Man beobachte genau, was heute in Berlin diskutiert und entschieden werde, sagte Claus-Dietrich Lahrs, Geschäftsführer der Modekette s.Oliver, im Dlf. "Es steht für den deutschen Einzelhandel sehr viel auf dem Spiel." Die Geschäfte seien seit Mitte Dezember geschlossen. Damit sei die Basis der Geschäftsgrundlage entzogen worden. Er erhoffe sich vom Bund-Länder-Treffen eine klare Perspektive für die Öffnung der Geschäfte.
Darüber hinaus fordert er ein Ende der "Ungleichbehandlung" bei den Überbrückungshilfen. Diese gelten nur für Unternehmen bis 750 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Diese Trennung sei "willkürlich". Derzeit bekomme man bis auf das Kurzarbeitergeld bei s.Oliver "keinen Cent." Neben dem Zugang zu Überbrückungshilfen fordert er auch einen "rückwirkenden Ausgleich für den Entzug unserer Geschäftsgrundlage seit Mitte Dezember letzten Jahres."
Man komme nun in eine Situation, in der man es, als noch im letzten Jahr kerngesundes Unternehmen, nicht mehr lange aushalte. Die täglichen Verluste setzten die Perspektive der Mitarbeiter aufs Spiel, so Lahrs.
Er habe die Sorge, dass "die Balance zwischen gesundheitlichem Schutz der Bevölkerung, Schutz der Wirtschaft und Schutz der Arbeitsplätze - dass diese Balance aus dem Gleichgewicht gerät."
Das Interview in ganzer Länge
Tobias Armbrüster: Herr Lahrs, wie geht es Ihrem Unternehmen jetzt gerade?
Claus-Dietrich Lahrs: Wir befinden uns in einer kritischen Situation. Das hat was damit zu tun, dass wir seit Mitte Dezember im Lockdown sind. Das heißt, unsere Geschäfte sind geschlossen. Und unsere Geschäfte sind die Basis unseres gesamten Treibens. Wir haben damit eine extrem angespannte Situation – insofern, als dass uns die Geschäftsgrundlage für den Verkauf unserer Kollektionen entzogen worden ist. Wir sind besorgt. Wir beobachten ganz genau, was heute in Berlin diskutiert und entschieden wird. Es steht für den deutschen Einzelhandel sehr viel auf dem Spiel.
Armbrüster: Was erhoffen Sie sich dann von dem Treffen heute?
Lahrs: Wir erhoffen uns zunächst einmal eine klare Perspektive für die schnelle, zügige Wiedereröffnung unserer Geschäfte. Darum geht es zunächst einmal. Wir wollen darüber hinaus die Ungleichbehandlung, die zurzeit die großen Marken und Händler in Deutschland betrifft - die sogenannten Überbrückungshilfen gelten ja ausschließlich für Unternehmen bis zu 750 Millionen Euro Umsatz pro Jahr -, die wollen wir bitte abschaffen. Wir brauchen für die starken, kerngesunden Unternehmen, zumindest bis zum letzten Jahr, eine Gleichbehandlung. Wir empfinden die Trennung, 750 Millionen Euro Umsatz pro Jahr, als willkürlich.
"Bis auf das Kurzarbeitergeld keinen Cent"
Armbrüster: Was bedeutet diese Trennung für Sie, für Ihren Konzern?
Lahrs: Dass wir zurzeit bis auf das Kurzarbeitergeld keinen Cent bekommen, und das Kurzarbeitergeld repräsentiert nur einen kleinen Teil dessen, was unsere fortlaufenden Kosten ausmacht. Wir leben immer ein halbes Jahr im Voraus. Wir designen, wir produzieren, wir entwickeln unsere Kollektionen bereits für die zweite Jahreshälfte. Damit können wir unsere gesamte Maschinerie nicht einfach zum Stoppen bringen. Wir kommen heute in eine Situation, in der wir als kerngesundes Unternehmen im letzten Jahr noch jeden Tag zirka eine Million Euro Verlust produzieren. Das halten wir nicht mehr lange in dieser Form aus.
Armbrüster: Herr Lahrs, an dieser Stelle muss ich Ihnen jetzt eine Frage stellen, die möglicherweise von Ihnen ungern beantwortet wird, weil das sind natürlich Geschäftsgeheimnisse. Aber Sie schildern das jetzt tatsächlich sehr dramatisch. Deshalb meine Frage: Steht Ihr Unternehmen gerade an der Kippe?
Lahrs: Ich spreche für rund zehn große Unternehmen, die mehr als eine Milliarde Euro Umsatz pro Jahr machen, insbesondere in Deutschland. Das sind Textilmarken, Schuhmarken, aber auch bedeutende Einzelhändler, die Sie kennen, die zirka 20 Milliarden Umsatz in Deutschland repräsentieren, nahezu 200.000 Mitarbeiter beschäftigen, die im letzten Jahr alle noch sehr gut dastanden. Mit der mangelnden Perspektive in Bezug auf die Wiedereröffnung unserer Geschäfte sind wir heute in einer kritischen Situation. Wir sind in einer Situation, in der wir uns Sorgen machen, in der wir uns, bedingt durch die Schließung unserer Geschäfte, durch die täglichen Verluste, die sich bei uns anhäufen, insbesondere Sorgen machen – und ich spreche hier als Verantwortlicher für 6000 Mitarbeiter in Deutschland, letztendlich natürlich auch die Perspektive unserer Mitarbeiter und das, was unsere Innenstädte, die notwendige Wiedereröffnung unserer Innenstädte anbelangt.
Balance zwischen gesundheitlichem Schutz und Wirtschaft
Armbrüster: Herr Lahrs, Ihr Konzern betreibt, wenn ich das richtig gelesen habe, knapp 300 eigene Geschäfte in deutschen Innenstädten. Mal angenommen, der Lockdown wird in zwei Wochen langsam gelockert, dass es wieder möglich ist, Geschäfte zu öffnen, werden Ihre Geschäfte alle wieder aufmachen?
Lahrs: Wir warten darauf. Deswegen sagte ich, wir brauchen eine klare, verlässliche Perspektive für die zügige Wiedereröffnung, weil darauf sind wir ja vorbereitet. Nur die Perspektive fehlt zurzeit. Wir haben die große Sorge, dass die Balance zwischen gesundheitlichem Schutz der Bevölkerung, Schutz der Wirtschaft, aber auch Schutz der Arbeitsplätze, die in unserer Branche zurzeit nach wie vor eine große Bedeutung spielen, dass diese Balance aus dem Gleichgewicht gerät.
Armbrüster: Das heißt, da wurde Ihrer Meinung nach zu viel geachtet auf Infektionszahlen, möglicherweise auf das, was in Krankenhäusern passiert, und zu wenig auf das, was volkswirtschaftlich losgeht? Ist das so korrekt beschrieben?
Lahrs: Das ist gut beschrieben. Wir haben ja bereits im letzten Jahr gleich nach dem ersten Lockdown alle Hygienemaßnahmen ergriffen, die es damals gab. Bei uns wurde auf höchstem Niveau Hygienestandard gelebt. Wir sind auch nicht bekannt dafür, dass wir Frequenzen in unseren Geschäften, Besuchsfrequenzen in unseren Geschäften haben, die sich mit dem Lebensmittel-Einzelhandel vergleichen lassen. Das hat sich im letzten Jahr schon deutlich ruhiger dargestellt. Wir sind extrem vorsichtig. Wir sind natürlich um das gesundheitliche Wohl unserer Kunden besorgt und wir sehen überhaupt keine Gefahr, dass ein Wiedereröffnen unserer Geschäfte das, was mit dem Spreaden des Virus verbunden sein könnte, auch nur annähernd als eine Gefahr in sich birgt.
Schließung des Einzelhandels: "willkürliche Entscheidung"
Armbrüster: Aber wir haben jetzt ja erlebt, dass die Infektionszahlen im Herbst und im Winter wieder deutlich angestiegen sind. Und nachdem es den Lockdown gegeben hat, sind sie zumindest mit einiger Verzögerung wieder deutlich runtergegangen. Das ist ja die Situation, die wir jetzt gerade haben. Das heißt, man muss im Nachhinein sagen, für die Infektion war das Schließen des öffentlichen Lebens und damit auch das Schließen Ihrer Geschäfte der richtige Schritt, oder?
Lahrs: Das Schließen ist ja sehr willkürlich erfolgt. Der Lebensmittel-Einzelhandel ist weiterhin geöffnet und der Einzelhandel im Lebensmittelbereich verkauft ja auch weiterhin unsere Sortimente jetzt. Das gilt auch für die Drogerie-Fachmärkte. Auch dort werden ja mittlerweile Textilien verkauft. Wir sprechen hier über eine willkürliche Entscheidung, wer macht zu und wer darf weiterhin aufhaben. Ich sage einfach nur, wir haben bereits im letzten Jahr höchste Hygienestandards gelebt und haben dafür gesorgt, dass bei uns das Thema Virus-Weiterentwicklung kein Thema war.
Armbrüster: Welches Angebot können Sie den Politikerinnen und Politikern, die heute in Berlin zusammensitzen, machen?
Lahrs: Das Angebot ist das, was wir jetzt auch schon mehrmals formuliert haben: eine schnelle Wiedereröffnung unserer Geschäfte. Wir werden dafür sorgen, dass die Hygienestandards genauso wie im letzten Jahr auf höchstem Niveau sich bewegen. Wir fordern aber jetzt ein Ende der Ungleichbehandlung in Bezug auf die Überbrückungshilfen auf der einen Seite. Wir fordern auch ein Ende der Ungleichbehandlung innerhalb des Einzelhandels, die heute sehr sichtbar ist. Und, wenn ich das ganz klar sagen kann, einen rückwirkenden Ausgleich für den Entzug unserer Geschäftsgrundlage seit Mitte Dezember letzten Jahres.
Mode: hoch verderbliche Ware
Armbrüster: Herr Lahrs, dann zum Schluss noch eine ganz praktische Frage. Wieviel von der Wintermode bleibt eigentlich in diesem Jahr in Ihrem Konzern liegen?
Lahrs: Wir handeln mit hoch verderblicher Ware, Herr Armbrüster, und wir haben bereits in der wichtigsten Phase unseres Jahres, im Weihnachtsgeschäft, unsere Geschäfte schließen müssen. Damit ist uns schon sehr viel an wichtigem Umsatz und natürlich Verkauf unserer Winterware verloren gegangen.
Jetzt geht es ums Frühjahr. Wir haben ja bereits seit Januar und jetzt auch im Februar unsere Frühjahrsware komplett ausgeliefert. Wir können sie nur nicht verkaufen. Diese Ware können wir im März, wenn die Eröffnung sich darstellen könnte, nicht mehr anbieten. Das heißt, die Ware ist insofern nicht mehr zu gebrauchen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.