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Einwanderungsland Deutschland
Das Gedenken ändert sich

Tag des Sieges, der Niederlage oder der Befreiung? Das Weltkriegsende wird unterschiedlich erinnert. Im Potsdam wird über Gedenkpraktiken im Einwanderungsland Deutschland nachgedacht. Historiker Jan Plamper hält das nicht für unabänderlich. "Konflikte gab es immer", sagte er im Dlf.

Jan Plamper im Gespräch mit Änne Seidel | 22.06.2019
Dicht an dicht stehen am 09.05.2016 in Berlin Besucher vor der Statue mit Kind und zerbrochenem Hakenkreuz auf dem Gelände des Sowjetischen Ehrenmals in Treptow.
Hunderte Besucher erinnerten auf dem Gelände an das Ende des Zweiten Weltkrieges und den Sieg über den Faschismus. Der 9. Mai ist in Russland der "Tag des Sieges". (Paul Zinken / dpa / picture alliance)
In Deutschland sind sie in die Gehwege eingelassen, erinnern die Vorübergehenden an die Opfer des Holocaust: Stolpersteine. Unstrittig sind sie nicht. Die Opfer würden mit Füßen getreten, außerdem sei auf einigen Steinen "Nazi-Jargon" zu lesen, hieß es.
Die AfD wiederum sah in den Steinen eine aufgezwungene Form des Gedenkens. Die Stolpersteine zeigen: Erinnerungskultur ist eine komplizierte Sache - und je heterogener eine Gesellschaft, desto schwieriger ist es, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Und genau diese Problematik beschäftigt Wissenschaftler in Potsdam.
Am Einstein Forum geht es um die Frage wie Einwanderer die deutsche Gedenkkultur beeinflussen. Der Historiker Jan Plamper ist einer der Teilnehmer. Auf die Frage, wo es in Deutschland denn Spuren anderer, also nicht-deutscher Gedenkkulturen gibt, antwortet er mit einem Jahrestag.
Stolpersteine erinnern in Leipzig an Bürger, die den Verbrechen der Nationalsozialisten zum Opfer fielen.
Stolpersteine erinnern in Leipzig an Bürger, die den Verbrechen der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. (dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt)
Wie sich Gedenkpraktiken ändern, erläutert Historiker Plamper am Beispiel eines Tages wie dem 9. Mai. Der 9. Mai ist der "Tag des Sieges", an dem die Sowjetunion und der heutige Raum der Post-Sowjetunion den Sieg über Nazi-Deutschland feiert. Mit den Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion, circa drei Millionen Spätaussiedlern, Russlanddeutschen und circa 230.000 jüdischen Kontingent-Flüchtlinge sind diese Gedenkpraktiken auch nach Deutschland gekommen. Das sei sehr ungewöhnlich.
Im Konflikt mit der deutschen Gedenkkultur
Wenn man sich die jüdische Gemeinschaft anschaue, sei es so, dass dort der 9. November begangen wurde als Erinnerung an die Reichspogromnacht, oder der 27. Januar als der Internationale Shoah-Gedenktag, oder auch der israelische Jom ha Shoah. Jetzt seien die Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen und sie feiern eigentlich einen Tag, an dem nicht der Opfer gedacht werde, sondern des Sieges über die Faschisten im sogenannten "Großen Vaterländischen Krieg". Das ist ein Konflikt zur deutschen Gedenkkultur.
Auf die Frage, wie damit umzugehen sei, antwortet der Historiker: Der Umgang geschehe auf ganz normalem Wege. Über die Debatten, die wir in der Gesellschaft führen, in den Medien. Da prallen unterschiedliche Gedenkpraktiken aufeinander. Es sei aber insbesondere das Tun, das Praktizieren, die das Gedenken ausmachen. Es sei nicht so, dass es von außen kommt. Das Ausführen etabliere die Gedenkpraxis erst. Dazu zählt auch, dass deutsche Staatsbürger den Sieg über Nazi-Deutschland feiern. Konflikte gab es immer. Auch die Debatte ums Holocaust-Mahnmal sei beladen gewesen. Im Aushandeln des Konflikts entwickele sich eine mehrheitsfähige Gedenkpraxis.
Eine Frau mit buntem Hut steht am 09.12.2013 in Berlin im Nieselregen zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin. 
Eine Frau steht zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin. (picture alliance / dpa / Teresa Fischer )
Neue Gedenkformen treten hinzu
Die Vorstellung von einer unveränderlichen Gedenkpraxis stimme nicht. "Das Aushandeln geschieht immer neu", weil die Zusammensetzung der Gesellschaft sich ändert. Auf die Frage, was passiere, wenn Einwanderer mit antisemitischer Gesinnung hinzukämen, sagte Plamper. Die einzigen Grenzens seien die des Grundgesetztes. Eine Menge sei möglich. Es kann auch mit Veränderung der politischen Mehrheitsverhältnisse prekär sein, wie die geschichtspolitische Rede des thüringischen AfD Fraktionschefs Björn Höcke gezeigt habe.
Keine Gedenkkultur sei unantastbar. Gedenkkulturen sind nur sinnvoll, wenn sie von der Bevölkerung getragen werden. Die "Stolpersteine" etwa werden von unten getragen zum Gedenken ehemlige verfolgte, verrieben oder ermordetet Mitbürger. Das sei "von unten gewachsen". Neu sei etwa auch eine Gedenkkultur des Erinnerns an den Genozid der Armenier.
Kontexte sind wichtig
Wissen wir genug über die anderen? Natürlich nicht. Es sei schon entglitten in Teilen Deutschlands. Es wird eine Riesenaufgabe sein, so Plamper. Durch den Verlust von Forumsmedien, der Parzellierung in Filterblasen, werde es immer schwieriger.
Auf die Frage, ob Museen mehr Verständnis erreichen könnten, stimmte Plamper zu. "Na klar, sie stellen sich auf Gruppen mit wenig Vorahnung ein." Einen Auschwitzbesuch zu verordnen bringe nichts, wenn er nicht in Kontextwissen eingebunden sei. Das Potsdamer Symposium thematisiere zum ersten Mal die Erkenntnis, ein Einwanderungsland zu sein und was das für Konsequenzen hat für die Gedenkkultur im Einwanderungsland Deutschland.