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Eisele: Charta der Vereinten Nationen verhindert Eingreifen in Birma

General a.D. Manfred Eisele ist der Auffassung, dass die Ablehnung von auswärtiger Katastrophenhilfe durch die birmesische Regierung mit der Charta der Vereinten Nationen im Prinzip vereinbar ist. Hier erlebe man hilflos den Konflikt zwischen der Durchsetzung nationaler Souveränität und dem Anspruch der Menschen in Birma, ihr Leben zu retten, sagte Eisele.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Die Militärjunta Birmas schottet das südostasiatische Land auch zwei Wochen nach dem verheerenden Wirbelsturm weiterhin ab und verweigert vielen Helfern schlicht die Einreise. Durch diesen Sturm kamen nach amtlichen Angaben rund 80.000 Menschen ums Leben. Die Hilfsorganisationen schätzen, dass etwa zwei Millionen Menschen durch den Zyklon alles verloren haben und dringend auf Hilfe angewiesen sind. Die ASEAN-Staaten konferieren derzeit darüber und es gibt erste Signale einer Aufweichung der harten Haltung der Militärjunta von Birma. Am Telefon begrüße ich nun General a.D. Manfred Eisele. Er war ehemaliger Beigeordneter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen. Guten Tag Herr Eisele!

    !Manfred Eisele: Grüß Gott Herr Breker.

    Breker: Birma kann man sich irgendwie auch so vorstellen: Rundherum Helfer und Hilfsgüter zuhauf und die werden auch dringend gebraucht, aber eine machtversessene Militärclique verweigert sich dem. Muss die internationale Staatengemeinschaft eigentlich tatenlos zusehen, wie ein Regime seine Bürger sterben lässt?

    !Eisele:
    Im Prinzip ja, denn die Charta der Vereinten Nationen stützt die Haltung der Regierung in Birma, wenn sie in Artikel II im letzten Absatz ein nahezu absolutes Interventionsverbot formuliert, das der Staatengemeinschaft explizit verbietet, sich in die inneren Angelegenheiten eines Staates einzumischen. Hier erleben wir sozusagen hilflos den Konflikt zwischen der Durchsetzung nationaler Souveränität und dem Anspruch der Menschen in diesem Staat, sich ihre Menschenrechte nach der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu sichern und damit vor allen Dingen ihr Leben zu retten.

    Breker: Liefert das Völkerrecht überhaupt keine Handhabe, in solchen Fällen einzugreifen?

    !Eisele: Im Prinzip nicht, wenn man die Charta der Vereinten Nationen als das Kerndokument des internationalen Rechts ansieht. Auf der anderen Seite haben etliche Katastrophen in jüngerer Vergangenheit - in Somalia, in Ruanda, in Srebrenica - den damaligen Generalsekretär Kofi Annan veranlasst, sozusagen einen Umweg um diese Festlegung der Charta mit dem absoluten Souveränitätsanspruch der Mitgliedsstaaten zu finden. Dazu gibt es zwei Entschließungen: die eine zu größerer Freiheit, aber die andere, die noch wichtiger ist und auf die sich sämtliche Staats- und Regierungschefs im Jahre 2005 anlässlich des "Millenium-Gipfels +5" in New York verständigt haben, die so genannte "Responsibility to Protect", also die Schutzverantwortung, die die internationale Staatengemeinschaft auch für die Bürger von solchen Staaten haben, deren Regime den Schutz der Menschenrechte für ihre eigenen Mitbürger vernachlässigen.

    Breker: Wie könnte man das im Falle Birmas erreichen? Welche Voraussetzungen müssten anerkannt werden?

    !Eisele:
    Im Prinzip ist die einfachste Voraussetzung natürlich jetzt schon gegeben. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich an die Machthaber in Birma gewandt, denn gegen den Willen der Regierung eines Mitgliedsstaates der Vereinten Nationen ist eine solche Intervention kaum durchzusetzen, weil auch die ständigen fünf Mitglieder des Sicherheitsrates hier immer befürchten, es könne zu einem Präzedenzfall der Einmischung in innere Angelegenheiten kommen. Da fürchten sämtliche fünf permanenten Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrates, vor allen Dingen die russische Föderation und China, einen Präzedenzfall und das fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser.

    Breker: Und darauf wird man sich demzufolge nicht einigen können. Also die Staatengemeinschaft ist nur so stark wie das schwächste Glied im Sicherheitsrat?

    !Eisele: Ja und hier muss man im Grunde genommen natürlich auch die Ohnmacht des Generalsekretärs erkennen, den man bisweilen zwar um seine Position zu stärken als sechstes ständiges Mitglied des Sicherheitsrates bezeichnet, weil er an sämtlichen Sitzungen des Sicherheitsrates teilnehmen kann und sogar die Tagesordnung des Sicherheitsrates mitbestimmen kann. Aber gegen den Willen auch nur eines einzigen dieser fünf ständigen Mitglieder ist der Generalsekretär machtlos. Vielleicht noch ein Wort zu der Position der birmanischen Regierung. Birma ist zwar seit 1948 unabhängig und hat sich seither darum bemüht, ein homogener Nationalstaat zu werden, fühlt sich aber seit 60 Jahren, also so lange wie es diesen Staat als unabhängiges Mitglied der Staatengemeinschaft gibt, bedroht durch vor allen Dingen zwei ethnische Minderheiten, die Karen und die Shaan, die sich um Autonomie und Sezession von Birma bemühen. Dementsprechend sind alle auswärtigen Bemühungen, in die inneren Verhältnisse Birmas einzugreifen, natürlich besonders suspekt und das erklärt vielleicht die ablehnende Haltung gegenüber internationalen Hilfsangeboten.

    Breker: Das mag es erklären, aber nicht entschuldigen, denn gerade in Katastrophenfällen, Herr Eisele, bedeutet doch Zeit Menschenleben.

    !Eisele:
    Das ist sicher richtig und es wird hier einfach darauf ankommen, dass die Nachbarstaaten, insbesondere Thailand und Indien, ihren Einfluss auf das Regime in Birma geltend machen, denn wir als Europäer sind, da Birma sich als Opfer des britischen Kolonialismus bis zu den heutigen Tagen empfindet, nicht besonders glaubwürdig. Das gleiche gilt für die Vereinigten Staaten und die russische Föderation, so dass es wirklich darauf ankommt, auf dem Umweg über die Nachbarstaaten auch europäische und amerikanische Hilfeleistungen zum Tragen zu bringen.

    Breker: Der ehemalige Beigeordnete des Generalsekretärs der Vereinten Nationen General a.D. Manfred Eisele war das im Deutschlandfunk. Herr Eisele, danke für dieses Gespräch!