Terrorismus
Auch Einzeltäter sind nicht allein

Der Schütze von München, der mutmaßlich einen Anschlag verüben wollte, handelte vermutlich ohne Mittäter. Attentate durch sogenannte „Einzeltäter“ gehören bei Islamisten und Rechtsextremisten zur Strategie. Doch an dem Begriff gibt es Kritik.

    Die Fahne Israels weht am frühen Morgen des 06.09.2024 vor dem Israelischen Generalkonsulat München, während im Vordergrund Absperrband von der Polizei zu sehen ist.
    Der Verdächtige des versuchten Anschlags von München hatte wohl einen Bezug zur islamistischen Gruppe HTS. (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Am Vormittag des 5. Septembers 2024 verhinderte die Münchener Polizei vermutlich knapp einen antisemitischen und islamistischen Terroranschlag durch einen 18-Jährigen. Der mit einem Repetiergewehr bewaffnete Mann befand sich in unmittelbarer Nähe des israelischen Generalkonsulats und des NS-Dokumentationszentrums, als er das Feuer auf eine Polizeistreife eröffnete – auf den Tag genau 52 Jahre nach dem Olympia-Attentat auf die israelische Delegation in München. Der Österreicher, der im Schusswechsel mit der Polizei starb, führte seine Tat offenbar allein aus. Welche Rolle spielen Einzeltäter im Terrorismus – und inwieweit sind sie tatsächlich „Einzeltäter“?

    Inhalt

    Was weiß man über den Schützen von München: War er ein Einzeltäter?

    Bislang ist bekannt, dass er Österreicher mit bosnischen Wurzeln war und im Salzburger Land lebte. Gegen den Schützen von München war bereits wegen des Verdachts ermittelt worden, er könne sich religiös radikalisiert haben. Er soll Anhänger der syrischen Terrorgruppe Jabhat al-Nusra gewesen sein, scheint aber alleine gehandelt zu haben, sagt der Politikwissenschafter und Terrorismusexperte Peter Neumann vom King's College in London:
    „Nach allem, was wir wissen, und wir werden in den nächsten Tagen noch viel mehr erfahren, war das jemand, der vermutlich im Internet radikalisiert wurde, der dann auf eigene Faust etwas auf die Beine stellen wollte, der sich diese Waffe irgendwie beschafft hat und gesagt hat: Ich mache jetzt was.“


    Warum agieren Terroristen als Einzeltäter?

    Im islamistischen Terrorismus gehören Taten von Einzeltätern zur Strategie. Der dschihadistische Islamische Staat (IS) habe in den 2010er-Jahren damit begonnen, seinen Anhängern im Westen zu sagen, dass sie nicht um Erlaubnis fragen müssten, wenn sie Feinde des IS angreifen, sagt Terrorismusexperte Peter Neumann. Im Nachhinein reklamiere der IS dann die Tat bei Zustimmung für sich. Dieses Modell habe sich als „sehr, sehr erfolgreich“ herausgestellt für die Dschihadisten und würde auch von anderen Organisationen wie al-Qaida propagiert.
    Auch wenn es nach wie vor Netzwerke gebe, „viele Einzeltäter haben keine direkten Kontakte zu diesen Gruppen“, sagt Neumann. „Aber sie tun etwas, weil sie die Ideologie unterstützen. Und die Gruppen sagen dann anschließend: Das waren Soldaten des Islamischen Staates oder von al-Qaida.“
    Im Kontext rechtsextremer Anschläge wird bei einem männlichen terroristischen Einzeltäter immer wieder von einem „lone wolf“, also einem „einsamen Wolf“ gesprochen. Die Strategie geht auf den US-Rechtsextremisten Louis Beam zurück, Vietnam-Veteran und ehemaliges Ku-Klux-Klan-Mitglied. Er formulierte sie bereits in den 1990er-Jahren mit dem Ziel, einen Beitrag für den angeblich weltweiten Überlebenskampf der „weißen Rasse“ leisten, wie es in einem Artikel der Bundeszentrale für Politische Bildung heißt. Zu diesem „Lone Wolf“-Terrorismus zählen in Deutschland die Attentate von Halle 2019 mit zwei Toten und von Hanau 2020 mit zehn Opfern.

    Wie gefährlich sind Einzeltäter?

    Einzeltäter, die sich im Internet radikalisierten und auf eigene Faust handelten, seien einerseits schwerer zu fangen als andere Terroristen, da sie weniger kommunizierten und weniger bekannt seien, sagt Terrorismusexperte Neumann. Ihre Taten seien weniger voraussagbar. Andererseits seien ihre Anschläge aber oft auch weniger tödlich als die Anschläge, die von mehreren Tätern gemeinsamen verübt werden.
    Die Gefahr, die von Einzeltätern ausgeht, wurde nach Auffassung des Politikwissenschaftlers Florian Hartleb in Deutschland zunächst nicht ausreichend erkannt. Hartleb hat das Buch „Einsame Wölfe“ über rechtsextreme Einzeltäter geschrieben und sagt: Politik und Behörden hätten sich schon viel länger auf Einzeltäter konzentrieren müssen.
    So sei der rechtsterroristische Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum in München 2016, bei dem der 18-jährige Täter neun Menschen tötete und fünf weitere verletzte, als unpolitisch abqualifiziert worden. „Das war eine Fehleinschätzung“, erklärt Hartleb. „Mein Eindruck war auch, dass man sich in Deutschland sehr stark auf diesen gruppenförmigen Terrorismus konzentriert hat, und den Einzeltäter-Terrorismus nicht ernst genommen hat.“

    Welche Kritik gibt es an dem Begriff des Einzeltäters?

    Der Rechtsterrorismusexperte Miro Dittrich, Geschäftsführer beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie, sieht den Begriff des „Einzeltäters“ kritisch. In Bezug auf rechtsextreme Terroranschläge wie in Christchurch, Halle oder Buffalo sagt er, dass Täter zwar in dem Sinne alleine handelten, dass sie alleine loszögen und ihre Taten begingen. An digitalen Orten seien sie jedoch eine Gruppe.
    Es sei kein Zufall, dass diese Täter gleich handelten, die gleichen Pläne machten, ihre Manifeste an den gleichen Orten teilten, und sich Livestreams zur Tat etabliert hätten, sagt Dittrich. „Dass die Inhalte in ihren Manifesten immer die gleichen sind, zeigt ja ganz klar, dass es sich eben nicht nur um einzelne Personen handelt, die agieren, sondern dass sie aus einer Gemeinschaft kommen, die gleich denkt.“ Auch wenn oft vom „lone wolf“ gesprochen werde, sieht der Terrorismusexperte eher, "dass das Menschen sind, die in einem Rudel jagen“.
    „Einen Einzeltäter gibt es im Internet-Zeitalter nicht“, meint auch David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus beim Verein „Miteinander“: Eine Radikalisierung vollziehe sich nicht im luftleeren Raum. Die Einzeltäter-These sei zwar schnell zur Hand, aber dennoch sehr problematisch, da sie unter anderem auch ideologische Kontexte ausblende.

    jfr