abschottungspolitik könne keinesfalls gesprochen werden, verwahrte sich Bosbach. Nach den USA sei Deutschland mittlerweile das zweitgrößte Zuwanderungsland.
Der als Argument immer wieder angeführte Fachkräftemangel könne mit den bestehenden Regelungen schon aufgefangen werden. "Es gibt bereits 70 Beschäftigungsgruppen ohne Vorrangprüfung", betonte Bosbach. Vergessen dürfe man bei der ganzen Diskussion aber auch nicht, dass nur noch 20 Prozent der Betriebe in Deutschland ausbildeten. Auch an dieser Stellschraube müsse gearbeitet werden.
Zu einem möglicherweise von der Kanzlerin angestrebten Einwanderungsgesetz könne er erst etwas sagen,wenn "wenigstens Eckpunkte eines Gesetzes vorliegen". Mit Blick auf seine kritische Haltung gegenüber CDU-Positionen sagte Bosbach: "Ich kämpfe für meine politische Überzeugung. Die war lange Jahre auch die der CDU. Wenn die sich jetzt ändert, dann muss ich sie nicht ändern."
Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: Dem Mann, den wir jetzt interviewen, haben Sie in den letzten Monaten bestimmt besonders oft zugehört, allerdings ging es dabei um ein anderes Thema. Als entschlossenen Kritiker neuer Hilfspakete für Griechenland haben wir Wolfgang Bosbach heute nicht eingeladen, sondern in der Funktion, die er nun bald aus Protest gegen die Griechenlandpolitik der Bundesregierung niederlegt, in seiner Funktion nämlich als Vorsitzender im Innenausschuss des Bundestags. Wir möchten mit dem CDU-Politiker über das deutsche Einwanderungsgesetz sprechen, ein Thema, das sozusagen die andere Seite der Flüchtlingspolitik ist oder sein könnte. Guten Morgen, Wolfgang Bosbach!
Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Heuer!
Heuer: Ist die Kanzlerin, wie jetzt manchmal zu hören ist, neuerdings wirklich für ein Einwanderungsgesetz, das in Ihrer Partei ja sehr umstritten ist?
Bosbach: Das ist eine gute Frage, aber die wird man erst dann abschließend beantworten können, wenn man weiß, was in einem neuen Gesetz eigentlich inhaltlich drinstehen soll. Es wird ja gelegentlich der Eindruck erweckt, als hätten wir in Deutschland eine völlig ungeregelte Zuwanderung, die jetzt dringend geregelt werden müsste. Im gleichen Atemzug wird behauptet, das jetzige Recht enthalte viel zu viele und viel zu komplizierte Regelungen. Also das ist ein offenkundiger Widerspruch. Deswegen wäre ich dankbar, wenn diejenigen, die für ein Einwanderungsgesetz plädieren, einmal konkret mitteilen würden, wodurch sich denn der Inhalt dieses Gesetzes vom jetzigen Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung unterscheiden soll.
"Entscheidend ist doch, was ein Gesetz regelt"
Heuer: Da ich Sie gefragt hatte, ob es stimmt, dass die Kanzlerin dafür ist, ist das jetzt ein Appell an Angela Merkel von Ihnen?
Bosbach: Das ist ein Appell an diejenigen, wie zum Beispiel Generalsekretär oder Armin Laschet, die der Auffassung sind, Deutschland braucht dringend ein Einwanderungsgesetz, und damit den Eindruck erwecken, als gäbe es das Gesetz zur Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung nach Deutschland nicht. Entscheidend ist doch nicht, wie man ein Gesetz nennt, sondern was ein Gesetz regelt. Mich würde zum Beispiel die Frage interessieren, wer soll zukünftig nach Deutschland einreisen und hier arbeiten können, wem dies nach geltender Rechtslage nicht möglich ist.
"Es gibt weitaus kompliziertere Rechtsmaterien"
Heuer: Carsten Linnemann, wie Sie Christdemokrat im Bundestag, Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung, der würde Ihnen jetzt antworten auf die Frage, was soll denn dieses neue Gesetz, da würde der wahrscheinlich sagen, mit dem neuen Gesetz könnte das unübersichtliche Sammelsurium beendet werden, das wir im Moment haben.
Bosbach: Es ist richtig, die Rechtsmaterie ist kompliziert, weil es auch immer wieder Veränderungen gegeben hat, sowohl im Gesetz selber, in der Regel als Folge der europäischen Rechtsentwicklung oder aber in Verordnungen, da geht es insbesondere um die Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen auf den deutschen Arbeitsmarkt. Also wenn man sagt, wir wollen ein kompliziertes Gesetz einfacher machen, da kann ich nur sagen, das ist ein gutes Ziel. Aber dabei wird es nicht bleiben, denn alle zuwanderungspolitischen Debatten, die ich in den letzten Jahren erlebt habe, endeten damit, dass entweder vorhandene Zuwanderungstatbestände ausgeweitet worden sind oder dass neue geschaffen worden sind. Im Übrigen, wenn es um ein einfaches Recht geht – es gibt Rechtsmaterien, die viel komplizierter sind, das Steuerrecht, das Sozialrecht –, warum setzt man nicht dort an?
"Zuwanderung ohne Vorrangprüfung schon jetzt möglich"
Heuer: Sie sind dagegen, Zuwanderung auszuweiten, andererseits sucht die deutsche Wirtschaft händeringend nach guten Arbeitskräften und würde sich über ein Einwanderungsgesetz freuen.
Bosbach: Weil die geltende Rechtslage weitestgehend unbekannt ist. Ich sitze vor einem Kommentar der "Kölnischen Rundschau" von heute, wo plädiert wird für ein Gesetz mit Hinblick auf Mangelberufe wie den Pflegesektor. Das ist die geltende Rechtslage. Wir haben 70 Beschäftigtengruppen in Deutschland, wo die Zuwanderung ohne Vorrangprüfung schon jetzt möglich ist, insbesondere in Gesundheits- und Pflegeberufen, aber auch in den Bereichen Mechatronik und Elektronik. Das geltende Recht ist viel besser als sein Ruf. Und denken Sie mal daran, dass 90 Prozent aller europäischen Blue Cards für Deutschland vergeben werden, die anderen zehn Prozent für die anderen 27 Mitgliedsländer der EU.
"Kanada hat sich von Punktesystem längst getrennt"
Heuer: Aber Sie sagen es, es ist alles sehr unübersichtlich. Warum nicht ein Einwanderungsgesetz aus einem Guss, das ganz klar signalisiert, den Menschen, die wir suchen: Ihr seid willkommen, wir suchen euch aus, zum Beispiel – das wäre dann neu – nach einem Punkte- und Quotensystem. Was spricht denn dagegen, Herr Bosbach?
Bosbach: Dagegen sprechen die Erfahrungen, die man mit einem Punktesystem gesammelt hat. Kanada hatte über lange Zeit ein Punktesystem und galt als Vorbild. Das Punktesystem basierte auf der Zuwanderung aus demografischen Gründen zur Erhöhung des Arbeitskräftepotenzials ohne Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzes. Von diesem System hat sich Kanada längst getrennt, weil Kanada die Erfahrung gemacht hat, dass Personen, die nach dieser Rechtsgrundlage eingereist sind, nach Kanada und auf den dortigen Arbeitsmarkt, überdurchschnittlich arbeitslos sind. Das wäre dann ein klassischer Konfliktpunkt. Jawohl, ich bin tatsächlich der Überzeugung – und mit mir übrigens die gesamte Innenarbeitsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wir wollten den Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Nachweis eines Arbeitsplatzes nicht aufgeben, und das hat mit Abschottungspolitik überhaupt nichts zu tun. Wir haben weltweit die zweitgrößte Zuwanderung hinter den USA.
Fachkräftemangel auch anders bekämpfen
Heuer: Ja, aber wer kann schon einen Arbeitsplatz nachweisen, wenn er aus Delhi zum Beispiel kommt? Warum machen Sie es denn den Menschen so schwer, von denen – ich sag das noch mal – die Wirtschaft ja sagt, wir brauchen diese Menschen, auch zur Ausbildung möglicherweise in Deutschland. Jedenfalls brauchen wir sie, weil die Deutschen immer weniger werden.
Bosbach: Ich habe doch gerade gesagt, wir haben 70 Beschäftigtengruppen, wo ohne Vorrangprüfung eingewandert werden kann. 70 Beschäftigtengruppen, dazu gibt es noch Beschäftigtengruppen mit Vorrangprüfung. Wir haben auch in Deutschland drei Millionen Arbeitslose, und mir jedenfalls kann keiner erzählen, dass sich darunter überhaupt keine Fachkräfte befindet. Nehmen Sie mal ein anderes Beispiel: Zehntausende junge Menschen in Deutschland mit Abitur können nicht Medizin studieren, weil es einen sehr strengen Numerus clausus gibt. Denen verbauen wir den Weg zu ihrem Wunschstudium. Gleichzeitig sagen wir, wir brauchen aber mehr Drittstaatsangehörige für die medizinischen Berufe, da werben wir um Einwanderung aus Drittstaaten. Nur noch 21 Prozent der Betriebe in Deutschland bilden aus – also hier geht es nicht um akademische Ausbildung. Man kann doch nicht nicht ausbilden und anschließend Fachkräftemangel beklagen. Ich empfehle einen Blick auf die Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit, Dezember 2014, da wird unter anderem festgestellt, es gäbe keinen flächendeckenden Fachkräftemangel in Deutschland, wohl Engpässe in bestimmten Berufsfeldern, und dazu gehören die, die ich gerade erwähnt habe.
Heuer: Herr Bosbach, ich probier's jetzt noch mal mit einem anderen Argument, einem eher strukturellen: Wir erleben gerade einen Flüchtlingsstrom, wir haben im Beitrag vor dem Interview mit Ihnen gerade gehört, dass die wirtschaftliche Lage auf dem Balkan viele Menschen von dort zu uns treibt. Sie könnten doch, wenn Sie sagen, für diese Menschen ist das Einwanderungsgesetz und für die anderen ist das Asylrecht, den Druck aus der aktuellen Flüchtlingssituation nehmen. Spricht das nicht auch für ein Einwanderungsgesetz, die Trennung, die gesetzliche, zwischen, in Anführungszeichen, "Wirtschaftsflüchtlingen" und "Kriegsflüchtlingen"?
Bosbach: Die gesetzliche Trennung haben wir doch schon. Erwecken Sie doch bitte nicht den Eindruck, als gäbe es kein Gesetz in Deutschland, was streng unterscheidet zwischen Zuwanderung aus humanitären Gründen – da gilt zum Beispiel das Asylrecht-Grundgesetz, Genfer Flüchtlingskonvention – und Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen auf den deutschen Arbeitsmarkt, die Arbeitnehmer der Europäischen Union haben ohnehin Arbeitnehmerfreizügigkeit. Es ist im Gesetz im Detail geregelt, wer unter welchen Voraussetzungen nach Deutschland kommen, als Drittstaatsangehöriger, und hier leben und arbeiten kann. Wer das materiell, also inhaltlich ändern möchte, der möge bitte konkrete Vorschläge machen. Aber in dem Moment, wenn wir beginnen, die Zuwanderung aus humanitären Gründen – Schutz vor politischer Verfolgung, Schutz vor Krieg oder Bürgerkrieg – zu vermengen mit der Arbeitsmarktsituation in Deutschland, dann kommen wir zu einem Ergebnis, wer schutzbedürftig ist, also politisch verfolgt oder Kriegsflüchtling, der bekommt ein Aufenthaltsrecht. Und wer dies nicht ist, wer nicht verfolgt ist, wer nicht vor Krieg flieht, der bekommt auch ein Aufenthaltsrecht, denn möglicherweise können wir ihn angesichts der demografischen Entwicklung in einigen Jahren auf dem Arbeitsmarkt gut gebrauchen. Dann werden die Zahlen, die wir jetzt haben, noch immer weiter steigen, und viele Kommunen sind bereits an den Grenzen ihrer Unterbringungs- und Integrationsmöglichkeiten angelangt.
Heuer: Wenn Angela Merkel, wie wir hören, nun doch für ein Einwanderungsgesetz ist, also nicht Ihrem Ratschlag folgt, sagen Sie dann bei Abstimmungen darüber wieder nein, Herr Bosbach, so wie wir das bei der Griechenlandkrise erlebt haben?
Bosbach: Frau Heuer, ich müsste doch erst mal wissen, was in einem solchen Gesetz überhaupt drinsteht. Ich habe gestern ein Interview gehört – zugegeben bei der Konkurrenz – mit Armin Laschet. Da hat der Moderator die völlig richtige Frage gestellt, wodurch soll sich denn ein neues Gesetz inhaltlich von der jetzigen Rechtslage unterscheiden. Die Frage würde ich auch mal gerne beantwortet bekommen. Warum legt man keinen Entwurf vor, warum legt man noch nicht einmal Eckpunkte eines Gesetzes vor, damit wir vergleichen können, wie ist die Rechtslage heute und wie soll sie zukünftig sein. Ich würde gerne wissen, bevor ich abstimme, worüber ich abstimme.
"Ich kämpfe für meine politische Überzeugung"
Heuer: Herr Bosbach, aber kurz zum Schluss, den darauf will ich natürlich hinaus: Wir haben das bei der Griechenlandhilfe erlebt, wir erleben es jetzt bei der Debatte übers Einwanderungsgesetz, Sie sind da nicht unbedingt auf der Linie Ihrer Parteiführung. Ist diese Parteiführung Ihnen insgesamt etwas fremd geworden?
Bosbach: Frau Heuer, ich bin nicht dazu da, zu allem vorbehalt- und kritiklos Ja und Amen zu sagen, was in der Parteiführung beschlossen wird – und übrigens, das ist noch gar nicht beschlossen, das ist Diskussion in der Partei –, sondern ich kämpfe für meine politische Überzeugung, und die, die ich jetzt am Telefon geäußert habe, war über lange, lange, lange Jahre auch die Überzeugung von CDU und CSU. Und wenn die politische Überzeugung sich dort ändern sollte, muss ich meine nicht unbedingt auch ändern, zumal ich glaube, ich hab auch gute Sachargumente für meine Haltung. Wir haben darüber in der zuständigen Arbeitsgruppe Innen diskutiert, ich hab keinen gefunden, der eine andere Meinung geäußert hat als ich jetzt hier in diesem Gespräch.
Heuer: Wolfgang Bosbach, Vorsitzender im Innenausschuss des Bundestags, CDU-Politiker, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Bosbach!
Bosbach: Ich danke Ihnen, Frau Heuer!