Langsam rollt der Pkw durch die Nebenstraßen von Slubice, biegt hinter einer Autowerkstatt ab, parkt vor einem Bauzaun. Vier Frauen steigen aus, legen sich im Gehen Kopftücher übers Haar, eilen vorbei an einem alten Wohnwagen, einem Haus im Rohbau. Dahinter leuchtet golden die Kuppeln einer neu erbauten orthodoxen Kirche in der Wintersonne.
Die Ukrainerinnen bekreuzigen sich vor dem Eingang. Gehen kurz in die Knie. Einige Schritte weiter steht das orthodoxe Kreuz, das küssen sie. Wie jedes Wochenende. Hier in Slubice, der kleinen, polnischen Nachbarstadt von Frankfurt/Oder, mit gerade mal 25.000 Einwohnern. In der Kirche warten schon 40 Gläubige. Manche beten, andere entzünden Kerzen, der Priester geht herum, grüßt viele mit Wangenküssen. In der Kerzenkasse liegen Euroscheine neben Zloty.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Polen: Geschichten vom Kommen, Gehen und Bleiben" in der Sendung "Gesichter Europas.
Draußen parkt Mihau seinen Wagen, geht durch das Eingangstor, bekreuzigt sich. Auch er kommt jedes Wochenende hierher. Der 33-Jährige trifft Bekannte, betet. Und zündet eine Kerze für seine Familie an. Für seine Frau und seinen vierjährigen Sohn. Die leben in der Bukowina, im Westen der Ukraine, mehr als 1.000 Kilometer entfernt .
"Meine Frau und das Kind sind in der Ukraine. Ich war mir nicht sicher, ob ich hierbleiben kann, oder woanders Arbeit suche. Darum sind sie nicht mitgekommen. Jetzt bin ich aber schon drei Jahre hier. Es sieht so aus, als ob ich hierbleibe."
Mihau vermisst seinen vierjährigen Sohn. Vielleicht kommt meine Familie nach, sagt er. Vielleicht aber auch nicht. Er wird auf jeden Fall noch in Polen bleiben. Um weiter Geld zu verdienen.
In Polen lässt sich mehr verdienen
"Hier arbeite ich als Lkw-Fahrer, in der Ukraine hatte ich einen Bürojob als Buchhalter. Vor zehn Jahren konnte ich dort noch 400 Dollar im Monat verdienen. Jetzt sind es nur noch 200, weil unsere Währung so schwach ist." Hier in Slubice kommt Mihau auf bis zu 1.000 Euro im Monat.
"Die Polen gehen, wir kommen," sagt er. Mittlerweile leben rund zwei Millionen Ukrainer im Land. Für die Einreise braucht es kein Visum, die polnischen Unternehmen suchen händeringend Fachkräfte, sie besorgen auch die nötige Arbeitserlaubnis. Dafür fährt Mihau so lange LKW, wie sein Chef es will. Gezahlt wird pünktlich. Ganz anders, als in der Ukraine.
Die ukrainische Community wächst
70 Kilometer weiter nordöstlich, in Gorzow, dreht sich Maksim zwischen Lebensmittelregalen einmal um seine eigene Achse, kontrolliert die Warenbestände. Ukrainische Produkte, zusammengestellt von seiner Frau, die vor sieben Jahren aus der Ukraine nach Polen zog. Und sich schnell nach Lebensmitteln aus der Heimat sehnte. Sonnenblumen Halva gibt es hier, eine klebrige Süßigkeit, dann Salo, den legendären fetten ukrainischen Speck, und natürlich Kwas, den Brottrunk. Für besondere Anlässe wartet in der Tiefkühlung eine Torte. Edel verpackt. Sie kommt aus einer der Fabriken des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. "Die wird oft gekauft", erzählt Maksim lächelnd. Denn die ukrainische Community wächst laufend. Vor fünf Jahren, vor den Demonstrationen auf dem Maidan, lebten in Gorzow, gerade mal zehn ukrainische Familien.
"Schätzungsweise 23.000 Ukrainer leben heute offiziell in und um Gorzow. Aber da die Ukrainer jetzt auch ohne Visum nach Polen einreisen dürfen, kann man davon ausgehen, dass es noch viel mehr sind. Man kann überall Ukrainisch hören, ob auf der Straße oder im Einkaufszentrum. Das ist gut, nicht nur für uns, sondern auch für die ganze polnische Wirtschaft."
"Unsere Geschäfte laufen sehr gut", freut er sich. Mittlerweile gibt es eine Filiale in Stettin, gerade wurde auch noch eine in Poznan/Posen eröffnet. Und hier in Gorzow, gleich nebenan, entsteht demnächst ein ukrainisches Kulturzentrum.
"Für viele Ukrainer sind wir die erste Anlaufstelle, wenn sie nach Gorzow kommen. Sie kommen gleich nach ihrer Ankunft, weil sie über Kollegen oder Freunde von uns gehört haben. Wir beantworten ihnen dann alle möglichen Fragen. Und wir bringen auch Arbeitssuchende und Arbeitgeber zusammen. Sie haben aber auch viele praktische Fragen: Wie kauft man eine SIM-Karte. Wie lädt man sie auf, wie bezahlt man sie? Wo ist das lokale Arbeitsamt? Wir geben diese Informationen und wie gesagt: Wir bringen Leute zusammen."
Sehnsucht nach der Heimat
In Slubice kommt Mihau aus der Kirche, zieht den Reißverschluss seiner schwarzen Lederjacke nach oben. Es ist kalt geworden an der Oder. In ein paar Tagen wird er wieder in die Ukraine fahren, um seine Familie wieder zu sehen. Diesmal kann er zwei Monate bleiben. Auf der Baustelle ist Winterpause, hat sein Chef gesagt.
"Ich vermisse mein Zuhause, unsere Wohnung in der Ukraine haben wir eine sehr enge Verbindung mit unserem Zuhause. Als ich das erste Mal nach Polen kam, war ich sehr überrascht, dass hier jeder Wohnungen kauft und verkauft. Dass man drei, viermal in seinem Leben die Wohnung wechselt, das ist hier normal. Bei uns ist das anders. In der Ukraine bleibt man normalerweise an einem Ort, das vermisse ich hier."